Soziales

Viele Jugendliche kommen mit vielen Problemen zur "Kompetenzagentur"

Wie ihr Leben weitergegangen wäre, hätte sie nicht vor fünf Jahren die Unterstützung der Kompetenzagentur Heidelberg bekommen, mag sich Natalie nicht ausmalen. Die Jugendliche kam allein mit einem Koffer und zwei Handtüchern in die Stadt

Von 
Michaela Roßner
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Bürgermeisterin Stefanie Jansen (4.v.l.) spricht in der Jugendagentur mit Jenny Li, Caroline Smout, Nemat und Natalie sowie Bettina Kolbe (v.l.). © Philipp Rothe

Heidelberg. Zu Hause rausgeflogen, eventuell Drogenprobleme, mit der Schule hat es nicht geklappt, der Weg in die Kriminalität schon vorgezeichnet: Die Jugendlichen, die hierher in die Räume der Jugendagentur in der Heidelberger Weststadt kommen, bringen nicht selten gleich ein ganzes Bündel von Problemen mit. Das Projekt „Kompetenzagentur Heidelberg“ unterstützt sie dabei, ihren eigenen Weg zu gehen - und möglichst viele Probleme zurückzulassen. Auf ihrer Sommertour machte Bürgermeisterin Stefanie Jansen, zuständig für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit, in der Einrichtung Station. Die Dezernentin nahm sich viel Zeit für das Gespräch mit den Mitarbeitenden und traf auch zwei junge Menschen, die sich seit einigen Jahren immer wieder vertrauensvoll hierher wenden und immer gute Ansprechpartner finden.

Natalie und Nemat erzählen, wie sie zur Kompetenzagentur gekommen sind und wie sich ihr Leben seither ins Positive gewendet hat. „Als ich in Heidelberg ankam, hatte ich nicht mehr als einen Koffer und zwei Handtücher dabei“, erinnert sich Natalie.

Man glaubt nicht, wie vielfältig die Probleme sind, die schon manche Jugendliche mit sich herumtragen müssen.
Bürgermeisterin Stefanie Jansen zuständig für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit

Über das Jugendamt kam die Heranwachsende zur Jugendagentur, wo man ihr half, ihre Unterhaltsrechte durchzusetzen. Die Kompetenzagentur begleitete sie, ihre Stärken herauszufinden. Fünf Jahre sind seit ihrer Ankunft vergangen. Von den Freunden, für die sie damals in die Stadt am Neckar kam, hat sie sich längst distanziert - aber sie hat neue Freundschaften geschlossen. Und einen Schulabschluss geschafft. Heute ist sie im zweiten Ausbildungsjahr und freut sich darauf, Krankenpflegerin zu werden.

Die Kompetenzagentur ist ein Angebot für 15- bis 27-Jährige aus Heidelberg und eines von zehn Projekten, die die Jugendagentur anbietet - zum Teil auch für junge Menschen aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Zum Beispiel gibt es analog zur Kompetenzagentur für den Umkreis das Projekt „Läuft“.

Junger Geflüchteter vertraut auf Unterstützung

Auch Nemat findet vermutlich eine berufliche Zukunft im medizinischen Bereich. Als er 2018 aus Afghanistan kam, war er ein minderjähriger Geflüchteter, der kein Deutsch konnte und niemanden hier hatte. Zunächst zog er in ein Zimmer in einer WG, die von der Jugendagentur betreut wird. Als 18-Jähriger musste er eine eigene Wohnung finden - auch dabei gab es Unterstützung von Marcus Bellemann aus dem geschäftsführenden Vorstand der Jugendagentur und seinem Team von insgesamt 17 Beschäftigten.

Heidelberger Kompetenzagentur

Die Kompetenzagentur bietet benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen Unterstützung beim Übergang von der Schule in einen Beruf.

Seit 2007 sind rund 600 junge Frauen und Männer begleitet worden. Aktuell sind es etwa 40, die regelmäßig zu Gesprächen kommen. Dazu gibt es kürzere Kontakte, die zum Teil später wieder zu intensiveren Betreuungen kommen.

Entscheidend für den Erfolg ist die Netzwerkarbeit. So sind Jugendamt und Jobcenter sowie freie Träger wie die Schuldnerberatung Partner. miro

„Ich hatte am Anfang Probleme beim Lernen“, erinnert sich Nemat. Und die Post, die er immer mal wieder von Behörden bekam, „verstand ich nicht“. In der Kompetenzagentur fand er in all diesen Fragen Ansprechpartner. Auch was seine Einsamkeit anging, die immer mal wieder über ihn kam. Inzwischen hat der junge Erwachsene die Schule geschafft und absolviert gerade ein Praktikum im Universitätsklinikum. Sein Traum-Ausbildungsplatz? „OP-Assistent“, hat er inzwischen sehr genaue Vorstellungen.

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Jansen hört sich die Schilderungen der Beiden sehr genau an. „Man glaubt nicht, wie vielfältig die Probleme sind, die schon manche Jugendliche mit sich herumtragen müssen.“ Nicht erst seit der Corona-Pandemie kämen auch immer mehr psychische Schwierigkeiten oder auch psychische Krankheiten hinzu. „In solchen Fällen vermitteln wir auch gerne zu Therapeuten oder regen an, vielleicht ein paar Tage in eine Klinik zu gehen“, berichten die Projektleiterinnen Bettina Kolbe und Jenny Li. Das Ziel müsse sein, dass die jungen Menschen ihre eigenen Stärken entwickeln, beschreibt Caroline Smout vom Amt für Chancengleichheit. Durchschnittlich eine bis anderthalb Stunden Zeit für ein 1:1-Gespräch nehmen sich Kolbe und Li für die Jugendlichen. „Das können Behördenmitarbeiter sonst nicht leisten“, weiß Jansen. „Bei Behördengängen sind wir manchmal auch schlicht Türöffner und Dolmetscher“, weiß Bellemann.

Heute mehr junge Frauen als in den ersten Jahren seit 2017

Heute seien es deutlich mehr junge Frauen als Männer, die bei der Kompetenzagentur anklopfen. „Vielleicht haben Frauen nun mehr Zuversicht, die Lebensumstände zu verlassen, die ihnen nicht gut tun - und sie nicht länger auszuhalten“, überlegt Jansen. Finanziert wird die Kompetenzagentur vom Jobcenter, der Stadt und dem Europäischen Sozialfonds. Und wie wäre Natalies Leben weitergegangen, wenn sie nicht den Weg in die Römerstraße 23 gefunden hätte? „Ich glaube, ich wäre zurückgegangen“, sagt sie nach kurzem Nachdenken. Was genau sie dort (wieder) erwartet hätte, lässt die junge Frau offen, doch auf ihrem Gesicht verschwindet sehr plötzlich das Lächeln.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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