Heidelberg. Ja, wer hat denn nun gewonnen? Der Moderator ist kurz ratlos. Wie beim Poetry Slam üblich, hat Philipp Herold das Publikum im vollbesetzten Saal des Heidelberger Karlstorbahnhofs per Applaus abstimmen lassen. Es gibt frenetischen Beifall – für alle vier Kandidaten. Eine zweite Abstimmungsrunde muss her. Wieder wird es viermal sehr, sehr laut und am Ende steht fest: Der Pokal aus Schokolade beim Word up! Queer Poetry Slam im Rahmen des Queer Festivals 2025 geht an Sven Hensel.
Der Bochumer, laut Selbstauskunft „Homolobbypropagandagendergagaist“, nimmt als einziger der vier Poetry Slammer an diesem Abend kein Blatt vor den Mund. Während die anderen drei ihre Texte ablesen, spricht er frei, interagiert mit dem Publikum und gestikuliert so wild, dass die Fransen seines Regenbogenponchos hüpfen. Das kommt an, ebenso wie das, was er zu sagen hat. In „Natürlich“ thematisiert er mit Wortwitz und Emotion sein Aufwachsen in der heteronormativen Monokultur einer Kleinstadt. Wie eine „Pusteblume im Beton“ habe er sich gefühlt. Erst als Teil der queeren Community habe er festgestellt: „In der Wiese wächst es sich leichter.“
Mal trotzig, mal verzagt und dann wieder unwiderstehlich sexy
Um Selbstermächtigung und Mut geht es auch in seinem zweiten Beitrag: Mal trotzig, mal verzagt und dann wieder unwiderstehlich sexy schildert er sein Leben als „die Summe aller schwierigen Momente“ und sein Leiden am System, das ihm verwehre, Blut zu spenden, auch wenn seine Brüder am Verbluten seien. „Ich bin kein Fehler in der Matrix“, ruft er selbstbewusst ins Publikum, das erst in der letzten Zeile erfährt: Hensel klagt hier sein eigenes Spiegelbild für seine Unzulänglichkeit an. „Ab heute“ will er ihm glauben, dass er ein „Wunderbärchen“ ist.
Poetry Slams laufen nach festen Regeln ab. Die Texte der Vortragenden müssen selbstverfasst sein, Requisiten oder Instrumente sind verboten. Die Inhalte sind frei wählbar, im „safe space“ des Heidelberger Festivals widmen sich jedoch alle Beiträge queeren Themen. Das Publikum bildet die Jury und stimmt am Ende nach subjektivem Empfinden durch Beifall ab.
Singer-Songwriterin Joules the Fox eröffnet den Abend
Die Zuschauer – an diesem Abend sind viele von ihnen Angehörige der LGBTQ+-Community und „Allys“, also heterosexuelle und cisgeschlechtliche Personen, die für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen eintreten – begegnen allen vier Teilnehmenden des Dichterwettstreits mit größter Wertschätzung. Die musikalische Eröffnung durch die Singer-Songwriterin Joules the Fox schafft die passende Atmosphäre.
Lennart Heins berichtet von den Zumutungen eines Familienfests und seiner Suche nach seinem Platz in der schwulen Szene. Anna Luca Ames erinnert sich in „Zugvögel“ an die Oma und entwirft als eingesperrte queere Person namens „2271B3“ eine bedrückende Dystopie eines diktatorisch regierten Landes, in dem Poetry Slams als Volksverhetzung gelten. Ria Luft wünscht sich „das Privileg der Unsichtbarkeit“ und erzählt mit einiger Wut im Bauch von seelischen Verletzungen, die sich als immer neue kleine Narben zu den anderen gesellen. Ihr zweiter Vortrag ist ein Plädoyer für einen Aufklärungsunterricht, der über biologische Prozesse hinausgeht, und fürs Miteinander-Reden, denn: „Gut geredet ist fast schon gut gebumst.“
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