Interview

Rundgang über queeres Leben in Heidelberg: Was Teilnehmende erwartet

Eine Stadtführung mit Blick auf das queere Leben in Heidelberg bietet Steffen Schmid an. Seine Geschichten erzählen von einem schwulen Regenten und vielen berührenden Schicksalen

Von 
Michaela Roßner
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Steffen Schmid organisiert seit 2021 die Tour „Kreuz und queer durch Heidelberg“. © Queer-Tour

Heidelberg. Herr Schmid, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Stadtführung zum Thema Homosexualität und queeres Leben anzubieten?

Steffen Schmid: Ich habe als queerer Mensch festgestellt, dass sowohl bei der Gästeführer-Ausbildung, als auch im Stadtmarketing das Thema „Homosexualität und Heidelberger Geschichte“ nirgends vorkam. Ich finde es wichtig – auch für die Identifikation queerer Menschen mit ihrer Stadt – , dass dieses Thema beleuchtet wird. Auch wollte ich queeres Leben in Heidelberg dadurch sichtbarer machen.

Wo haben sie die Fakten gefunden, die sie zusammengetragen haben?

Schmid: Das war schwierig. Ich musste feststellen, dass das Leben von queeren Menschen über die Jahrhunderte geprägt war von Ausgrenzung, Angst und Scham – und damit auch von Totschweigen, auch in Heidelberg. Die Spurensuche war aufwändig und hat eine lange Anlaufzeit benötigt. Ich war unter anderem in mehreren Archiven von Tageszeitungen, der Universität, im Stadtarchiv oder auch im Schwulenmuseum in Berlin. Was mir aber am meisten weitergeholfen hat, waren die Zeitzeugen.

Die Stationen der Tour über queeres Leben in Heidelberg liegen alle in der Altstadt. © Redaktion

Welche Stationen gibt es auf der „Queer-Tour“ und wie lange ist man unterwegs?

Schmid: Die Stationen liegen alle in der Altstadt und ich versuche, in gut zwei Stunden die wichtigsten Sehenswürdigkeiten historisch zu erklären und dann einen „queeren Blick“ darauf zu richten. Aber es gibt auch nicht so bekannte Orte, die mit queerem Leben zu tun haben, beispielsweise das Haus von Magnus Hirschfeld, in dem er während seiner Studienzeit lebte. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Orte es gibt, die zumindest einen kleinen queeren Aspekt besitzen. Zum Beispiel das Schloss: Kaum bekannt sei etwa, dass die im Heidelberger Schloss geborene Liselotte von der Pfalz mit dem homosexuellen Bruder des Sonnenkönigs Ludwig XIV, Philippe I., verheiratet wurde, um einen Krieg zu verhindern. Philippe von Orléans ist schon als Kind in Frauenkleider gesteckt und bewusst „weiblich“ erzogen worden, damit der dem großen Bruder nicht Konkurrenz macht.

Sie widmen sich unter anderem dem berüchtigten „Paragrafen 175“. Was hatte es damit auf sich?

Schmid: Der Paragraf 175 stellte sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe. Die Nazis haben den Paragrafen noch einmal drastisch verschärft. Man konnte bis zu zehn Jahre ins Gefängnis kommen. Sämtliche „unzüchtigen Handlungen“ konnten bestraft werden. Damit war natürlich Willkür und Denunziantentum Tür und Tor geöffnet. Denn: Was ist eine „unzüchtige Handlung“? Zum Teil sind Menschen schon aufgrund eines Blicks oder einer Umarmung ins Zuchthaus gewandert. In Heidelberg gibt es aktuell mehr als 300 „Stolpersteine“, die an von den Nazis ermordeten Menschen erinnern. Einer davon ist einem schwulen Mann, Richard Max Broosch, gewidmet, der 1943 wegen seiner Homosexualität von den Nazis im KZ Mauthausen ermordet wurde. Die Geschichte dieses jungen Mannes erzähle ich ebenfalls auf der Tour.

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Sie haben ein Schicksal recherchiert, bei dem ein Mann mit einem Sprung von der Alten Brücke verzweifelt versuchte, sein Leben zu beenden ...

Schmid: Durch den Paragrafen 175 ist provoziert worden, dass queere Menschen Opfer von Erpressung wurden. Dieser Geschäftsmann, der in der Floringasse einen Gewürzwarengeschäft hatte, ist von seinem ehemaligen Liebhaber erpresst worden. Weil er das Geld nicht auftreiben konnte und weil er Angst vor der gesellschaftlichen Ächtung hatte, ist er in den Neckar gesprungen. Er konnte glücklicherweise gerettet werden.

Wie haben Sie von diesem Schicksal erfahren?

