Rhein-Neckar. Binnen weniger Tage haben sich die Meldungen in der Region gehäuft – einmal mit sehr tragischem Ausgang: Ende Juni brach auf einem Spielplatz im Heidelberger Stadtteil Handschuhsheim ein Ast von einer Rosskastanie ab und erschlug einen Mann, der mit seinem Kind zum Spielen auf dem Platz war. Am 3. Juli warnten die Staatlichen Schlösser und Gärten (SSG) Baden-Württemberg vor akuter Astbruchgefahr in den historischen Gärten.
Der Pressemitteilung war ein Bild vom Schwetzinger Schlosspark beigefügt, das ein mächtiges abgebrochenes Stück eines Baums mit zwei Oberschenkel-dicken Ästen dran zeigte. Einen Tag später krachte in Worms ebenfalls ein gewaltiges Stück eines Baums direkt auf den Eingangsbereich, der zur Zuschauertribüne der Nibelungenfestspiele in Worms führt. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde leicht verletzt. An diesem Freitag beginnen die Festspiele: Wäre der Baum während des Festspielbetriebs vor oder nach der Vorstellung herunter gekracht, hätte es mindestens Schwerverletzte gegeben. Ist die Häufung der überraschenden Astbrüche von scheinbar gesunden Bäumen ein Zufall? Oder lauert dahinter ein zusätzliches Gefahrenpotenzial, bedingt oder verstärkt durch den Klimawandel?
In der Branche ist das Thema nicht unbekannt. „Grünastbruch“ nennen die Baumexperten das Phänomen. Das hat es schon immer wieder in den vergangenen Jahren gegeben. Die betroffenen Bäume sind weder alt noch krank. Auch braucht kein Wind oder Sturm zu wehen, dass selbst massige Äste und ganze Baumteile vom Stamm abbrechen. Doch Moritz Ihling, der gärtnerische Leiter der Mannheimer Stadtparks, bestätigt: „In den vergangenen Wochen hat es extrem viele Grünastbrüche gegeben“. Die Intensität habe ganz ohne Zweifel zugenommen. Und das sei tatsächlich ein neues Phänomen.
Baumbestände im Südwesten infolge der Klimaerwärmung geschwächt
Für die SSG ist der Zusammenhang von unvorhersehbaren Astbrüchen und Hitzewellen samt Trockenperioden eindeutig: „Es kann zu nicht vorhersehbaren Abbrüchen scheinbar gesunder Äste und Kronenteile kommen, denn die Baumbestände sind infolge der Klimaerwärmung stark geschwächt“, heißt es im Pressetext der Schlösser- und Gartenverwaltung. Deshalb warnt die SSG mit Nachdruck: Auf den Wegen bleiben und sich nicht unter alten Bäumen aufhalten.
„Das Phänomen beschäftigt Städte und Gemeinden, beziehungsweise auch Parkanlagen immer mehr“, bestätigt auch Alexandra Wind, Sprecherin der Mannheimer Stadtparks. Das Tückische daran: Der plötzliche Astbruch trifft gesunde Bäume, die äußerlich völlig unauffällig sind. Es sei somit kaum vorhersehbar, von welchem Baum eine Gefahr ausgehe, so die Stadtpark-Sprecherin. „Wir haben es hier folglich mit einem sehr schwer kalkulierbaren Risiko zu tun, für das in sehr naher Zukunft – und damit sind nicht nur wir im Luisenpark gemeint – Maßnahmen entwickelt werden müssen“, sagt die Stadtpark-Sprecherin.
Baum kann seine Äste nicht mehr mit genug Wasser versorgen
Für die Experten ist klar: Der Klimawandel verursacht nachweislich immer längere Trockenphasen. In diesem Jahr hat es in der Region schon zwei davon gegeben – im Februar und März sowie zuletzt im Juni. Wenn der Baum nicht mehr genügend Flüssigkeit aus dem Erdreich herausholen kann, werden die Äste vor allem in den äußeren Bereichen der Baumkrone nicht mehr genug mit Wasser versorgt. Sie trocknen aus und brechen – je nach Belaubung und Gewicht – unvermittelt ab.
