Justiz

Umwelt-Aktivist nach Blockade in Leimen vor Gericht

Er wollte schon das Spielfeld der Münchner Allianz Arena stürmen. Nun muss sich Raul Semmler aber wegen der Blockade eines Heidelcementwerks verantworten. Vor dem Heidelberger Amtsgericht nennt er seine Vorbilder

Von 
Michaela Roßner
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Sie protestieren gegen die Unternehmenspolitik des Baustoffkonzerns. © René Priebe

Heidelberg/Leimen. Nach rund drei Stunden öffentlicher Hauptverhandlung steht fest: Die Parteien treffen sich im Heidelberger Justizgebäude an der Kurfürstenanlage wieder. Voraussichtlich in zwei Wochen wird das sein. Am 5. Mai 2021 hatten Klimaschutz-Aktivisten für mehrere Stunden die Zufahrt zum Firmengelände von Heidelberg Materials blockiert. Nach abgelehnten Strafbefehlen standen einige Teilnehmer der Kundgebung bereits vor Gericht.

Seit Mittwoch muss sich ein 38-Jähriger aus Mannheim und Heidelberg vor dem Heidelberger Amtsgericht verantworten. Für die Anklage sind es neun Fälle von gemeinschaftlicher Nötigung, für den Beschuldigten Raúl Semmler und seine Unterstützer hingegen war es ein Akt des „zivilen Ungehorsams“.

Die Blockade der Werkszufahrt in Leimen soll vor anderthalb Jahren der erste Anlass gewesen sein, der Semmler einen Eintrag im Polizeicomputer brachte, berichtet ein als Zeuge geladener Kriminalbeamter und Spezialist für politisch motivierte Straftaten. Seither seien einige Einträge hinzugekommen: Der Schauspieler werde mit rund 30 Aktionen von Umweltaktivisten in Verbindung gebracht; zuletzt wollte er offenbar das Spielfeld in der Münchner Allianz Arena stürmen.

Der Zementhersteller sei einer der größten CO2-Verursacher und damit Klimakiller, erklärt Semmler den Hintergrund der Protestaktion im Frühjahr 2021. Er trägt wie einige Begleiter ein weißes T-Shirt, auf das vorne in dicken Botschaften aufgedruckt ist „Die Erde brennt wegen Heidelberg Zement“.

Diesen Akt des aus seiner Sicht „zivilen Ungehorsams“ stellt Semmler in eine Reihe mit Bürgerrechtsbewegungen in den USA, Indien und Europa, bei denen es beispielsweise um die Abschaffung von Rassendiskriminierung und die Einführung des Frauen-Wahlrechts ging, betont der Aktivist.

Laien als Beistand abgelehnt

Semmler sitzt allein am Tisch im Gerichtssaal, einen Verteidiger hat er nicht dabei. Einen professionellen Rechtsanwalt könne er sich nicht leisten, begründet der Beschuldigte den ersten von mehreren, bereits vorbereiteten Anträgen, mit denen er Amtsrichterin Claudia Zimmer-Odenwälder an diesem Vormittag beschäftigt: Einen Laien-Rechtsbeistand möchte er richterlich zulassen lassen – und schlägt einen Vertrauten vor, der gerade selbst in München wegen einer Protestaktion der „Letzten Generation“ in Bayreuth Angeklagter war. Der habe zwar nie Jura studiert, sich aber unter anderem in „drei mehrtägigen Schulungen zur Strafprozessordnung“ Sachkunde angeeignet, argumentiert der Beschuldigte. Als diese Anträge allesamt abgewiesen werden, beantragt Semmler eine „Emo-Runde“. in der alle Seiten „ihre Emotionen und Befindlichkeiten schildern“ könnten. „So etwas sieht die Strafprozessordnung nicht vor“, entgegnet der Vertreter der Anklage. Aktivisten begleiten den Prozessauftakt vor dem Gerichtsgebäude mit Transparenten, bis die Polizei sie anweist, den Protest einzustellen.

Mehrere Pausen

Staatsanwalt und Richterin sehen keine Notwendigkeit, einen Laien-Beistand in der Verhandlung zuzulassen. Mit der Begründung, dieser Person fehle ausreichende Sachkunde, um den Angeklagten unterstützen zu können, wird der Antrag abgewiesen. Mit einem weiteren, ähnlichen Antrag, einer Beschwerde, einem Befangenheitsantrag gegen die Richterin sowie mehreren vom Beschuldigten beantragten Pausen geht die Sitzung weiter. Und kommt doch – aus Sicht der Aktivisten – nicht wirklich zum Kern: „Wir haben noch eine Reihe Beweisanträge vorbereitet“, sagt einer von ihnen leise.

Für Krimi-Serien vor Kamera

Semmler ist Klimaaktivist der „Letzten Generation“. Die Gruppe hat mit Aktionen wie Hungerstreiks, Straßenblockaden und dem Abdrehen von Ölpipelines in den vergangenen Monaten immer wieder Aufmerksamkeit erregt – und Ärger. Als Beruf gibt er dem Gericht „Drehbuchautor“ ins Protokoll. Bekannter wurde er als Schauspieler: 2009 stand Semmler als Valentinus in Sönke Wortmanns Historiendrama „Die Päpstin“ vor der Kamera, Gastauftritte hatte er in Krimi-Serien im ZDF.

Zwölf Aktivisten hatten nach der Blockade in Leimen Strafbefehle zurückgewiesen, die Geldstrafen zwischen 1000 und 2000 Euro vorsahen. Einer ist nach Auskunft des Gerichts zu einer Geldstrafe verurteilt worden – und hat das angefochten. Ein weiterer hatte seinen Widerspruch kurz vor Beginn einer Verhandlung zurückgezogen. Er kam mit einer Verwarnung davon und muss 1000 Euro zahlen, sollte er innerhalb eines Bewährungsjahrs erneut strafrechtlich in Erscheinung treten.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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