Heidelberg. Das schlimme Unglück, das sich Ende Juni auf einem Spielplatz in Heidelberg-Handschuhsheim ereignet und den Vater eines spielenden Kindes das Leben gekostet hat, war ein unvorhersehbarer Unfall. Dies besagt ein Gutachten, das die Staatsanwaltschaft Heidelberg in Auftrag gegeben hatte. Die Strafverfolgungsbehörde hat ermittelt, ob jemand eine strafrechtlich relevante Schuld an diesem tragischen Unfall hatte. Und weil die Staatsanwaltschaft niemandem eine Schuld nachweisen konnte, hat sie das Verfahren nun eingestellt, wie Behördensprecher Jonathan Waldschmidt dieser Redaktion bestätigte.
Der Sachverständige sei in seinem umfangreichen Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen sogenannten Grünastbruch gehandelt habe. Die Forstwirtschaft beschreibt mit diesem Ausdruck das Phänomen, dass äußerlich kerngesunde Bäume, vor allem in Phasen längerer Trockenheit, auch dicke Äste abstoßen. Die Rosskastanie habe von außen tiptopp ausgesehen, gibt der Sprecher der Staatsanwaltschaft die Einschätzungen des Gutachters wieder. Der Fachmann hätte selbst bei einer Untersuchung am Vortag den Baum für völlig unbedenklich erklärt.
„Extrem viele Grünastbrüche“ in diesem Sommer
Wie berichtet, war am 21. Juni nachmittags ein dicker Ast von einer Rosskastanie abgebrochen und auf einen 39-jährigen Mann gefallen, der mit seiner Familie den Kinderspielplatz an der Rottmannstraße besucht hatte. Die Frau und die beiden Kinder hatten das Unglück mitansehen müssen. Es hatte zuvor keinen Sturm gegeben, auch seien keine Pilzkrankheiten oder sonstige Schäden zu erkennen gewesen. Pro forma hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen des Verdachts auf Fremdverschulden eingeleitet und ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.
Grünastbruch
- Wie Forscher und Praktiker zusammentragen haben, kommen Grünastbrüche überwiegend an heißen, sonnigen Sommertagen vor.
- Betroffen sind stets größere und dickere Äste .
- Insbesondere horizontal wachsende, weit ausladende Äste aus dem untereren bis mittleren Kronenbereich brechen ab.
- Das Phänomen beschränkt sich auch nicht auf einzelne Baumarten . Besonders betroffen sind demnach Hybrid-Pappeln, Weiden, Rosskastanien (wie im Heidelberger Fall), Buchen, Ahorn, Eichen und Eschen.
- Seltener würden Grünastbrüche bei Zedern, Eukalyptus- und Amberbäumen, Kiefern, Platanen und Ulmen gemeldet. bjz
Damit trifft laut Staatsanwaltschaft auch die Stadt Heidelberg keine Schuld. Grünastbrüche sind ein schon länger bekanntes Phänomen. Die betroffenen Bäume sind weder alt noch krank. Auch braucht kein Wind oder Sturm zu wehen, dass selbst massige Äste und ganze Baumteile aus der Krone abbrechen. Moritz Ihling, der gärtnerische Leiter der Mannheimer Stadtparks, hatte dieser Redaktion schon Mitte Juli bestätigt, dass es auch im Luisenpark „extrem viele Grünastbrüche“ gegeben habe. Die Intensität habe ganz ohne Zweifel zugenommen. Und das sei tatsächlich ein neues Phänomen. Die Vermutung der Baumexperten: Die Bäume sind im Trockenstress, außerdem sorgt die direkte und intensive Sonneneinstrahlung wohl für eine spröder werdende Struktur des Holzes.
„Wir haben es mit einem schwer kalkulierbaren Risiko zu tun“
Es ist somit kaum vorhersehbar, welche Bäume es trifft. Die Mannheimer Stadtpark-Sprecherin Alexandra Wind sagt: „Wir haben es hier mit einem sehr schwer kalkulierbaren Risiko zu tun, für das in sehr naher Zukunft – und damit sind nicht nur wir im Luisenpark gemeint – Maßnahmen entwickelt werden müssen.“
Auf Schwarm-Intelligenz setzt nun auch die Stadt Heidelberg. Grünastbrüche seien ein Riesenproblem, sagt Stadtsprecher Christian Beister und mahnt wie die Experten, nicht in Panik zu verfallen. Gerade erst hat diese Redaktion nachgemessen: In Waldgebieten ist es bis zu elf Grad kühler als auf unbebauten, zubetonierten Plätzen in den Innenstädten. Es braucht Bäume also für eine Verbesserung des Stadtklimas und für die Verarbeitung des schädlichen Klimagases CO₂.
Es sei nötig, sich mit anderen Kommunen und Fachleuten auszutauschen, welche Verfahren es vielleicht doch gebe, die Anzeichen für einen Grünastbruch doch vorab erkennen oder die Gefahr zumindest minimieren zu können. Alleine lasse sich diese offensichtlich neue und intensiver werdende Problematik nicht lösen.
Stadt Heidelberg kontrolliert 50.000 Bäume alleine im Stadtgebiet
Ohnehin kontrolliert ist die Stadt Heidelberg nach eigener Aussage schon jetzt intensiv die insgesamt 50.000 Bäume im Stadtgebiet regelmäßig auf ihre Vitalität und Standsicherheit. Ein Umlauf dauert nach Angaben des Stadtsprechers rund neun Monate. Dabei komme modernste Technik wie Schallthomographen und Bohrwiderstandsmessgeräte zum Einsatz. Werden individuell Schadstellen festgestellt, werde deutlich häufiger kontrolliert.
Die Stadt Heidelberg sieht allerdings auch ein anderes Problem auf die Kommunen zukommen. Nicht nur wegen des Phänomens Grünastbrüche seien vermutlich in Zukunft deutlich mehr Baumkontrollen nötig. Dafür brauche es zwangsläufig mehr qualifiziertes Personal. Das könnte zu einem erheblichen Konkurrenzkampf unter den Kommunen führen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Astbruchgefahr: Klimawandel macht Bäume zum Risiko