Heidelberg. Ein Musical in fünf Akten mit mehr als 60 kleinen Plastiktierchen - und einem ernsten Hintergrund: Der Heidelberger Künstler Peter Bösselmann rückt mit seinem Singspiel „Von Tag zu Tag“ die Klimakrise ins Zentrum. Unterstützt haben ihn bei dem Projekt rund zwei Dutzend Heidelberger, die den Figürchen ihre Stimme leihen. Das fertige, 28 Minuten lange Werk wird im September noch zwei Mal im „Atelier im Klausenpfad“ im Heidelberger Stadtteil Handschuhsheim gezeigt.
Die Biene Maja macht einen abgegriffenen Eindruck, einem Plastikmännchen fehlt der Kopf. Der Porzellan-Pudel versprüht Charme aus seinen aufgepinselten Augen. Sie sind nicht perfekt, die Darsteller dieses besonderen Musicals. Jeder Charakter bringt eine eigene Geschichte mit. Einige Figuren rettete das Engagement vor der Kamera bestimmt vor dem Schicksal, Müll zu werden.
Auf Flohmärkten sammelte Bösselmann seine Filmakteure. In den folgenden Wochen reisten einige mit ihnen umher: „Ich stellte einzelne im Café vor mir auf den Tisch und schaute sie an, mit Block und Stift in der Hand“, beschreibt der Künstler die Beziehung zu den Darstellern, zu denen auch ein getöpferter Hamster und ein „Gauner-Dinosaurier“ gehören. Die Statements, die ihm bei dieser Gelegenheit von den Figuren zugespielt wurden, tippte er ab und hängte sie an die Wand bei seiner Kunstaktion „Der lange Tag“. Für Bösselmann das Vorläuferprojekt des nun produzierten Musicals: Für ein Fotoprojekt reiste er in die französische Partnerstadt Montpellier.
Idee im Verkehrsstau entstanden
„Wir gerieten auf dem Weg dorthin in einen langen Autobahnstau“, erinnert er sich. Aus dem Bild der kilometerlang aneinandergereihten Autos entstand die Idee, eine solche Schlange mit Figuren abzubilden. Etwa ein Jahr lang sammelte der Künstler Figuren aus allen möglichen Materialien und reihte sie schließlich in seinem Atelier auf einer halbhohen Anrichte auf. Zufrieden war er damit nicht: „Die Besucher blickten von oben auf die Figuren herab - das passte nicht, so kamen sie nicht zu ihrem Recht“, erinnert sich Bösselmann, der gerne mit Akribie ans Werk geht. Er wollte seinen Fundstücken, die in überwiegender Zahl so lebendig schauen können, mit Stimmen ausstatten.
Die Tiere stehen nun still auf ihrer aus Kunststoff geschnitzten Insel - Bewegung bringt allein die Kamera in das Singspiel. Mittels Heranzoomen, Vorbeischwenken oder Überfliegen bekommen die Bilder Dynamik. Die Linse rückt den kleinen Gesichtchen nahe, lässt sie lebendig werden. Fast ein Jahr lang nahm sich Bösselmann Zeit für die Umsetzung des Projekts, das von der Stadt unterstützt wurde. „Ich bin kein professioneller Trickfilmer“, räumt er ein. Sein Handwerkszeug verfeinert der Grafikdesigner mit seinen unterschiedlichen Projekten. Eine Insel, dem Untergang geweiht: Trotz des apokalyptischen Stoffs, der Endzeit-Stimmung und der Einteilung der Erzählung in Tage möchte Bösselmann keinen Bezug zur Bibel herstellen. Seine Hauptfiguren - die Ente auf Rädern (gesprochen von Martina Heinrich), der Astronaut (Tenor Simon Schaugg), der Hamster (Sopranistin Bernadette Pack), der Clown (Tenor Tilman Bracher), das Huhn (Bösselmann) und der Kugelclown (Bariton Manuel Heuser) gehen sehr unterschiedlich mit der unausweichlichen Situation um: Der Eine redet sie sich schön, der Andere sucht Ausflüchte und die Lösung auf dem Mond, der Dritte glaubt an Verschwörung.
Hysterisches Schaf dabei
Und was sagen die Heidelberger, die den Gummi-, Holz- oder Plastikdarstellern ihre Stimmen liehen? „Es ist immer ein Vergnügen, für Peters Projekte Texte einzusprechen - er arbeitet höchst professionell und holt noch das Letzte aus einem heraus“, lobt Autorin und Übersetzerin Barbara Imgrund. „So hat er es hier bei ,Von Tag zu Tag’ geschafft, dass ich mich nach der gefühlt hundertzwanzigsten Wiederholung von ,Schöner Tag heute’ endlich in ein hysterisches Schaf mit Marienkäfer auf der Nase einfühlen konnte.“
Die Sprecher bekamen ihre Figuren übrigens zugeteilt, konnten sie nicht selbst wählen. Nur Bösselmann selbst, der ebenfalls eine kleine Sprechrolle hatte, suchte sich sein Tierchen aus: ein buntes Huhn, das wohl mal in einem Schokoladenei gesteckt haben muss. Vorstellungen: am 16. und 23- September, Einlass (nach Anmeldung per Mail an mail@klausenpfad.de) 20 Uhr, Beginn 20.30 Uhr.
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