Mobilität

Radkongress in Heidelberg: Mobilitätsoffensive im Musterländle

Beim Radkongress in Heidelberg tauschen sich zwei Tage lang 500 Teilnehmende aus Deutschland und den Niederlanden aus. Die Stadt am Neckar gilt zwar als Fahrradstadt - dennoch sind auch kritische Stimmen zu hören.

Von 
Joachim Klaehn
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Anlässlich des Radkongresses in Heidelberg erläutern Landesminister Winfried Hermann, Oberbürgermeister Eckart Würzner und Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain auf dem Europaplatz die Hintergründe. © Philipp Rothe

Rhein-Neckar. Das Land Baden-Württemberg macht mobil – und drückt dabei aufs Tempo in Sachen Radverkehr. Dies wird beim Radkongress deutlich, der zwei Tage lang in Heidelberg mit 500 Teilnehmenden aus dem „Musterländle“, ganz Deutschland und einer niederländischen Delegation über die Bühne geht. Zentraler Punkt: Verkehrsminister Winfried Hermann und sein Team stellen das neue Umsetzungsprogramm der „RadSTRATEGIE 2025 – 2030“ vor, das von den 100 Stakeholdern aus Landes- und Kommunalverwaltung, Verbänden und Verkehrsunternehmen nach einem sechsmonatigen Dialogprozess mit viel Liebe zum Detail erstellt wurde.

Auf 57 Seiten kann das Strategiepapier mit acht Handlungsfeldern, 60 Zielen und 200 Maßnahmen nachgelesen werden. Im Kern geht es um die Themenbereiche Radinfrastruktur, Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln und Sicherheit. Letzteres genießt höchste Priorität – jeder Verkehrstote ist einer zu viel. „Wir wollen ein faires Miteinander mit anderen Verkehrsteilnehmern“, sagt Verkehrsminister Hermann auf dem Europaplatz, „unser Ziel ist es, den Radverkehrsanteil von 11, 12 Prozent auf über 20 Prozent im Land zu steigern.“ Die Zahlen basieren auf einer Studie des Bundesverkehrsministeriums, die seit 20 Jahren mit bis zu 100.000 Menschen über deren Fahrradnutzung im Alltag läuft. Wie valide sind die Daten? Das Problem sei stets die Selbstwahrnehmung der Befragten.

1.400 Kilometer Radwege sollen bis 2031 dazukommen

Das Ministerium für Verkehr betont, dass seit 2025 rund 800 Kilometer neue Radwege gebaut werden konnten – in den nächsten sechs Jahren sollen weitere 1.400 Kilometer und 30.000 zusätzliche Fahrradabstellplätze hinzukommen. „Diese Entwicklung schafft eine umweltfreundliche und sichere Radkultur im Land“, so der Grüne Winfried Hermann, seit 2011 Verkehrsminister. Ohne finanzielle Zuwendungen geht es nicht. Mit dem Förderprogramm für kommunale Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur nach dem sogenannten Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG-RuF) unterstützt das Land Landkreise, Städte und Gemeinden. Darin enthalten sind über 1.000 kommunale Maßnahmen, in die bis 2030 ein Investitionsvolumen von über 1,1 Milliarden Euro fließen soll.

Im Zelt vom RadCheck können die Besucher ihre Drahtesel überprüfen lassen. © Philipp Rothe

Dass sich gerade die Stadt Heidelberg für die dritte Ausgabe des Radkongresses – nach 2019 in Kornwestheim und 2022 in Mannheim – anbietet, liegt auf der Hand. Denn sie gilt als Fahrradstadt, ja sogar als Fahrradhauptstadt Deutschlands. „Es ist die Stadt, die am meisten aufs Fahrrad und damit das richtige umweltpolitische Zeichen setzt“, konstatiert Oberbürgermeister Eckart Würzner, „es ist bereits heute das beliebteste Verkehrsmittel in Heidelberg. Rund 33 Prozent aller Wege werden mit dem Rad zurückgelegt, im Stadtgebiet sogar 38 Prozent.“ Beim Radkongress zählen Ludwigsburg, Eislingen/Fils, Achern (Sonderpreis Radparken), Kronau (Sonderpreis der Jury, Projekt „Fahrrad-Drehkreuz“) und eben Heidelberg (Landespreis für Radinfrastruktur) zu den Gewinnerkommunen. „Die Auszeichnung motiviert uns, den Radverkehr in Heidelberg weiter zu stärken und die Verkehrswende voranzubringen“, so OB Würzner.

