Heidelberg. Die Türen haben noch keine Schließzylinder, die Küche wird noch aufgebaut, und die Möbel sind zwischengelagert: Im „Faulen Pelz“ haben die Handwerker noch alle Hände voll zu tun. Acht Jahre schlummerte das alte Gefängnis in der Heidelberger Altstadt vor sich hin. Nun wird unter Hochdruck gestrichen, saniert und geputzt. Ab August soll es als Ausweichquartier der Forensischen Klinik Calw für Patienten des Maßregelvollzugs genutzt werden. In der dritten Augustwoche sollen die ersten suchtkranken Straftäter hier einziehen.
Die Amtschefin im Sozialministerium, Leonie Dirks, schaute sich den Stand der Arbeiten am Montag gemeinsam mit Heidelbergs Erstem Bürgermeister Jürgen Odszuck an. Elf Millionen Euro investiert das Land in die Interimslösung, mit der vorübergehend Platz für 74 Patienten geschaffen wird. 70 Personen, erklärt Dirks, stehen aktuell auf der „Warteliste“. Das heißt, sie sind zum Maßregelvollzug nach Paragraf 64 Strafgesetzbuch verurteilt - oder nach einer Straftat wegen Suchterkrankung in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Doch es genügt nicht, diese Menschen in einer Vollzugsanstalt unterzubringen - sie haben vielmehr nach dem Gesetz Anspruch auf Behandlung ihrer Erkrankung.
Werden sie zu lange im herkömmlichen Strafvollzug „geparkt“, müssen sie unter Umständen freigelassen werden, was immer wieder vorkommt. Immer mehr Angeklagte werden von den deutschen Gerichten nach Paragraf 64 verurteilt. Betraf das vor sechs Jahren noch rund 1000 Patienten in Baden-Württemberg, sind es im vergangenen Jahr 1400 Menschen gewesen. Paragraf 64 soll enger gefasst werden, eine entsprechende Gesetzesvorlage ist gerade im Bundesrat vorgelegt worden. Egal, wie sich das möglicherweise auf die Urteile der Richter auswirkt, werde das Land in zwei Jahren besser aufgestellt sein beim Maßregelvollzug, betont Dirks. So werden bereits im Frühjahr 2024 rund 50 Plätze in einem Neubau in Calw eröffnet. 20 Millionen Euro hat das Sozialministerium von Manfred Lucha (Grüne) hier investiert. Auch in Schwäbisch Hall werden neue Plätze für den Maßregelvollzug entstehen.
Knapp 80 Plätze für zwei Jahre
In Heidelberg wird im August die erste von insgesamt fünf Stationen mit rund 20 Betten eröffnet - zwei im Altbau von 1844, drei im 1910 errichteten „Neubau“, erklärt der Medizinische Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Calw, Matthias Wagner. Zwei Wochen früher kommen die zunächst 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, machen sich mit der Örtlichkeit und den Einrichtungen vertraut. „Wir suchen noch Mitarbeiter“, wirbt Dirks um Interessierte. Es werden ausschließlich Männer sein, die hier in den Zellen aufgenommen werden. Suchtkranke und straffällig gewordene Frauen werden in einem Psychiatrischen Zentrum untergebracht, auch behinderte Menschen können nicht im „Faulen Pelz“ betreut werden, da das alte Gefängnis nicht barrierefrei ist.
Frisch gestrichene Wände, neue Heizkörper, Türen und Zargen, abgeschliffene Parkettböden und neue Sanitäranlagen: Auf den ersten Blick sehen die alten Zellen gar nicht so verändert aus, aber frisch und sauber. „Die größten Veränderungen sind nicht sichtbar“, verweist der Geschäftsführer der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Calw, Michael Eichhorst, auf die ausgetauschten Leitungen und Rohre sowie die moderne Sicherheitstechnik. Anderes konnte bleiben - etwa die dicken Rollen Stacheldraht auf den alten Mauern. „Die haben wir natürlich nicht weggemacht“, betont Wagner. Die Patienten, die in Heidelberg leben werden, dürfen keine Freigänge absolvieren, sondern bleiben im geschlossenen Vollzug. Neben einer Aufklärung - viele wüssten gar nicht, was Maßregelvollzug bedeutet, sagt Wagner - nimmt in den ersten Tagen die Diagnostik einen breiten Raum ein. Ist der vom Gericht hierher geschickte Mensch wirklich suchtkrank? Und ist er bereit, sich an einer Therapie zu beteiligen? Würde einer der Punkte nicht zutreffen, würde wieder ein Platz im Maßregelvollzug frei: Der Patient würde zum Straftäter und zöge in eine reguläre Strafvollzugsanstalt ein.
Feste Zusage des Landes
Besser für ihn und die Gesellschaft, betont Wagner, wäre es, wenn er erfolgreich eine Therapie hinter sich brächte: In diesem Fall hätte er deutlich größere Chancen, nicht rückfällig und auch nicht wieder straffällig zu werden - das zeige die Statistik. Der Durchschnittsbewohner im wird zwischen 25 und 35 Jahre alt sein, ein Drittel ist alkoholkrank, der Rest von anderen Substanzen abhängig. Mehr als die Hälfte hat Migrationshintergrund.
Baubürgermeister Jürgen Odszuck macht keinen Hehl daraus, dass die Stadt, die auch vor Gericht versuchte, sich gegen die Nutzung des Baus zu wehren, nicht erbaut war von der Interimslösung. Dafür habe man nun aber auch die feste Zusage, dass das Sandsteingebäude mit der denkmalgeschützten Fassade tatsächlich danach der Uni offensteht. Die Stadt nutze die zwei Jahre bis dahin, um einen städtebaulichen Wettbewerb vorzubereiten.
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