Kommentar Maßregelvollzug in Baden-Württemberg: Fehler im Rechtssystem

Weil es nicht genügend Therapieplätze im Maßregelvollzug des Landes gibt, werden immer wieder suchtkranke Straftäter auf freien Fuß gesetzt. Ein Unding, findet Kommentator Bernhard Zinke. Besonders für die Einrichtungen und auch für Heidelberg in Bezug auf den "Faulen Pelz"

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Bernhard Zinke
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Es ist ein Skandal: Das Land Baden-Württemberg muss Dutzendweise suchtkranke Straftäter auf freien Fuß setzen, weil es nicht genügend Therapieplätze im Maßregelvollzug des Landes gibt. Zwar heißt es im Stuttgarter Sozialministerium dazu, dass die ganz harten Jungs nicht freikommen. Trotzdem gibt es wegen der Überlastung der psychiatrischen Kliniken entschieden zu viele Straftäter, die außer einer dreimonatigen Organisationshaft keinerlei Folgen für ihre Vergehen erleben.

Grund ist eine Rechtssprechung, die den Forensikern schon seit Jahren die Aufgabe zuschiebt, die eigentlich Gerichten zufällt: Nämlich herauszufinden, ob ein Straftäter schuldfähig ist oder nicht. Ist er tatsächlich suchtkrank, gehört er in den Maßregelvollzug, ist er das nicht, gehört er ins Gefängnis.

Durch die gelockerte Rechtssprechung sehen Straftäter die Chance, sich ein vermeintlich leichteres Leben zu machen: Schließlich winken weniger strenge Sicherheitsvorkehrungen, gemeinsame Aktivitäten wie Sport, Essen und Kochen. Psychiatrie-erfahrene Klienten wissen, welche Hebel sie vor Gericht bedienen müssen. Und nicht zuletzt verfolgen auch Anwälte die Strategie, ihren Mandaten den Gang ins Gefängnis zu ersparen und einen vermeintlich angenehmeren Platz im Maßregelvollzug zu verschaffen. Zwei Jahre in die Therapie, dort bloß nicht auffallen, dann ist man schnell wieder draußen, so die Denke.

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Dass der Maßregelvollzug allerdings keineswegs der leichtere Weg in die Freiheit ist, zeigen die Zahlen, die der Medizinische Direktor des Zentrums für Psychiatrie in Calw und seiner neuen Außenstelle in Heidelberg, Matthias Wagner, am Mittwoch präsentierte: Rund die Hälfte der Patienten, die als Suchtkranke im Maßregelvollzug untergebracht werden, brechen ihre Therapie ab. Weil es eben doch kein Zuckerschlecken ist. Ärgerlich genug: Für die Einrichtungen, die erst herausfinden müssen, wer therapiefähig ist. Und für Heidelberg, das den „Faulen Pelz“ nicht für andere Zwecke nutzen kann.

Ressortleitung Teamleiter der Redaktionen Metropolregion und Südhessen Morgen