Mannheim. In elf Städten war sie schon, die erstmals im Bundestag gezeigte Ausstellung „gefährdet leben – Queere Menschen 1933 -1945“. Jetzt berichtet die von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld erarbeitete Dokumentation im Foyer der Abendakademie über Schicksale, gesellschaftliche Ausgrenzung, Verfolgung. Es geht aber auch um Freundschaft, Liebe, Selbstfindung und den Willen, die Zeit der Verfolgung zu überstehen – beispielsweise mittels „Maskierung“ wie das Eingehen einer „Kameradschaftsehe“.
„Queer“, dieser Begriff gab es während der Nazi-Herrschaft nicht. Männer und Frauen, die in ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität von der Norm abwichen, wurden als widernatürliche wie staatsfeindliche „Volksschädlinge“ gebrandmarkt. Deshalb entschloss sich das Ausstellungsteam, den offenen wie auch wissenschaftlich geprägten Oberbegriff „queer“ zu wählen, wie Helmut Metzner, geschäftsführender Stiftungs-Vorstand erläutert.
Die gut besuchte Vernissage eröffnen die „RosaKehlchen“, die ganz bewusst auch den durch Zarah Leander berühmten Schlager „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ singen. Geschrieben hatte ihn der wegen seiner Homosexualität verhaftete Textdichter Bruno Balz.
Margret Göth, der als LSBTI-Beauftragte der Stadt die Chancengleichheit von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten am Herzen liegt, berichtet, dass sich der 1992 in Heidelberg gegründete Schwulenchor die bis ins Jahr 2000 verweigerte Aufnahme in den Badischen Sängerbund gerichtlich erstritten hat. Als Geschäftsführerin der Abendakadmie und als Hausherrin heißt Susanne Deß „alle Menschen“ willkommen und betont, dass sich die Volkshochschule als „Ort gelebter Vielfalt und gelebter Demokratie“ versteht.
Auch im Jahr 2025 fühlen sich queere Menschen nicht sicher
Kulturbürgermeister Thorsten Riehle begrüßt, dass die Dokumentation im Foyer einer zentralen Bildungseinrichtung (U 1, 16-19) als „positiver Störfaktor“ Blicke auf sich zieht. Nicht nur er merkt mit Sorge an, dass selbst in einer liberalen Stadt wie Mannheim queere Menschen mit Anfeindungen zu kämpfen haben. Aufmerksam und hellhörig bleiben, „damit wir nie wieder dahin kommen, worüber die Ausstellung informiert“, mahnt Stiftungsvorstand Metzner. Und die Bitte von Margret Göth, keine Handy-Fotos von dem Abend ohne Rücksprache mit abgebildeten Personen in sozialen Medien zu posten, kündet davon, dass sich queere Menschen auch 2025 nicht sicher fühlen.
Fünf Inseln gliedern die Dokumentation. Die Tafeln zur „Zerschlagung von Infrastruktur“ vermitteln, dass queere Menschen in der Weimarer Republik sichtbar waren – jedenfalls in Berlin, wo an 44 Zeitungskiosken Publikationen wie „Der Eigene“, „Die Freundin“ oder „Eros“ erhältlich waren. Zu der Szene gehörte auch das „Wissenschaftlich-humanitäre Komitee“, mit dem Ziel, den Homosexuellen-Strafparagrafen mittels medizinisch-juristischem Sachverstand abzuschaffen. Und dies auf der Grundlage der von dem Arzt und WhK-Mitbegründer Magnus Hirschfeld postulierten Maxime: „Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit“. Das von ihm 1919 gegründete weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft sollte im Mai 1933 geplündert werden.
Pro-Forma-Ehefrau toleriert Männerfreundschaft
Das Kapitel „Ausgrenzung und Entgrenzung“ schildert, wie das „Fangnetz des Rechts“ geknüpft, der Paragraf 175 verschärft und obendrein ohne gesetzliche Grundlage, Beispiel „Vorbeugehaft“, agiert wurde. Die Ausstellung kündet aber auch von „Selbstbehauptung und Eigensinn“. So ist der Schneidermeister Paul Otto eine Pro-Forma-Ehe eingegangen. Mit seinem Freund Harry sollte er bis zu dessen Tod 1983 verbunden bleiben. Die Freundschaft der beiden Männer tolerierte die Ehefrau. Manchmal blieb jedoch nur die Flucht in den Tod.
Die NS-Justiz hat rund 50.000 Menschen verurteilt, meist homosexuelle Männer, aber auch Lesben und Prostituierte
Es sind Gefängnisse, Zuchthaus und KZ, die als Haftorte ausgeleuchtet werden: Die NS-Justiz hat rund 50.000 Menschen verurteilt, meist homosexuelle Männer, aber auch Lesben und Prostituierte. Nach 1945 sollten Diskriminierung und Verfolgung keineswegs enden – es gab nur zögerlich emanzipatorische Neuanfänge. Das Schicksal des aus Ludwigshafen stammenden und in Mannheim lebenden Klaus Schirdewahn steht dafür: Er war noch keine 18, als er 1964 mit seinem bereits volljährigen Freund aufgegriffen und verurteilt wurde. Statt einer Gefängnisstrafe musste er eine „Heil-Behandlung“ über sich ergehen lassen. Auf Drängen des „Therapeuten“ wie der Eltern heiratete er.
Knapp sechs Jahrzehnte später sollte Klaus Schirdewahn bei einer Rede im Bundestag zurückblicken: „Noch vor wenigen Jahren war ich tief in meinem Inneren verunsichert, schämte mich meiner Gefühle, versteckte mich, war immer auf der Hut, nur ja nichts Falsches zu sagen …“ Anschuldigungen wie „Schande“, „Todsünde“, „Verbrechen“, berichtete er, trieben ihn in Depressionen und körperliche Schmerzen. Schließlich galt der Paragraf 175 bis 1969 und wurde erst 1994 komplett aus dem Strafgesetzbuch entfernt. Heute engagiert sich Schirdewahn für schwule Senioren und geht als Zeitzeuge in Schulen.
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