Die Sachverständigenarbeitsgemeinschaft Baumstatik, eine Vereinigung von Praktikern, hat den Wissensstand über Grünastbrüche zusammengetragen. Den hatte in Teilen schon Ulrich Weihs, Professor für Baumsachverständigenwesen aus Göttingen, bei einem Baumforum 2014 in Heidelberg vorgetragen. Demnach erfolgt der Abbruch in der Regel an heißen, ruhigen Sommernachmittagen oder bei ruhigem Wetter nach einem starken Sommerregen.
Betroffen sind stets Äste mit Dimensionen von Grob- bis Starkast-Stärke. Insbesondere horizontal wachsende, weit ausladende Äste aus dem untereren bis mittleren Kronenbereich brechen ab. Das Phänomen beschränkt sich auch nicht auf einzelne Baumarten. Besonders betroffen sind demnach Hybrid-Pappeln, Weiden, Rosskastanien (wie im Heidelberger Fall), Buchen, Ahorn, Eichen und Eschen. Seltener würden Grünastbrüche bei Zedern, Eukalyptus- und Amberbäumen, Kiefern, Platanen und Ulmen gemeldet.
Es sind nun mal nicht alle Gefahren kalkulierbar
Den Chefgärtner im Mannheimer Luisenpark, Moritz Ihling, treibt das Thema ebenfalls um. Nun seien Bäume ja gerade in Zeiten des Klimawandels wichtig. Nicht nur, weil sie das schädliche Klimagas CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen, sondern auch gerade an heißen Tagen in ihrem Umfeld für natürliche Kühlung sorgen. Es sei nicht sinnvoll, jetzt in Panik auszubrechen. Aber man müsse einmal mehr erkennen, dass der Mensch der Natur und ihren Gewalten immer wieder ausgesetzt sei. „Es sind nun mal nicht alle Gefahren kalkulierbar“, sagt er.
Für ihn und sein Team bedeutet das gleichwohl, bei der Überwachung noch genauer hinzuschauen. Jeder Baum im Luisenpark sei in einem Baumkataster genau erfasst. Der Zustand und die Vitalitätsstufe aller Bäume werde genau dokumentiert. Maximal neun Monate dauert ein Umlauf, bis alle Bäume genauestens untersucht sind. Dann startet die Kontrolle wieder von vorne. Hinzu kommen Sondertouren nach Gewittern und Stürmen – und eben in Trockenphasen wie jetzt. Auch wenn gerade in diesem Fall die Suche nach potenziell gefährlichen Bäumen schwierig ist. Man habe Querschnitte der abgebrochenen Äste genommen, sie genau untersucht. Alle betroffenen Bäume seien gesund, kein Krankheitsbefall erkennbar. „Du weißt eben nicht, welcher Baum der nächste ist“, schildert Ihling das Dilemma.
Für die Stadtpark-Gärtner ist jedoch klar: Sie richten den Fokus vor allem auf Spielflächen, Liegewiesen. Und das müsse nun letztlich auch für die Verkehrssicherung nicht nur innerhalb der Parks, sondern auch auf den öffentlichen Flächen mit Millionen von Bäumen gelten: „Der Fokus muss in Zukunft auf die Bereiche gerichtet sein, wo sich normalerweise regelmäßig viele Menschen aufhalten.“ Dort gelte es, den größten Schaden zu verhindern, sagt Ihling.
„Durch den Klimawandel werden die Bäume unsicherer“, sagt auch Philipp Schweigler, stellvertretender Leiter des Forstamtes beim Rhein-Neckar-Kreis. Bei Bäumen handle es sich nun mal nicht um eine Stahlkonstruktion, die nach einer DIN-Norm gefertigt ist. Das Gros der Unfälle im Wald gebe es indessen nach Gewittern, Stürmen und Starkregenphasen. Deshalb mahnt Schweigler, in diesen Phasen den Waldspaziergang auf jeden Fall zu meiden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Astbruchgefahr: Klimawandel macht Bäume zum Risiko