Heidelberg. Hinter der Grundschullehrerin hängt ein Kalender aus Filz. Tage, Monate und Jahreszahlen lassen sich mit Klettverschluss variabel an sieben Zugwaggons befestigen. Anaïs, Merlin, Finn und Rose sitzen mit den anderen Kindern – alle zwischen zwei und fünf Jahre alt – im Halbkreis um die junge Frau herum. Gemeinsam „basteln“ sie das Tagesdatum, suchen Zahlen und Buchstaben und sprechen sie laut aus – alles auf Französisch. Die Kita der französischen Vor- und Grundschule Pierre et Marie Curie in Heidelberg fördert das Lesen und Schreiben schon früh – und hat sich für den Deutschen Lesepreis 2025 beworben. Die Schule hat es auf die Shortlist geschafft, die Gewinner werden im Februar bekannt gegeben.
An der Wand hängen Bilder, auf denen bunte Striche zu sehen sind: „Wir arbeiten gerade an den Buchstaben mit den senkrechten Linien“, erklärt die Pädagogin Virginie. Seit drei Jahren unterrichtet sie an der École Pierre et Marie Curie in Heidelberg-Wieblingen. Die gebürtige Nordfranzösin hat in Frankreich eine Ausbildung zur Grundschullehrerin absolviert und eine Zusatzqualifikation für Französisch als Fremdsprache. „Beides zusammen kann ich hier gut einbringen“, sagt sie. Ihren Nachnamen möchte die junge Frau in diesem Bericht lieber nicht lesen. Mehr als die Hälfte der Kinder, mit denen sie heute ausschließlich in ihrer Muttersprache spricht, konnten vor ihrer Ankunft hier kein Französisch. „Die Kinder lernen unglaublich schnell“, freut sich die Lehrerin. Und so plappert auch Jonas gerne mit. Lautübungen stehen auch an diesem Vormittag auf dem Programm: „p“, „t“, „k“ – es ploppt aus den kleinen Mündern. Auch wenn die Mädchen und Jungen noch nicht richtig lesen können, wählen sie schon gezielt die richtigen Namensschilder aus, um zum Beispiel zu benennen, wer heute dabei ist – und wer leider krank zu Hause bleiben musste. „Für die ganz Kleinen haben wir Fotos auf die Namensschilder geklebt“, erklärt die Fachkraft.
Aufnahme in den Kindergarten ab zwei Jahre möglich
In der Einrichtung am Wieblinger Weg können bis zu 95 Kinder bilingual betreut werden, im Kindergartenbereich (drei bis sechs Jahre) sind es derzeit 70 Kinder. Bei den Zweijährigen sind derzeit zehn Plätze frei, weitere zehn Kinder sind bereits angemeldet und werden im Laufe des Kindergartenjahres dazukommen. Aufgenommen werden Mädchen und Jungen ab zwei Jahren. Die Kinder wachsen zweisprachig auf – und werden früh an Bücher und das Lesen herangeführt.
In jeder Gruppe der Kita der Vor- und Grundschule Marie und Pierre Curie gibt es französisch- und deutschsprachige Fachkräfte. Umgesetzt werden sowohl der französische als auch der deutsche Lehrplan („Orientierungsplan“).
„Unsere Kinder kommen aus Heidelberg, Mannheim und Umgebung. Nominiert wurden wir für unsere herausragende Arbeit in der Sprach- und Leseförderung“, berichtet Verena Heckmann, Vorstandsmitglied des Trägervereins der französischen Vor- und Grundschule: „Die Kinder leihen sich regelmäßig Bücher aus der Kita-Bibliothek aus und nehmen sie mit nach Hause, vor der Schule gibt es ein Büchertauschregal, in dem die Familien ihre eigenen Bücher untereinander tauschen können, die Kinder verarbeiten vorgelesene Geschichten kreativ oder szenisch, bei den Jüngeren wird das Erkennen und erste Modellieren von Buchstaben geübt (zum Beispiel mit Knete), ab etwa vier Jahren kommen erste Schreibversuche hinzu.
Jeden Morgen begrüßt Schulleiter Thierry Meyer die Kinder an der Pforte der Schule im Wieblinger Weg 9, zu der neben einer alten Villa inzwischen auch ein Neubau und ein großes Außengelände gehören. Das pädagogische Team besteht aus vier französischen und fünf deutschen Erziehern. Hinzu kommen fünf Kinderpflegerinnen, die fest in die Gruppen integriert sind. „Wir sind überzeugt, dass Lesen und Schreiben eng miteinander verbunden sind. Wir lassen die Kinder auch andere Sprachen entdecken, im laufenden Kita-Jahr durch eine Mutter, die englische Kinderbücher vorgelesen hat, und im Rahmen einer internationalen Woche, in der Eltern ihre Muttersprache vorgestellt haben“, ergänzt Heckmann.
Die französische Schule Pierre et Marie Curie wurde 1997 in Eigeninitiative gegründet und ist eine private Einrichtung in freier Trägerschaft des Vereins Association de l’école française, maternelle et primaire Pierre et Marie Curie. Diese Einrichtung ist eine französische Schule im Ausland, die vertraglich an das Schulnetz der Agence pour l’Enseignement Français à l’Étranger (AEFE) gebunden ist.
Zwei Drittel Französisch, ein Drittel Deutsch
Diszipliniert löst sich die im Halbkreis sitzende Gruppe auf und verteilt sich an vier Tischen im Raum. Mehrere „activités“ stehen nun für die nächste halbe Stunde auf dem Programm: Während die Kleineren aus Knete lustige „bonhommes“ (Männchen) formen, üben die Größeren auf Arbeitsblättern das Zeichnen von geschwungenen Linien für „runde“ Buchstaben.
Zwei Drittel Betreuung auf Französisch, ein Drittel auf Deutsch: Jetzt kommt Jonathan Langer in die Gruppe. Ab jetzt wird nur noch Deutsch gesprochen. Der Grundschullehrer war selbst als Kind in der Schule Pierre et Marie Curie.
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