Justiz

Messerattacke in Wiesloch: Bluttat ohne Konsequenzen?

Im September soll ein Mann aus dem PZN in der Wieslocher Innenstadt eine Frau erstochen haben. An den Sicherheitsvorkehrungen im Psychiatrischen Zentrums Nordbaden scheint sich seitdem nichts geändert zu haben

Von 
Agnes Polewka
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Das PZN in Wiesloch. © B. Zinke

Wiesloch. Es war eine Tat, die die Region erschütterte: Im September 2023 soll ein Patient aus dem Maßregelvollzug des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) in Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) geflohen sein. Anschließend soll der psychisch kranke Mann in der Innenstadt unvermittelt mit einem Schälmesser auf eine 30-Jährige eingestochen und sie so schwer verletzt haben, dass sie starb. Ende Februar hat der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Ahmad N. vor dem Heidelberger Landgericht begonnen.

Am Rande der nicht-öffentlichen Verhandlung erfuhr diese Redaktion: Bis heute werden Patienten im Maßregelvollzug auf dem Weg zur Arbeitstherapie - wie N. - nur von Pflegern begleitet. An den Sicherheitsvorkehrungen auf dem Arbeitsweg hat sich nichts geändert. Warum nicht?

Sicherheitskonzept des PZN überarbeitet 

Das PZN hatte kurz nach der Tat offensiv über Details informiert. Kurz vor Prozessbeginn gab es eine Mitteilung der Stadt Wiesloch, der Polizei in Wiesloch und dem PZN, in der es hieß, man habe gemeinsam das Sicherheitskonzept überarbeitet, wobei konkrete Maßnahmen vage blieben.

Zunächst berief man sich in dieser Mitteilung darauf, dass Lockerungen im Maßregelvollzug wichtiger Teil der Behandlung seien, zumal es der gesetzliche Auftrag der forensisch-psychiatrischen Klinik sei, Patientinnen und Patienten „nach hinreichenden Therapiefortschritten“ auf eine gesellschaftliche Wiedereingliederung vorzubereiten.

Im Maßregelvollzug werden psychisch oder suchtkranke Menschen behandelt, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung straffällig geworden sind. Im Fall von N. waren das laut Heidelberger Landgericht Fälle der sexuellen Belästigung, verschiedene gewaltsame Übergriffe - auch auf Polizisten - und Beleidigungen.

PZN Wiesloch

  • Das Psychiatrische Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch ist eine Facheinrichtung für die psychiatrische, psychotherapeutische und psychosomatische Behandlung und Betreuung psychisch kranker Menschen. Insgesamt gibt es sechs Kliniken im PZN mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
  • Eine davon ist die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, eine Facheinrichtung zur Behandlung, Sicherung und Rehabilitation von straffällig gewordenen Personen, die in ihrer Schuldfähigkeit beeinträchtigt sind.
  • Die Forensik unterliegt der behördlichen Aufsicht des Sozialministeriums.

Doch müsste man - unabhängig von Lockerungen - angesichts eines Todesopfers nicht nachjustieren und die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gelände erhöhen? Auf Anfrage dieser Redaktion heißt es dazu vom PZN: „Im Sicherheitskonzept sind weiterhin alle Lockerungsstufen mit entsprechenden Begleitschlüsseln definiert: Die Sicherungsmaßnahmen reichen dabei von stark restriktiven Maßnahmen - zum Beispiel durch Hand- oder Fußfesseln, hohe Personalpräsenz, Amtshilfe durch die Polizei - bis hin zu unbegleitetem Einzelausgang in die Umgebung oder Beurlaubung bei höchster Lockerungsstufe.“

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Offenbar ist also alles so geblieben, wie es war: Macht ein Patient therapeutische Fortschritte, erhält er bestimmte Lockerungen und bekommt schrittweise mehr Freiheiten, die unter sogenannten „Lockerungsstufen“ subsumiert werden, dann nehmen auch die Sicherheitsvorkehrungen ab. Wie im Fall von Ahmad N., der - in einer Gruppe mit anderen Patienten - ausschließlich von Pflegern durch den Park der Klinik zur Arbeitstherapie geführt worden sein soll. Auf dem Klinikgelände befinden sich unterschiedliche arbeitstherapeutische Standorte - etwa die Druckerei im Verwaltungsgebäude, der therapeutische Bauernhof, die Gärtnerei oder der Bereich „Industrielle Montage“.

Offenbar kein zusätzliches Sicherheitspersonal angeordnet

Wie viele Pflegerinnen und Pfleger die Patienten begleiten, regelt der Betreuungsschlüssel der Einrichtung, nach Informationen dieser Redaktion sind dies fünf Patienten pro Pfleger. Ahmad N. soll mit einer sechsköpfigen Gruppe unterwegs gewesen sein, begleitet von einem Pfleger und einer Pflegerin.

Allerdings hat das Pflegepersonal nur eingeschränkte Möglichkeiten, wenn es zu einem Fluchtversuch kommt, schließlich gilt es, die übrigen Patienten zu beaufsichtigen. Und: Laut geltendem Landesrecht ist es ohnehin eine reine Ermessensentscheidung, ob sich ein Pfleger oder eine Pflegerin dazu entscheidet, den Patienten festzuhalten, ihn sogar zu verfolgen, wie dies im Fall von Ahmad N. geschehen sein soll.

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Zusätzliches Sicherheitspersonal, restriktive Maßnahmen nur für den Wegbereich oder auch bauliche Sicherheitsvorkehrungen wurden offenbar nicht angeordnet. „Ein Zusammenhang zwischen dem Ablauf des Vorfalls und der Gebäudesicherheit konnte nicht nachvollzogen werden. Das 90 Hektar große PZN-Gelände mit seinem weit verzweigten Wegenetz wird als öffentlicher Park rege genutzt“, heißt es dazu in der Stellungnahme des PZN auf Anfrage dieser Redaktion weiter.

PZN-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Notruftelefone

Und so bleibt zu fragen: Was hat sich denn nach dem Vorfall in Wiesloch überhaupt verändert? Die Antworten darauf sind wenig aufschlussreich - und sehr ernüchternd. „Bei den Gesprächen zwischen der Stadt Wiesloch, dem PZN Wiesloch und dem Polizeirevier Wiesloch wurden die Prozesse ganzheitlich betrachtet, um im Falle eines Entweichens die optimalen Abläufe bei allen Beteiligten zu gewährleisten“, sagt ein Sprecher des Mannheimer Polizeipräsidiums auf Anfrage dieser Redaktion. Details hierzu könne man aus taktischen Gründen nicht veröffentlichen. Der „Südwestrundfunk“ hatte in einem Bericht einen Sprecher der Polizei zitiert, der sagte, im Vergleich zur Zeit vor der tödlichen Messerattacke gebe es bei der Polizei in Bezug auf das PZN keine großen Veränderungen. Dies wollte man beim Polizeipräsidium auf Anfrage nicht weiter kommentieren.

Ansonsten sind die PZN-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Notruftelefonen ausgestattet - wie vor dem Vorfall. Außerhalb der Stationsgebäude tragen alle Beschäftigten zusätzlich ein Handy als Personennotrufgerät, teilten Stadt, Polizei und PZN mit. Und dann gebe es noch den SMS-Informationsdienst, den es auch schon vorher gab.

Redaktion

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