Schmid: Bei einer Ausstellung „Queeres Leben im Rhein-Neckar-Raum“ in Ludwigshafen vor etwa zehn Jahren bin ich im Impressum auf den Namen Rainer Hoffschildt gestoßen. Ich habe ihn in Hannover besucht. Seine Wohnung ist voll mit schwuler Geschichte. Er setzt sich heute besonders dafür ein, homosexuellen Opfern aus Konzentrationslagern einen Namen zu geben. Er recherchiert bestimmt seit mehr als 40 Jahren. Aus seiner Arbeit hat er mir alles zu Heidelberg herausgefiltert. Da war die Geschichte von Jakob Gassert eben auch dabei, zu dem es noch Gerichtsurkunden gibt.

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Die Tour wird seit 2021 angeboten. Wie ist die Resonanz?

Schmid: Die Tour wird sehr viel nachgefragt. Ich biete sie an sechs Terminen im Jahr als öffentliche Tour an, zusätzlich können private Gruppen buchen. Das war 2022 rund 25 Mal der Fall, 2023 mehr als 15 Mal und dieses Jahr sind es schon ähnlich viele Anfragen. Ich gebe die Teilnehmerbeiträge – jede gibt, soviel er mag und kann – komplett weiter als Spende an „Queeramnesty“, eine bundesweite Themengruppe von Amnesty International Deutschland, die sich um Fälle von Menschenrechtsverletzungen an queeren Menschen kümmert. Diese Arbeit zu unterstützen, liegt mir sehr am Herzen.

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Was unterscheidet ihre Tour von anderen Stadtrundgängen?

Schmid: Der Schwerpunkt Queerness und Homosexualität widmet sich einem Thema, das noch vor nicht allzu langer Zeit ein Verbrechen darstellte. Bis 1994 gab es es diesen Paragrafen 175. Ich weiß, dass es gerade für viele Zeitzeugen – ältere schwule Männer – schwer war, sich ein Stück weit zu outen, indem sie an der Tour teilgenommen hatten. Sie kannten lange nur: Wir müssen uns verstecken, es darf keiner wissen. So eine Tour ist emotional etwas ganz Anderes, als eine rein kulturhistorische Erklärung der Sehenswürdigkeiten. Es ist emotionaler, intimer, als jede andere Tour. Oft sind auch Zeitzeugen dabei, die eigene Erinnerungen teilen. Alle in der Gruppe bekommen dann die Interaktion und das Authentische mit.

Wer kommt zu Ihren „Queer-Touren“?

Schmid: Vor allem Menschen aus Heidelberg und der Region, auch Firmen, die queere Gruppen haben. Es sind viele Studierendengruppen dabei, die ganz andere Fragen stellen als Ältere. Jede Tour wird so wieder anders. Das macht es auch für mich als Gästeführer so spannend. Das Einzugsgebiet reicht von Mainz über Frankfurt bis Stuttgart.

Tourismus-Experte

  • Steffen Schmid (Jahrgang 1965) ist im Schwarzwald geboren und aufgewachsen und lebte viele Jahre auf Sylt.
  • Seit 24 Jahren lebt und arbeitet er in Heidelberg.
  • Der Tourismusbetriebswirt arbeitet im Hauptberuf als Projektmanager bei Heidelberg Marketing.
  • Nach einer Ausbildung zum Heidelberger Gästeführer führt er im Nebenberuf Besucher durch Heidelberg.
  • Seit 2021 bietet Schmid den gut zweistündigen Altstadtrundgang „Queer-Tour“ an. Der nächste Termin ist Freitag, 17. Mai, 11 Uhr.
  • Infos unter: www.queertour-heidelberg.de

Wie beurteilen sie das Leben als queerer Mensch heute in Heidelberg?

Schmid: Wir Queer-Menschen in Deutschland und in Heidelberg dürfen wirklich zufrieden sein und können gut hier leben. Ich muss aber betonen, es gibt immer noch genügend zu tun. Selbstbestimmungsgesetz, Transmenschen insbesondere, andere sexuelle Identitäten ... Aber wenn man auf die Weltkarte schaut, wenn wir uns vergleichen mit Ländern wie Russland, Iran, Saudi Arabien, Nigeria oder Uganda – dort ist gerade wieder die Todesstrafe für Homosexuelle eingeführt worden – in diesem Vergleich können wir in Deutschland wirklich gut leben und ich erfahre von der Politik und von der Stadt Heidelberg wirklich sehr viel Zuspruch für die „Queer-Tour“.

Auch, weil Heidelberg Mitglied des Rainbow-Cities-Netzwerks ist?

Schmid: Ja. Ich höre immer: In Heidelberg gibt es keinen einzigen Club oder keine einzige Gastronomie, die speziell queere Menschen ansprechen – das soll eine Rainbow City sein? Das stimmt, man muss in Heidelberg etwas genauer hinschauen. Aber wenn man das tut, entdeckt man vieles. Am runden Tisch „Sexuelle Vielfalt“, den der frühere Bürgermeister Wolfgang Erichson initiiert hat, treffen sich inzwischen rund 30 Initiativen und Vereine. Es gibt ein Riesenangebot für queere Menschen. Es könnte allerdings noch ein deutliches Stück sichtbarer sein. Im Mai wird das „Queer-Festival“ uns wieder zeigen, wie es immer sein könnte.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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