Justiz

Prozessbeginn: Angeklagter gesteht provozierte Auffahrunfälle

Um Gelder von Versicherungsgesellschaften zu erschleichen, soll ein Mann jahrelang Auffahrunfälle in der Region provoziert haben. Nun hat der Prozess in Heidelberg begonnen.

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Einer der Unfälle ereignete sich kurz nach Verlassen des Fahrlachtunnels in Mannheim. © Christoph Blüthner

Rhein-Neckar. Bis 2019 gab es beim Polizeipräsidium Mannheim die Ermittlungsgruppe Crash, eine Ermittlungseinheit, die dann zum Einsatz kam, wenn es um fingierte Unfälle ging. Einer der ehemaligen Beamten der Abteilung sitzt am Mittwoch im größten Sitzungssaal des Heidelberger Landgerichts. Dort erzählt er von einem der letzten Fälle der Einheit, der nun am Heidelberger Landgericht juristisch aufgearbeitet wird.

Der Polizist holt weit aus, berichtet von der Gründung der Ermittlungsgruppe Crash Anfang der 2000er, und von ihrem Ende vor sechs Jahren, „aufgrund von Personalmangel“. Im letzten Jahr der Abteilung habe er den Hinweis eines Kollegen bekommen, dem der Name eines Mannes aufgefallen war. Weil er immer wieder in Unfälle verwickelt war, die sich an verschiedenen Orten in der Rhein-Neckar-Region ereignet hatten, in Mannheim, in Heidelberg und Ludwigshafen, aber auch an anderen Orten, in Köln zum Beispiel.

Absichtliche Auffahrunfälle in der Region: 17 Fälle zwischen 2014 und 2019

Im Frühjahr 2019 „bin ich dann in die Materie eingestiegen“, sagt der Beamte. Er besorgte sich Fallakten und durchstöberte Datenbanken, die Versicherungsgesellschaften nutzen, um etwa Vorschäden an Fahrzeugen zu überprüfen. Dabei stieß er auf 17 Fälle zwischen 2014 und 2019, in denen der Name Warsär R. auftauchte, später fand er noch weitere. Meistens hatte es beim Spurwechsel gekracht. Immer wieder gab es einen Schaden an der Vorderseite des Fahrzeugs, mit dem Warsär R. unterwegs war. Die Fahrzeuge gehörten ihm selbst, Freunden oder Angehörigen, die ein Auto mit einem Wunschkennzeichen fuhren, das Warsär R.s Initialen trug.

In einigen Fällen beglich die Haftpflichtversicherung des „Unfallgegners“ den Schaden, in anderen bezahlte seine eigene Versicherung. Die Schadensummen bewegten sich zwischen 2000 und 12.000 Euro. „Sobald eine Macke am Rad oder an der Felge entsteht, finden sich in den Kalkulationen von Gutachtern oft enorme Summen, weil dann ein neues Lenk- oder Hydrogetriebe veranschlagt wird“, sagt der Polizist vor Gericht.

Oft ließen sich die Schäden aber mit weniger Aufwand beheben, um das Auto wieder fahrtauglich zu machen. Bleiben große Reparaturen aus, „wandert der Rest des Gelds in die eigene Tasche“, sagt er. Sinn und Zweck provozierter Unfälle sei es, mit dem geringstmöglichen Aufwand die größtmögliche Schadensumme zu erzielen, sagt der Beamte.

Der Vorsitzende Richter Markus Krumme projiziert Bilder von den Unfallfahrzeugen an die Wand des Gerichtssaals, mit neutralem Gesichtsausdruck hört der Angeklagte dem Beamten zu, der Fall für Fall mit dem Gericht durchgeht. Darunter sind Zusammenstöße am Wasserturm und am Fahrlachtunnel in Mannheim, am Kaiserwörthdamm in Ludwigshafen und am Römerkreis in Heidelberg, der für Auswärtige ohnehin eine Herausforderung sei, sagt der Polizist. „Wer in den Römerkreis einfährt, ist verloren“, sagt er und lacht.

Angeklagter legt Geständnis zu Prozessbeginn ab

Dann spricht der Polizeibeamte über die Reaktionen der Menschen, die in Unfälle mit dem Angeklagten verwickelt waren. Unmittelbar nach dem Crash seien viele aufgeregt gewesen, „ein Unfall ist für die meisten Menschen nichts Alltägliches“, sagt einer der Richter und nickt zustimmend.

Nur einer, der mit Warsär R. zusammenstieß, ein Rechtsanwalt, sagte kurz nach dem Unfall, dass dieser kein Zufall gewesen sein könne und gab dies so auch an seine Versicherung weiter, die R. eine Zahlung verweigerte. Andere Betroffene sagten den Polizeibeamten, R. sei wie aus dem Nichts aufgetaucht, während der Unfallaufnahme sei er gelassen und freundlich gewesen. „Ungewöhnlich, wenn gerade ein Schaden an meinem Auto entstanden ist“, sagt der Polizist.

Der 36-Jährige muss sich wegen 14 Fällen in dem Verfahren verantworten, die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr vor. Zu Beginn des Prozesstages hat er die Vorwürfe eingeräumt, nach einem Rechtsgespräch zwischen der Kammer, der Staatsanwaltschaft und seinem Verteidiger. Dies lässt sich vereinfacht gesagt so zusammenfassen: Bei einem Geständnis und einer positiven Sozialprognose könnte am Ende eine Bewährungsstrafe stehen.

Mehr zum Thema

Justiz

Leiche an der Pferderennbahn: Diese Strafen fordern Staatsanwaltschaft und Verteidigung

Veröffentlicht
Von
Agnes Polewka
Mehr erfahren
Kriminalität

Verbrechen im Quadrat: Finale Podcast-Folge zum Prozess um das Messerattentat auf dem Mannheimer Marktplatz

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Justiz

Diese spannenden Fälle hat das Sozialgericht Mannheim 2024 verhandelt

Veröffentlicht
Von
Waltraud Kirsch-Mayer
Mehr erfahren

Obwohl die Staatsanwaltschaft Bedenken wegen der Vorstrafen geäußert hat. Dazu zählen unter anderem gefährliche Körperverletzung, Erschleichung von Leistungen, gewerbsmäßiger Betrug, Einbruchdiebstähle. In einem Urteil aus dem Jahr 2015 findet sich ein Hinweis darauf, dass R. zu den Anwärtern der Rockerbande Black Jackets gehört haben soll.

Wasär R. zeichnete vor seinem Geständnis ein anderes Bild von sich selbst. Er sprach über die Flucht seiner Familie aus dem Irak Mitte der 90er-Jahre, über seine Schulzeit im Rhein-Neckar-Kreis und in Ludwigshafen, wie er seinen Realschulabschluss nachholte und anfing, als Lagerist zu arbeiten. Mit seinen Eltern und einer Schwester lebt er heute in der Vorderpfalz. „Ich möchte mit alldem aufhören“, sagte er.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke