Geschichte

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Hirschberg

Die spannende Spurensuche in Hirschberg ist um einen bedeutenden Baustein erweitert. Die Kunsthistorikerin Anat Gilboa aus Israel hat die bisher älteste bekannte Quelle hierzu aus dem Hebräischen entschlüsselt

Von 
Gabriel Schwab
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Die israelische Kunsthistorikerin Dr. Anat Gilboa (Dritte v.l.) hat im Memorbuch 20 jüdische Bürger aus Großsachsen identifiziert. Unsere Aufnahme zeigt sie mit Angelika und Thomas Wetter (l.) und Michael Penk. © Fritz Kopetzky

Hirschberg. Die spannende Spurensuche nach jüdischem Leben in Hirschberg wurde um einen bedeutenden Baustein erweitert. Dieser Tage ist die Kunsthistorikerin Anat Gilboa aus Israel zu Besuch, die die bisher älteste bekannte Quelle hierzu aus dem Hebräischen entschlüsselt hat.

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Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Memorbuch, das in der israelitischen Gemeinde Großsachsens entstanden ist. Es wurde von Erhard Schnurr, Mitglied des Arbeitskreises Ehemalige Synagoge Leutershausen, nach jahrelanger und intensiver Recherche entdeckt. Ähnlich einem Kirchenbuch ist es eine Chronik über Gemeindemitglieder und enthält Eintragungen über Verstorbene. „Der älteste Eintrag stammt aus dem Jahr 1679“, erklärt Michael Penk, Vorsitzender des Arbeitskreises. Der jüngste sei auf das Jahr 1830 zurückzudatieren.

Schwierige Übersetzung

Fast 200 Jahre geschichtliche Dokumentation über die Lebensdauer verschiedener Autoren hinweg – das hinterlässt viele chronistische Fingerabdrücke. Das Ganze in einem Dokument in hebräischer Sprache, das zudem in weiten Teilen handschriftlich geführt wurde. So waren die Eintragungen mal in gregorianischer Zeitrechnung, mal in hebräischer. An einer Stelle stammte das Hebräisch aus dem jiddischen Sprachgebrauch, an anderer aus dem deutschen. Ein Beispiel: Die Stadt Worms etwa wurde von den Juden Warmaisa genannt. Ein großer Unterschied bei der Übersetzung aus dem Hebräischen, bei dem die Silbenbildung einen Einfluss auf grammatische Formen hat. Leutershausen wiederum wird manchmal mit „t“ manchmal mit „d“ (Leudershausen) geschrieben. An anderen Stellen ist lediglich von Hausen die Rede. Und an wieder anderer schlicht von „L’h“. Allein die Handschrift zu entziffern, die innerhalb von 200 Jahren einem Wandel unterlegen war, gestaltete sich dabei als schwieriges Unterfangen.

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„Ich musste erst einmal das Muster verstehen“, erklärt Anat Gilboa. Und danach das Wichtigste: „Wo stehen die Namen?“ Wie sich herausstellte, gab es ein klares Schema, nach dem die Verstorbenen in dem Memorbuch verewigt wurden. So waren die einzelnen Absätze von den gleichen Floskeln geprägt. Übersetzt begannen sie mit „Gott erinnert sich an …“ Es folgte der Name, beispielsweise Yitzhak. Dann, so Gilboa, sei vermerkt worden, dass der betreffende Bürger gute Dinge getan, seine Sakramente gemacht hat. „Bei den Frauen wiederum stand immer dabei, dass sie eine ganz wichtige Person war“, lachte die Historikerin.

Zwangsannahme von Namen

Nach vielen Stunden Arbeit konnte Gilboa schließlich 20 jüdische Bürger Großsachsens verifizieren. Noch mehr Namen standen auf ihrem Zettel, aufgrund erläuterter Hürden bei der Übersetzung konnte sie diese jedoch nicht eindeutig als solche bestätigen. Denn auch hier hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen: Vor 1809 war es bei den Juden üblich, Vorname und Name des Vaters zu dokumentierten. Erst Napoleon zwang sie zur Annahme fester Familiennamen, wie Thomas Wetter erklärte. Durch seine Tätigkeit an der Universität Be’er Scheva entstand damals der Kontakt zur israelischen Kunsthistorikerin, die an der Hochschule dozierte. Ehefrau Angelika Wetter erinnert sich gerne an den Moment zurück: „Wir standen damals auf dem Gang und unterhielten uns. Dann kam Anat vorbei und sagte: ,Oh, da spricht doch jemand Deutsch!“ Nach einem kurzen Gespräch habe sich zudem herausgestellt, dass beide in derselben Nachbarschaft der israelischen Großstadt wohnten. Eine Freundschaft, die nun auch die ganze Gemeinde und womöglich viele Familien bereichert.

Hilfe für Ahnenforschung

Die gewonnenen Daten, erklärt Michael Penk vom Arbeitskreis Ehemalige Synagoge, sind jedoch aus Datenschutzgründen nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die jüdischen Familiennamen würden auf der Homepage publik gemacht werden. Angehörige bekommen auf Wunsch Zugang zum Rest. Die Hoffnung sei, dass Angehörige bei ihrer Stammbaum-Recherche auf die Familiennamen stoßen. „Wenn sie beispielsweise nach Eppsteiner oder Schriesheimer suchen. Das sind ganz markante Namen.“

Der Arbeitskreis sei mit vielen Juden, die deutsche Wurzeln haben, im Austausch. Nicht selten gebe es Besuch von Menschen, die sich auf die Spuren ihrer Ahnen begeben wollten. Das Ende dieser Suche führe sie vor das ehemalige Familienhaus oder die Grabsteine ihrer Vorfahren. „Bewegende Momente“, wie Penk schildert. Und die Motivation für die unermüdliche Anstrengung des Arbeitskreises samt seiner Unterstützer.

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