Herr Wellhöfer, Ihren zweiten Salon du livre machen Sie nun in Mannheim. Warum nicht wieder in Wissembourg?
Ulrich Wellhöfer: Wir müssen alles dafür tun, beide Seiten füreinander zu interessieren und zu begeistern. Daher ist eine alternierende Bücherschau in Mannheim und Wissembourg die logische Konsequenz. An beiden Orten sind wir verlegerisch und mit Kulturevents tätig und vernetzt. Der erste Salon du livre in Wissembourg war sehr erfolgreich. Kurz danach kam das Institut Français auf uns zu, dann hat sich alles gefügt. 2025 sind wir wieder in Wissembourg.
Und für Sie Frau Luquet, worin besteht der Reiz an der kleinen Literaturmesse?
Juliette Luquet: Ich habe oft erlebt, wie begeistert die Menschen auf Buchmessen sind – auch in sehr kleinen Städten. Man kann da Bücher und Verlage entdecken, die in den meisten Buchhandlungen nicht präsent sind, wir zeigen den literarischen Reichtum unserer Länder und fördern den kulturellen Austausch. In diesem Jahr, in dem des D-Days gedacht wird, bot sich das Thema „Erinnern für die Zukunft“ an.
Und wie schätzen Sie die deutsch-französische Community in Mannheim ein? Wollen Sie die literarischen Aktivitäten auch in Mannheim intensivieren?
Luquet: In Mannheim und der Region gibt es eine aktive Gemeinschaft von Frankreichliebhabern, die durch boomende Französischkurse und ein vielfältiges kulturelles Angebot, einschließlich literarischer Veranstaltungen und Lesungen, gefördert wird. Zu den kommenden Veranstaltungen gehören die Vorstellung von Alexander Oetkers Roman „Wilder Wein“ und eine inklusive Lesung mit Adèle Rosenfeld.
Herr Wellhöfer, woher rührt eigentlich Ihre Leidenschaft für Frankreich?
Wellhöfer: Aufgewachsen in Speyer, unternahm ich als 15-Jähriger Mitte der 80er meine erste Radtour nach Straßburg. Dort begegnete uns ein alter Mann, der trotz seiner schlimmen Kriegserfahrungen keinen Groll gegen uns junge Deutsche hegte. Seine freundschaftlichen Worte haben mich tief berührt und die Bedeutung seiner Haltung wurde mir erst später voll bewusst. Diese Begegnung hat meine Leidenschaft für das Elsass und später für ganz Frankreich geweckt. Nur mit der französischen Sprache hatte ich lange meine Schwierigkeiten.
Was sind denn Ihre Erfahrungen mit der deutsch-französischen Freundschaft, Frau Luquet. Mit Macron und Scholz hat sie ja zumindest politisch doch etwas gelitten....
Luquet: Mein Großvater war Zwangsarbeiter in Mannheim, schwieg darüber jedoch. Stattdessen engagierten er und meine Großmutter sich leidenschaftlich für die Städtepartnerschaft zwischen Epinal und Schwäbisch-Hall. Diese Haltung hat mich geprägt: Austausch ist der Schlüssel zu Verständnis und Bereicherung. Als Erasmusstudentin in Mainz traf ich meinen deutschen Ehemann aus Brandenburg. Unsere deutsch-französischen Kinder besuchten die École Française in Heidelberg, wo ich unterrichtet habe. Im Institut Français Mannheim erlebe ich täglich die Wertschätzung der deutsch-französischen Freundschaft und sehe großes Potenzial im Austausch mit Jugendlichen.
Luquet, Wellhöfer und der französische Salon du livre
- Juliette Luquet: Luquet unterrichtete lange Zeit an der École Française Pierre et Marie Curie in Heidelberg und leitet nun das Institut Français Mannheim, dessen Ziel die Förderung der französischen Sprache und Kultur in der Metropolregion Rhein-Neckar ist.
- Ulrich Wellhöfer: Wellhöfer ist in Mannheim und im Elsass als Verleger, Autor und Betreiber des Kultur- und Ferienhauses Pfistermühle aktiv. In zahlreichen Publikationen sowie als Initiator, Organisator und Förderer zahlreicher Kulturevents, wie dem Feudenheimer Kultursommer, zwei- und dreisprachigen Veranstaltungen im Kulturhaus Pfistermühle und einem grenzüberschreitenden Musikfestival, wirbt Wellhöfer dafür, Grenzen zu überwinden.