Kritik kommt vom Radentscheid Heidelberg

Kriterium für den Erhalt des Landespreises sind der Bau der Gneisenaubrücke und die geplante Radwegachse Bahnstadt-Neuenheimer Feld. Eigentlich sollte die Gneisenaubrücke als Verbindungsstück zwischen Bahnstadt und Bergheim rechtzeitig zum Kongress fertiggestellt sein, doch dies verhinderten Restarbeiten wie der Einbau der Schwingungstilger und notwendige Frequenzmessungen. Die barrierefreie Rad- und Fußgängerbrücke wird voraussichtlich erst Ende 2025 ihrer Bestimmung übergeben.

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Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten: Am Rande des Radkongresses werden kritische Stimmen laut, die die Gneisenaubrücke, die Nord-Süd-Radwegachse und andere infrastrukturelle Projekte der Universitätsstadt betreffen. Der 2020 während der Pandemie gegründete Radentscheid Heidelberg, eine Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger, die unter dem Dachverein Fahrrad und Familie e.V. firmiert, lobt einerseits gute Konzeptionen wie die „Radstrategie 2030“, deren Einbettung in den „Klimamobilitätsplan 2035“ und das Einschalten des niederländischen Planungsbüros „Mobycon“ 2023/2024. Andererseits kritisieren die Radentscheid-Protagonisten Larissa Weigel, Dieter Jakob und Max Kraus an der Stadtverwaltung mangelnde Transparenz und Kommunikation, langatmige und irrational verlaufende Entscheidungs- und Arbeitsprozesse und schemenhafte Zeitpläne. Sie vermissen ein klares Bekenntnis zum Thema Radstrategie.

Mittermaierstraße und Berliner Straße als dauerhaftes Ärgernis

„Es gibt eine Planung für eine dauerhafte Umgestaltung. Doch große Investitionen wurden ausschließlich in Leuchtturmprojekte wie die Brücke oder das Fahrradparkhaus gesteckt. Damit erweckt Heidelberg öffentlichkeitswirksam den Anschein, in den Radverkehr zu investieren. Gleichzeitig bleiben aber tatsächliche Verbesserungen des Haupt-Radnetzes aus“, so das Radentscheid-Trio.

Dieter Jakob (v.l.), Larissa Weigel und Max Kraus vom Radentscheid erklären aus ihrer Sicht, wo es hakt in der Stadt. © Philipp Rothe

Wo klemmt es besonders? Dolmetscherin Weigel, Arzt Jakob und Verkehrsplaner Kraus haben sich intensiv mit den neuralgischen Punkten der Radinfrastruktur auseinandergesetzt. Die Mittermaierstraße in Bergheim und in ihrer Verlängerung die Berliner Straße in Neuenheim seien ein dauerhaftes Ärgernis. „Das ist die Hauptpendelstrecke in Heidelberg. Hier muss etwas geändert werden. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte die Stadt Heidelberg angemahnt, die ungenügende Fuß- und Radverkehrssituation auf der Mittermaierstraße zu verbessern“, erklärt Larissa Weigel. „Die Nutzung des dortigen Geh- und Radweges ist nur etwas für absolut Mutige, zumal die Benutzungspflicht aufgehoben wurde“, ergänzt Dieter Jakob.

Fahrradfahren in Heidelberg: Spannungsfeld zwischen Ideenvielfalt und praktischer Umsetzung

Eine Heidelberger Bürgerin hat beim Karlsruher Verwaltungsgericht Klage eingereicht – die Dame hält den geteilten Fuß- und Radweg für rechtswidrig. Ein weiteres manifestes Problem sei die Situation an der Ernst-Walz- und Theodor-Heuss-Brücke. Hier passieren immer wieder Unfälle – wegen irritierender Verkehrsführung. Die benötigte neue Neckarbrücke (Blücherstraße-Marsilius-Arkaden) ist in Planung, doch mit einem Baubeginn ist realistischerweise nicht vor 2029 zu rechnen.

Was macht Hoffnung? Es wird einen neuen „Begleitkreis“ als Nachfolge-Organisation der Rad AG geben. Bestehend aus Rad-Initiativen, Verkehrspolizei, RNV, Jugendgemeinderat, Studierendenrat, PH und Kinderbeauftragten, Zufallsbürgerinnen und -bürger. Das Gremium tagt erstmals am 23. Oktober. „Wir wollen klare Zielsetzungen in der Radverkehrsförderung. Eine höhere Akzeptanz im Rathaus ist uns wichtig“, sagt Max Kraus.

Das Thema Radinfrastruktur erfordert ganzheitliche Expertise, Flächengerechtigkeit und gesunden Menschenverstand, soll das Delta zwischen Anspruch und Realität in Heidelberg und anderswo geschlossen werden. Im Spannungsfeld zwischen Ideenvielfalt und praktischer Umsetzung bewegen sich alle Radkongress-Teilnehmenden wie Radbegeisterten. Im Ländle kann also die Mobilmachung der Verkehrswende kommen. Miteinander!

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