Heidelberg. Eine kleine Meerjungfrau hat ihr den Weg zu ihrem Traumberuf gezeigt: Die Tätowiererin Vyta Gud widmet sich ganz der Aufgabe, Menschen ihre Wunschbilder und Geschichten unter die Haut zu zeichnen. Die Meerjungfrau hat ihr ihre Mutter als Kind auf Papier gemalt, während sie eine Gute-Nacht-Geschichte erzählte. Heute verwandelt ihre erwachsene Tochter Geschichten, die nicht selten unter die Haut gehen, zu Bildern, die die Kunden immer bei sich tragen.
Seit zehn Jahren lebt die gebürtige Litauerin Vyta Gud in Heidelberg. Mit 17 Jahren kam sie alleine nach Deutschland: „An meiner Schule gab es keinen Deutschunterricht mehr.“ Ihre Großmutter, die im Rhein-Neckar-Kreis lebte, war die erste Anlaufstelle für den Teenager, der alleine herkam.
Zwei Jahre besuchte Gud in Mannheim eine Schule und absolvierte dann ihr Abitur mit Schwerpunkt Pflege und Gesundheit. Das sei „sehr hart“ gewesen, erinnert sich die junge Frau: Deutsch hatte sie sich vor allem mit Fernsehen weitgehend selbst beigebracht. Heute erinnert allenfalls noch ein kleiner Akzent daran, dass es nicht ihre Muttersprache war - Guds Deutsch ist perfekt.
Vyta Gud und das Tätowieren: Faszination durch Reality-Dokus
Die Faszination für Tattoos weckte ebenfalls das Fernsehen: In Reality-Dokus aus Florida bestaunte Vyta Gud Stars wie Kat Von D. Selbst Tattoo-Künstlerin zu sein, ist fortan ihr größter Traum. Seit ihrer Kindheit hat sie immer einen Zeichenblock und Farbstifte dabei, hält fest, was sie sieht - und was sie bewegt.
Auch wenn die heute 27-Jährige zunächst in der Logistikbranche und in der Gastronomie arbeitete, trug sie den Traumberuf immer in sich. Jüngst hat sie ihre Geschichte beim „Frauenmahl“ in der Heiliggeistkirche vor rund 170 Frauen erzählt.
Das erste Tattoo sticht Vyta Gud auf den eigenen Oberschenkel
Als sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin absolviert, lernt sie über einen Bekannten Alex Weigand kennen, den Inhaber von „Absolute Tattoo“ in der Heidelberger Plöck. Der heute 57-Jährige ist der dienstälteste Tätowierer in der Stadt. Ein halbes Jahr kommt Gud jeden Tag in sein Studio, lässt sich den Umgang mit den Nadeln und der Tinte erklären, die Hygienemaßnahmen zeigen und an Kunsthaut üben.
Und dann darf sie selbst ihr erstes Tattoo stechen: auf den eigenen Oberschenkel. „Ich musste wissen, wie das ist, was meine Kunden dann durchmachen würden.“ Eine Überwindung sei das schon gewesen, räumt sie ein, „aber ich wollte das mehr, als es mit Angst gemacht hat“.
Gud sei sehr talentiert und eine tolle Mitarbeiterin, lobt „Alex“, wie ihn viele ansprechen. Vyta lächelt, fast scheint es ihr peinlich, das zu hören. Dabei hat ihr Chef ihr gerade den größtmöglichen Vertrauensbeweis gezeigt: Er ließ sie ein Tattoo auf seinen Schenkel stechen.
Arbeit in der Heidelberger Altstadt: Zen-ähnlicher Charakter des Berufs
Zwei Jahre ist es nun her, dass Gud zum ersten Mal in den Tattoo-Laden in der Heidelberger Altstadt kam. Ein bis zwei Kunden sieht sie jetzt etwa am Tag. „Wenn ich arbeite, versinke ich komplett in dem, was ich tue“, beschreibt sie den zen-ähnlichen Charakter ihres Berufs. Apropos: Der ist nicht geschützt, was sie bedauert: „Es würde vielen einiges erspart bleiben, wenn die Ausbildung reguliert wäre und es eine Prüfung gäbe“, verweist sie auf Österreich, wo es eine solche Regel gibt.
2019 gab es in Deutschland laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz rund 6000 selbstständige angemeldete Tattoo-Artists. Tätowiererinnen holen gegenüber den einst fast ausschließlich männlichen Tätowierern deutlich auf. „Inzwischen, würde ich schätzen, sind mehr als die Hälfte in unserem Beruf Frauen“, vermutet Alex.
Tätowieren kann gefährlich sein
Dass nicht jeder Tätowierer verantwortlich mit den Kunden umgehen, erfahren die beiden Heidelberger von „Absolute Tattoo“ beinahe täglich, wenn unglückliche oder sogar verzweifelte Menschen in ihren Laden kommen und fragen „ob man da noch etwas machen“ könne - und ihre verhunzten Hautbilder zeigen. Wenn nicht ordentlich gearbeitet werde, könne Tätowieren auch gefährlich sein, weiß Gud. Und Tattoos entfernen zu lassen beim Hautarzt ist nicht nur teuer und schmerzhaft, sondern kann auch sehr langwierig sein.
„Man muss sich viel mit Farbenlehre beschäftigen“, erklärt die Tattoo-Künstlerin Rettungsversuche für andernorts vermurkste Hautbilder. Denn in solchen Fällen kann es erfolgreich sein, ein weiteres Tattoo über da alte zu legen. Sie selbst nimmt sich daher viel Zeit, mit den Kunden zusammen das perfekte Ergebnis anzustreben. Ihre Spezialität sind feine, gerade Linien und verspielte Motive. „Meine Arbeit ist intim“, sagt die 27-Jährige, und meint damit nicht nur Körperstellen, die ihr gezeigt und anvertraut werden.
Viele traurige Geschichten bringen ihre Kunden mit. Eltern, die den Verlust eines Kindes verarbeiten müssen etwa. „Sich ein Tattoo stechen zu lassen, kann dann wie eine Therapie sein“, beschreibt Gud den Prozess, den die Kunden mit ihr durchlaufen. „Wir weinen zusammen, aber wir lachen auch miteinander.“
Erinnerung an die geliebte Dackeldame
Dass man ein geliebtes Wesen immer bei sich tragen möchte, versteht die Heidelberger Haut-Künstlerin sehr gut: Ihre Oma vermisst sie sehr. Und kürzlich erst musste sie sich von ihrer Dackeldame verabschieden, die viele Jahre immer treu an ihrer Seite war und ihr „in einigen sehr dunklen Zeiten“ Kraft gegeben habe. Es steht schon fest, dass Gud sich bald eine Erinnerung an die Hündin stechen lassen wird. Und auch, wer das tun wird: ihr Chef Alex.
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