Messerangriff

Nach tödlichem Messerangriff: Wiesloch trauert um 30-jährige Frau

Die Stadt Wiesloch steht noch immer unter kollektivem Schock. Damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Trauer ausdrücken können, hat die Stadt ein Kondolenzbuch aufgelegt. Die Tat soll schnell aufgearbeitet werden

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Bernhard Zinke
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Gedenken am Tatort in Wiesloch: Annette Diemer (v.l.), Pflegedienstleiterin der Forensik im PZN, Christian Oberbauer, Chefarzt der Forensik, Anett Rose-Losert, Geschäftführerin des PZN, Oberbürgermeister Dirk Elkemann, Sozialminister Manfred Lucha, Bürgermeister Ludwig Sauer. © dpa

Wiesloch. Auch vier Tage nach der fürchterlichen Tat befindet sich die Stadt Wiesloch in einem emotionalen Ausnahmezustand. „Wir sind alle noch immer geschockt“, bestätigt Oberbürgermeister Dirk Elkemann. Die Tat habe die Menschen nachhaltig erschüttert. Es sei das erste Thema in jedem Gespräch, das man mit den Menschen führe. Wie berichtet, war ein Patient des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) auf dem Weg zur Arbeitstherapie entwichen, in die Stadt geflüchtet und hatte in einem Kaufhaus mutmaßlich eine 30-jährige Frau erstochen. Der 33-jährige Somalier ist erneut im Maßregelvollzug im PZN untergebracht, soll aber zeitnah nach Weinsberg verlegt werden.

Am Montagabend war Sozialminister Manne Lucha nach Wiesloch gekommen. Das Sozialministerium ist die Aufsichtsbehörde des PZN. Lucha hatte zuerst hinter verschlossenen Türen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des PZN gesprochen und sich aus erster Hand informiert, was passiert ist. Später hatten Lucha, die PZN-Führung und die Stadtspitze den Tatort besucht und des Opfers gedacht.

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Um den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen, habe die Stadt Wiesloch ein Kondolenzbuch aufgelegt, so Elkemann. Der Minister habe am Montagabend als Erster unterschrieben. Seit Dienstagvormittag liegt das Buch im Foyer des Wieslocher Rathauses. Es gebe derzeit noch keinen direkten Kontakt zur Familie. Aber wenn dies gewünscht sei, werde man der Familie das Kondolenzbuch überreichen.

Das Sicherheitsgefühl der Menschen in der Stadt ist indessen schwer erschüttert. Allerdings, so Elkemann: „Objektiv betrachtet ist Wiesloch kein unsichererer Ort als in der vergangenen Woche.“ Doch diesem Unsicherheitsgefühl müsse man Rechnung tragen und die Vorkommnisse unbedingt aufarbeiten.

Gesellschaftlicher Auftrag

Trotz der schrecklichen Tat stellt der Oberbürgermeister die Zusammenarbeit mit dem PZN grundsätzlich nicht in Frage. Das Zentrum gehöre seit 120 Jahren zu Wiesloch. Und die Einrichtung erfülle einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. „Da wird richtig gute Arbeit geleistet“, sagt Elkemann. Mehr als 10 000 Menschen seien hier pro Jahr in Behandlung und erhielten wichtige Hilfe. Auch als Arbeitgeber für 1700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spiele das PZN eine unverzichtbare Rolle in der Stadt.

Der Maßregelvollzug erfülle zwei wichtige Aufträge: Zur Rehabilitation gehöre, dass die Menschen wieder auf ein Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden. „Ohne Lockerungsstufen geht das nicht.“ Die zweite Aufgabe laute: Sicherung. Dieses Verhältnis müsse austariert und möglicherweise auch nachjustiert werden, sagt Elkemann.

Wenn die Tat komplett ausermittelt und aufgeklärt ist, werde man sich „sehr zeitnah“ mit dem PZN und der Polizei zusammensetzen. „Erst dann können wir wirklich unsere Schlüsse ziehen“, so der Oberbürgermeister. Dann werde aufgearbeitet: Welche Sicherungsmaßnahmen gab es? Und was hat nicht so funktioniert, wie es hätte sollen? Es sei letztlich die Frage aller Fragen, die sich die Beteiligten seit Freitag immer wieder stellten: Haben wir alles getan, was hätte getan werden können, um die Tat zu verhindern?

Auch der Chefarzt der Forensik, Christian Oberbauer, steht vor einem Rätsel, warum der 33-jährige Somalier plötzlich auf dem nur 200 Meter langen Weg von der geschlossenen Rehabilitationsstation zur Arbeitstherapie die Flucht ergriffen habe. „Ich habe keine abschließende Hypothese dazu“, hatte Oberbauer am Sonntagnachmittag auf die Frage geantwortet, was hier aus medizinischer Sicht schiefgegangen sei. Der Mann hatte die fünfte von neun Lockerungsstufen erreicht, durfte in Begleitung aufs Klinikgelände und in die Stadt.

Im Vorjahr habe es in allen sieben baden-württembergischen Zentren für Psychiatrie insgesamt 56 Entweichungen gewesen. In den sechs Jahren davor kam es den Angaben zufolge zu durchschnittlich 52 solcher Vorkommnisse pro Jahr. Chefarzt Oberbauer spricht von etwa fünf Einweichungen pro Jahr im PZN.

Extremer und tragischer Vorfall

Es habe in den vergangenen 20 Jahren bei keinem einzigen Fall im Zusammenhang mit einer Flucht aus dem Maßregelvollzug ein Tötungsdelikt gegeben. „Dies ist ein extremer und sehr tragischer Vorfall, bei dem die weiteren Ermittlungen zeigen werden, wo noch Ansatzpunkte zur Vermeidung einer solchen Tat liegen könnten“, hieß es aus dem Sozialministerium. Der Maßregelvollzug ist für Straftäter gedacht, die psychisch krank oder süchtig und damit nicht schuldfähig sind.

SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl hatte am Sonntag von einer fatalen baulichen Situation und einem massiven Personal- und Platzmangel im PZN gesprochen. Chefarzt Oberbauer hatte von einem Anstieg der Belegung um 20 Prozent seit dem Jahr 2018 berichtet. Allerdings sei auch die personelle Ausstattung angepasst worden. „Von einem Personalmangel kann man eigentlich nicht sprechen“, hatte Oberbauer am Sonntag gesagt.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen

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