Heidelberg. Die Richter und Staatsanwälte am Landgericht Heidelberg haben deutlich mehr Arbeit bekommen: In den ersten neun Monaten dieses Jahres seien allein 70 Prozent mehr Verfahren für die Großen Strafkammern eingegangen als im ersten Dreivierteljahr 2021. Das erklärte Gerichtspräsident Helmut Perron beim Jahres-Pressegespräch. Eine Trendwende sei nicht absehbar, denn bei der Staatsanwaltschaft gingen unvermindert Ermittlungsverfahren ein.
In diesem Ausmaß sei die Entwicklung aktuell bei anderen Landgerichten in Baden-Württemberg nicht zu erkennen. Man sei aber mit dem Justizministerium im Gespräch, um die Personalausstattung anzupassen. Dinge auf die lange (Anklage-)Bank zu schieben, wäre in diesem Fall die schlechteste Lösung: Gerade die Großen Strafkammern hätten vor allem Haftsachen zu bearbeiten. „Keinem Angeklagten ist zuzumuten, wegen Überlastung des Gerichts länger in Untersuchungshaft verbringen zu müssen“, verweist Perron auf Fälle, in denen Gerichte Angeklagte sogar auf freien Fuß setzen mussten, weil die Verfahren verspätet eröffnet wurden. Gründe für die auffällige Zunahme an Strafverfahren seien nicht eindeutig zu nennen. Erklärungsansätze seien theoretisch, dass die Polizei besonders erfolgreich arbeitet. Allerdings sei das Polizeipräsidium Mannheim für die Ermittlungsarbeit zuständig, die dann sowohl das Landgericht Heidelberg, als auch das Landgericht Mannheim beschäftigten. Und nur in Heidelberg sei aktuell dieser drastische Anstieg zu erkennen.
Zuständigkeit
- Das Landgericht in Heidelberg ist zuständig für die Amtsgerichtsbezirke Heidelberg, Sinsheim, Wiesloch sowie die Notariatsbezirke Heidelberg, Sinsheim, Wiesloch, Eberbach, Neckarbischofsheim.
- 39 Städte und Gemeinden mit rund 450 000 Einwohnern gehören dazu.
- 2021 sind 1842 erstinstanzliche Klagen in Zivilsachen am Landgericht Heidelberg eingegangen. Bausachen (179 Verfahren), Bank- und Kapitalsachen (44) sowie Arzthaftung (77) hatten die größten Anteile am Klageaufkommen.
Im Zivilbereich hätten die Klagen im gleichen Zeitraum um etwa zehn Prozent zugenommen. Hier sei zum Teil der „Diesel-Skandal“ um manipulierte Fahrzeuge mit verantwortlich. Insgesamt 588 solcher Verfahren werden allein in Heidelberg geführt – in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon 94. Bundesweit hätten sich kaum ein halbes Dutzend Kanzleien auf diese Fälle spezialisiert – und formulierten zum Teil mittels Künstlicher Intelligenz serienweise Anklageschriften. Hier sieht Perron den Bedarf, die Justizarbeit zu bündeln: Aktuell würden sich im ganzen Bundesgebiet Hunderte von Richtern mit den Details von Kfz-Abgastechnik beschäftigen. Am Heidelberger Landgericht hat man einzelne Herstellermarken auf jeweilige Richter konzentriert. 315 Verfahren betreffen den VW-Konzern (ohne Audi, das von 95 Verfahren betroffen ist), 90 Mercedes und 56 Fiat und BMW.
Die Fülle der Verfahren drückt sich im Terminkalender aus: Im Justizgebäude in der Kurfürsten-Anlage finden beinahe jeden Tag öffentliche Verhandlungen statt: 267 Termine gab es 2021, in den ersten drei Quartalen 2022 waren es bereits 158. Aber auch Video-Verhandlungen seien seit der Pandemie zum Alltag geworden und böten sich besonders dann an, wenn die Anwälte sonst von weither anreisen müssten, erklärt Gerichtssprecherin Ina Untersteller.
Immer häufiger müssen sich Gerichte ferner um Verfahren im Zusammenhang mit dem Paragrafen 63 des Strafgesetzbuches beschäftigen: Angeklagte gelten wergen einer psychischen Krise als nicht schuldfähig und werden – zum Schutz der Gesellschaft – in einer psychischen Klinik untergebracht. Gründe für diese Zunahme seien schwer auszumachen, erklärt Perron. Vielleicht sei auch die Sensibilität für psychische Krankheiten gestiegen. Regelmäßig würden die Richter solche Unterbringungsanträge indes auch ablehnen.
Im vergangenen Jahr wurden im Landgerichtsbezirk Heidelberg Geldauflagen in Höhe von 611 465 Euro erteilt. Das entspricht einem Plus im Vergleich zum Vorjahr von 64,2 Prozent. An die Staatskasse gehen davon 29,5 Prozent (180 520 Euro). Außerdem profitieren gemeinnützige Projekte und soziale Einrichtungen von dem eingenommenen Geld.
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