Rhein-Neckar. Kurzzeitkennzeichen der Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle Wiesloch, die mit „HD-O4“ begannen, sollten bundesweit für Schlagzeilen sorgen. Der Grund: Die berühmt-berüchtigten Fahrzeugschilder standen für ein mit allerlei Tricksereien verknüpftes Geschäftsmodell, das sich als äußerst lukrativ erwies.
In Zusammenhang mit der facettenreichen Affäre hat es bereits einen Strafprozess in Heidelberg gegeben. Am Dienstag ist vor einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Mannheimer Landgericht nun ein weiteres Verfahren angelaufen, bei dem es ausschließlich um den Komplex der Steuerhinterziehung geht - laut staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen immerhin in Höhe von fünf Millionen und weiteren 1, 2 Millionen Euro. Auf der Anklagebank sitzen zwei Unternehmer im Alter von Mitte und Ende Fünfzig sowie eine 51-jährige Anwältin für Steuerrecht aus Mannheim.
Der verzwickte Fall beschäftigt die Ermittlerinnen und Ermittler bereits seit dem Herbst des Jahres 2014. Denn damals wurde ruchbar, dass eine in der Region ansässige Unternehmensgruppe mit Kurzzeitkennzeichen der Kfz-Zulassungsstelle Wiesloch - einer Außenstelle des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis - einen schwunghaften Handel betrieb.
Und dieser war auch deshalb äußerst einträglich, weil die Behörde dem Großkunden die Autokennzeichen für jeweils 5,10 Euro statt 10,20 Euro überließ. Dieser Sonderrabatt war wohl Gegenleistung für eine Software, die der Unternehmer zur Verfügung gestellt und installiert hatte - auch zum eigenen Vorteil.
Bis zu fünf Tage gültig
- Kurzzeitkennzeichen beziehungsweise Tageskennzeichen erlauben auch mit einem abgemeldeten, aber verkehrssicheren Auto bis zu fünf Tage zu fahren – wenn es sich beispielsweise um Probefahrten oder eine Auto-Überführung vom Kaufort zur Wohnung handelt.
- Die auffälligen roten Kennzeichen sind nicht für Privatpersonen, sondern für Autohändler bestimmt.
- Zur Überführung von Fahrzeugen ins Ausland sind Ausfuhrkennzeichen vorgesehen.
Bereits Urteile gefallen
Die begehrten Schilder wurden aber nicht nur zum halben Preis abgegeben, obendrein verzichtete die Zulassungsstelle in Wiesloch auf die vorgeschriebene Bedarfsprüfung. Schließlich sind die jeweils fünf Tage gültigen Kurzzeitkennzeichen für Probe- und Überführungsfahrten gedacht. Die in der gesamten Republik kursierenden Schilder - versehen mit manipulierten Papieren - wurden auch für Autos genutzt, die beispielsweise wegen ihrer Abgaseinstufung keine Zulassung mehr bekommen hätten. Auch Kriminelle profitierten davon.
Erste Staatsanwältin Isa Böhmer, Pressesprecherin für Wirtschaftsstrafsachen, spricht von einem „riesigen Verfahrenskomplex“. Und so sind bereits bei dem Prozess vor dem Heidelberger Landgericht vier Männer aus Berlin zu Gefängnisstrafen - in drei Fällen zur Bewährung - verurteilt worden, weil sie für die aus Wiesloch stammenden Autokennzeichen die Personalien von nichtsahnenden Ausländern verwendet hatten.
Für den jetzt in Mannheim gestarteten Prozess vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht waren ursprünglich fünf Angeklagte vorgesehen. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Andreas Lindenthal hat aber entschieden, zunächst den Bereich Steuer gesondert auszuleuchten.
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In einem weiteren Strafverfahren soll es dann um die Vorgänge innerhalb der Zulassungsstelle in Wiesloch gehen. Dann werden auch die zwei Mitarbeiterinnen des Landkreises erklären müssen, wie es zu den Sonderkonditionen für den geschäftstüchtigen Unternehmer gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft hat allerdings keine Erkenntnisse, dass die beiden Behörden-Mitarbeiterinnen Schmiergelder kassiert haben.
Die vom Erstem Staatsanwalt Sebastian Lückhoff verlesene Anklage schildert, wie bei den „Kurzzeitkennzeichen“ sowie „Tageszulassungen“ steuerlich getrickst wurde: Die beiden Geschäftsprodukte, die eigentlich der Umsatzsteuer unterliegen, sind in Einzelleistungen, beispielsweise amtliche Gebühren und Kfz-Steuern, künstlich aufgespalten worden, um so durchlaufende Posten zu schaffen, die als „nicht steuerbar“ beziehungsweise steuerfrei gelten.
Angeklagte schweigen
Angeklagt sind nicht nur zwei Geschäftsführer jener Unternehmen, die den Kennzeichen-Handel im großen Stil betrieben, sondern auch die mit dem Initiator verheiratete Anwältin für Steuerrecht: Sie übermittelte die „kreativen“ Umsatzsteuerjahreserklärungen ans Finanzamt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die in Walldorf gemeldete Unternehmensgruppe von der Mannheimer Kanzlei der Juristin und Ehefrau operativ geleitet wurde.
Am ersten Verhandlungstag wollten sich die drei Angeklagten noch nicht zur Sache äußern. Wie komplex das Verfahren ist, offenbart auch die Terminierung bis Mitte Dezember. Der Prozess wird am Mittwoch, 7. September, 9.30 Uhr, fortgesetzt.
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