- Die Buchmesse: Der „Salon franco-allemand du livre“ ist am Samstag und Sonntag, 24./25. November, im REM-Zeughaus je von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Mit Buchverkauf.
Wie wichtig ist die Literatur für diesen Austausch?
Wellhöfer: Literatur kann uns fremde oder vermeintlich bekannte Welten neu erschließen. Und den Gedankenaustausch fördern. Unser Autor Martin Graff bezeichnete seine grenzüberschreitenden Erzählungen und Essays passenderweise als „Gedankenschmuggel“.
Frau Luquet, Sie sprachen ja vom Potenzial des kulturellen Austauschs bei Jugendlichen. Herr Wellhöfer spricht von Martin Graff, der vor drei Jahren im Alter von 77 Jahren gestorben ist. Inwiefern wird der Salon auch ein Salon für die Jugend?
Luquet: Aus Frankreich kommen der Verlag Baguette & Marmelade, der mit seinen deutsch-französischen Zeitschriften für Kinder und Jugendliche erfolgreich ist, sowie der Verlag Kidi-Kunst. Zusätzlich wird es eine Themeninsel mit Comics geben. Auf deutscher Seite konnten wir den Pastorplatz-Verlag gewinnen, der ganz besondere illustrierte Bücher für Kinder und Jugendliche anbietet.
Wellhöfer: Und natürlich richtet sich das Motto des Büchersalons „Erinnern für die Zukunft“ auch und besonders an Jüngere. Es gibt kaum mehr Zeitzeugen für die schlimmsten Zeiten zwischen Deutschland und Frankreich, die direkt über die Bedeutung der Freundschaft zwischen diesen Ländern und ihrer Menschen berichten können. Zeitzeugenbücher, Biografien, Romane und Sachbücher, die wir zu diesem Themenschwerpunkt ausstellen, werden also immer wichtiger. Gerade in Frankreich gibt es längst auch sehr innovative Wege, die Jungen für das Thema zu interessieren, etwa durch sehr ernste, aber eben auch packende Comic-Bücher mit einer ganz eigenen Text- und Bildsprache. Das wollen wir auch zeigen.
Sie klingen total optimistisch, spiegelt sich dieser Optimismus denn tatsächlich auf dem Buchmarkt für die Jugend wider?
Wellhöfer: Studien zeigen, dass seit Jahren die Zahlen der jungen Buchkäufer steigen. Die Frage bleibt, wie man junge Leserinnen und Leser nachhaltig für die Themen deutsch-französische Freundschaft und eine grenzüberschreitende Erinnerungskultur sensibilisiert. Hier sind auch die Schulen gefragt. Wir hoffen, dass auch viele Lehrkräfte kommen.
Mit wie viel Erwachsenen und Kindern rechnen Sie, wann werden Sie mit dem Publikumszuspruch zufrieden sein?
Wellhöfer: Schwer zu schätzen, bei der ersten Buchmesse hatten wir über tausend Besucher.
Luquet: Wir setzen alles daran, ein breites Publikum zu interessieren. Wir möchten vor allem die Gelegenheit zum Austausch bieten und Entdeckungen ermöglichen.
Ab welcher Besucherzahl werden Sie den Salon in Mannheim wiederholen?
Wellhöfer: Wir sind zuversichtlich, den Erfolg unserer ersten Bücherschau in Mannheim auszubauen. Das Pilotprojekt in Wissembourg führte etwa zu Begegnungen zwischen Autoren und Verlagen, die zu neuen Buchprojekten führten, sowie zwischen Übersetzern und Autoren. Besonders Leser haben Werke kleiner unabhängiger Verlage entdeckt. Die Besucherzahl allein ist da nicht entscheidend, vielmehr zählt die Qualität der Begegnungen und Entdeckungen.
Aber Sie sind doch Verleger, Sie müssen doch wirtschaftlich denken. Rechnet sich so ein Salon du livre denn?
Wellhöfer: Die direkte Wirtschaftlichkeit ist nicht unser Hauptziel. Vielmehr kämpfen kleine unabhängige Verlage um Sichtbarkeit, um in der Nische zu überleben. Viele engagieren sich leidenschaftlich für ihre Themen, was allen zugutekommt. Idealismus und Wirtschaftlichkeit schließen sich dabei nicht aus. Bei Bücherschauen verkaufen wir Bücher, und unser Kulturhaus wird nach Veranstaltungen gerne für private Feiern gemietet. Zudem vermieten wir es regulär an Feriengäste. Die Einnahmen finanzieren unser Kulturprogramm, wodurch sich alles gegenseitig ergänzt und unterstützt.
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