Justiz

Urteil nach Messerattacke in Wiesloch: Prozess endet mit verstörenden Details

Er floh aus dem Maßregelvollzug und tötete eine Frau. Nun haben Heidelberger Richter die dauerhafte Unterbringung eines 34-jährigen Somaliers angeordnet - und verstörende Details öffentlich gemacht

Von 
Agnes Polewka
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Die Spurensicherung in Wiesloch. Eine Frau ist im September in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) mit einem Messer niedergestochen worden © Priebe

Heidelberg. Er wähnte sich in einem Krieg gegen böse Mächte und weiße Deutsche. Er glaubte, es gebe eine Verschwörung gegen ihn, angestoßen von der Polizei in Neckargemünd. Und dann ging er noch davon aus, in den USA tobe ein Cyber-Krieg - schon früher dachte Ahmad N. deshalb darüber nach, für das Amt des amerikanischen Präsidenten zu kandidieren.

Getrieben von seinen Wahnvorstellungen erstach der 34-Jährige, der laut Sachverständigengutachten an einer paranoiden Schizophrenie leidet, am 8. September 2023 eine 30 Jahre alte Frau in der Wieslocher Innenstadt. Am Montag haben Heidelberger Richter die dauerhafte Unterbringung des Somaliers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Täter gelang auf dem Weg zur Arbeitstherapie die Flucht

Erneut - denn aufgrund eines früheren Beschlusses befand sich N. zum Zeitpunkt der Tat im Maßregelvollzug des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN). Wegen sexueller Belästigung, verschiedenen gewaltsame Übergriffen - auch auf Polizisten - und Beleidigungen. Im Maßregelvollzug werden psychisch oder suchtkranke Menschen behandelt, die aufgrund ihrer Erkrankung straffällig geworden sind.

Auf dem Weg zur Arbeitstherapie auf dem Gelände der Psychiatrie gelang ihm am besagten Septembertag die Flucht. Was danach passierte, zeichnet der Vorsitzende Richter Jochen Herkle am Montag in der Begründung der richterlichen Entscheidung nach - und spricht dabei auch über Details, die bislang nicht öffentlich geworden sind.

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Weil bereits die Staatsanwaltschaft von der Schuldunfähigkeit des Mannes ausging und das Verfahren zu großen Teilen um persönliche Details aus dem Leben des Beschuldigten kreiste, fand das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt - auch die Angehörigen der getöteten Frau hatten zu Beginn einen entsprechenden Antrag gestellt.

Zur Messerattacke in Wiesloch kam in einer "kurzen Zeitspanne"

Am 8. September sei Ahmad N. mit fünf weiteren Patienten und in Begleitung zweier Pfleger auf dem Gelände unterwegs gewesen, als er sich plötzlich „im Laufschritt entfernte“, sagt Herkle. Einer der Pfleger sei ihm sofort hinterher gelaufen, habe die Alarmkette angestoßen und die Polizei verständigt. 15 Minuten später sei der 34-Jährige festgenommen worden. „In dieser kurzen Zeitspanne kam es zu einer furchtbaren Tat“, so Herkle.

Um sich für die „erlittenen Ungerechtigkeiten“ zu rächen, habe Ahmad N. ein Haushaltswarengeschäft betreten und sich dort ein Schälmesser mit einer 13 Zentimer langen Klinge besorgt. Dann habe er im Geschäft die 30-Jährige erblickt: eine junge Frau aus einem kleinen Dorf im Rhein-Neckar-Kreis, die bald ihren 31. Geburtstag feiern wollte. Sie habe frei gehabt, und sei zum Bummeln nach Wiesloch gefahren, entgegen ihrer Gewohnheit, in Sinsheim einzukaufen. „Dort sollte sie zum Zufallsopfer werden“, sagt Herkle, der beschreibt, wie Ahmad N. die Frau von hinten an der Kasse angriff, während sie ihre Einkäufe zusammen packte. 33 Stich- und Schnittverletzungen fügte er der Frau zu, die meisten davon im Rumpfbereich.

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Während Jochen Herkle spricht, wendet Ahmad N. sein Gesicht den Prozessbeobachterinnen und -beobachtern zu. Ausgewählte Gesichter fixiert er sekundenlang, bevor er den Kopf langsam wieder in Richtung der Richterbank dreht. Er trägt Handfesseln, die an einem Bauchgurt befestigt sind, sowie Fußfesseln. Vier Wachtmeister sind im Gerichtssaal abgestellt, vier weitere Männer - Mitarbeiter der Klinik im Landkreis Heilbronn, in der N. aktuell untergebracht ist - sitzen hinter ihm.

Videoaufzeichnungen dokumentieren die Tat in Wiesloch

„I want war“ („Ich will Krieg“) und „I will never stop“ („Ich werde nie aufhören“) soll Ahmad N. nach seiner Festnahme gerufen haben. Er beteuerte, die Tat so wieder begehen zu wollen, sagt der Vorsitzende Richter. Vor Gericht habe der Beschuldigte seine Taten zugegeben, außerdem gebe es Videoaufzeichnungen von Überwachungskameras, die das Geschehen dokumentiert hätten.

Kurz nach der Festnahme wurde Ahmad N. von einem Psychiatrischen Sachverständigen - dem Heidelberger Neurologen und Psychiater Hartmut Pleines - untersucht. Dieser habe von einem „systematisierten Wahnerleben“ gesprochen. Ahmad N. sei keine Reflexion über Recht oder Unrecht mehr möglich. Und: Er habe eine ausgeprägte Neigung Krankheitszeichen zu verbergen oder herunterzuspielen, um für gesund gehalten zu werden. Fachleute nennen das Dissimulation.

Als er im April 2021 im Maßregelvollzug am PZN ankam, verweigerte Ahmand N. eine medikamentöse Behandlung. „Die zwangsweise Verabreichung musste angeordnet werden“, sagt Herkle. Später habe N. kaum Einblicke in sein inneres Erleben gewährt, habe ruhig gewirkt. Im Zuge erster Lockerungen sei er auf die „geschlossene Rehabilitationsstation“ verlegt worden, von wo aus ihn der Weg zur Arbeitstherapie über das PZN-Gelände führte - trotz anhaltender Wahnvorstellungen.

Weitere rechtliche Schritte?

Obwohl Ahmad N. aufgrund seiner Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden könne, sei doch festzuhalten, dass es sich bei der Tat um Mord handele, weil das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt sei. Ein Opfer unvermittelt von hinten anzugreifen - „Was soll das anderes sein als Heimtücke?“

„Es hat sich abgezeichnet, dass es wieder eine Unterbringung aufgrund der paranoiden Schizophrenie und der außerordentlichen Gefährlichkeit des Beschuldigten geben würde“, sagt der Ketscher Rechtsanwalt Thomas Franz, Nebenklage-Vertreter der Eltern des Opfers nach der Verhandlung. Die Angehörigen müssten nun entscheiden, ob sie weitere Schritte gehen wollen, um ein Fehlverhalten oder Mitverschulden des PZN zu klären, so Franz.

Redaktion

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