Neckarwiese - Heidelberger Kriminologe Christian Laue kritisiert Einsatzkonzept für Neckarwiese / Polizei verteidigt Vorgehen

"Lieber ein Auge zudrücken": Kriminologe kritisiert Einsatzkonzept

Von 
Michaela Roßner
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Die Heidelberger Neckarwiese ist im Sommer ein beliebter Treffpunkt. Auch nach der Krawallnacht an Pfingsten gibt es aber immer wieder Probleme. © Philipp Rothe

Heidelberg. Ein nächtliches Aufenthaltsverbot für Gruppen, ein Alkoholabgabe- und konsumverbot am Wochenende und vermehrte Streifen: Die Stadtverwaltung hat nach der Krawallnacht an Pfingsten auf Neckarwiesen-Exzesse reagiert. Diskutiert wird nun, ob der Polizeieinsatz die Situation verschärft habe.

Bilanz der Ermittlungsgruppe

  • Eine verletzte Polizeibeamtin und ein verletzter Polizeibeamter, acht beschädigte Dienstfahrzeuge, erhebliche Beschädigungen an einer Toilettenanlage, an Parkbänken, an Tischen, an einem Verkaufsstand von Schaustellern sowie an einem mobilen Corona-Testzelt mit einem Schaden von rund 47 000 Euro sind laut Polizei die Bilanz der Ausschreitungen in der Nacht zum Pfingstsonntag auf der Neckarwiese in Heidelberg.
  • Inzwischen habe die ErmittlungsgruppeNeckarwiese13 Beschuldigte von 17 bis 22 Jahren ermittelt, die aus dem Landkreis Karlsruhe, aus Mannheim, Heidelberg, dem Rhein-Neckar- und dem Hohenlohekreis stammen.
  • Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs. Gegen zwei Beschuldigte seien Haftbefehle erlassen worden. Ein 18-Jähriger aus dem Landkreis Heidelberg befinde sich in Untersuchungshaft. Ein Gleichaltriger sei gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Bei der Identifizierung zweier weiterer Verdächtiger hofft die Polizei auf Zeugen. Auf dem Fahndungsportal der Polizei Baden-Württemberg seien Fotos veröffentlicht. Hinweise an Telefon 0621/174 4444. 

Hat die Polizei mit ihrem massiven Auftreten die Gewaltexzesse auf der Neckarwiese - und auch in der Stuttgarter Innenstadt - mit verursacht? Der Kriminologie Christian Laue (Universität Heidelberg) vertritt nach seiner Analyse von Zeugen- und Medienberichten diese Auffassung. „Lieber, wenn nötig, in Zukunft ein Auge zudrücken“, hält er für die bessere Polizeitaktik - ohne bei einem konkreten Vorfall auf der Neckarwiese dabei gewesen zu sein. Eine eher „beobachtende“ Strategie, analysiert Laue, habe die Polizei indes bei einigen „Querdenker“-Kundgebungen angewandt: Dort sei offen gegen Gesetze verstoßen und seien Journalisten attackiert worden, doch die Beamten hätten die Demonstranten gewähren lassen, um deeskalierend zu wirken.

„Aus dem Ruder gelaufen“

In Stuttgart sollten Drogenkontrollen stattfinden. Das sei eskaliert, andere Jugendliche hätten sich solidarisiert, und die Situation sei aus dem Ruder geraten. In Heidelberg sei das Ablaufmuster ähnlich gewesen: Ein Jugendlicher sollte wegen Beleidigung herausgezogen werden, weitere hätten sich solidarisiert und die Polizeikräfte angegriffen.

„Hätte die Polizei auf ein Einschreiten verzichtet, wäre es nicht zu solchen Ausschreitungen gekommen“, folgert der Heidelberger Kriminologe. Die Eskalationen seien von Gruppendynamik begleitet worden: „Jeder will den anderen übertrumpfen.“ Die Erklärung, es gebe schon immer Probleme auf der Neckarwiese, und die Jugendlichen kämen nicht aus Heidelberg, sondern reisten von überall her an, hält Laue für zu einfach. Auch sieht er einen direkten Zusammenhang mit der Pandemie und den Öffnungen nach dem Lockdown: Solche Explosionen von Gewalt habe es sowohl am Ende des ersten Lockdowns gegeben als auch unmittelbar nach dem zweiten Lockdown.

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Dass ihm der für den Ordnungsdienst zuständige Bürgermeister nun vorwerfe, er rechtfertige die Exzesse von Jugendlichen, akzeptiert Laue nicht: Die Kritik an der Einsatzstrategie der Polizei entschuldige keine einzige Straftat, betont Laue.

Polizeisprecher Christopher Weselek verteidigt das Polizeikonzept. An Pfingsten etwa sei nur eine einzige Streife vor Ort gewesen, und auf die Bitte, eine Musikanlage abzudrehen, habe sich der Tumult entwickelt und seien weitere Kräfte angefahren. „Unsere Kollegen müssen sich wahnsinnig viel anhören, bis wir einschreiten“, betont Weselek. Es handele sich in solchen Fällen immer „um einen sehr schmalen Grat, in der die Situation zu kippen droht.“ Auch am kommenden Wochenende werde man wieder zusätzliche Kräfte im Dienst haben, um flexibel auf entstehende Situationen regieren und etwa frühzeitig die Neckarwiese räumen zu können.

Zuspitzung nach 23 Uhr

„Es greift zu kurz, die Problematik auf der Neckarwiese mit der Coronapandemie zu erklären“, davon ist Andreas Knorn, stellvertretender Erster Vorsitzender des Stadtteilvereins Neuenheim überzeugt: Schon in der Vergangenheit habe es immer wieder Versuche gegeben, Probleme zu lösen. So sei vor über zehn Jahren die Bleichstraße gesperrt worden, um „Wildpinkler“ fernzuhalten. Damals wie heute seien die Ursachen der Probleme komplex. „Wohin sollen die Feiernden abfließen um 23 Uhr“, sei eine offene Frage, seit Clubs wie die Nachtschicht geschlossen sind. Und Regeln nützten nichts, wenn sie nicht in der problematischen Sommerzeit durchgehend kontrolliert werden könnten, weil etwa beim Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) oder bei der Polizei Personal für weit umfangreichere Kontrollen fehle. Das Problem spitzt sich ab 23 Uhr zu. Dann sei aber die Polizei auch oft bei anderen Einsätzen - wie in anderen Städten auch - gefordert.

Aktuell gebe es ein „Poser“-Problem: aufgemotzte Fahrzeuge, die lautstark an der Uferpromenade entlang rasen. Mannheim kennt dieses Phänomen etwa aus der Fressgasse. „Die Poser bringen das Neckarwiesenproblem unmittelbar an die Häuser“, verweist Knorn darauf, dass die Wohnbebauung direkt am Freizeitgelände Neckarwiese liegt - vielleicht auch eine wichtige Erklärung, warum laute nächtliche Partys hier schon viele Jahre auch stören.

„Niemand hat etwas dagegen, wenn die Neckarwiese ordentlich genutzt wird“, versichert der Sprecher des Stadtteilvereins. Genauso wenig wolle man Grundrechte eingeschränkt sehen oder den Spaß verderben. Neuenheimer, die in zweiter oder dritter Reihe wohnten, erlebten die Thematik vielleicht gar nicht als so gravierend, schränkt er ein. Die neuerliche Anregung, einen „runden Tisch“ zu bilden, hält Knorn für wenig aussichtsreich. Solche Runden seien wertvoll, um sich über eine Situation zu informieren. „Inzwischen wissen alle, die damit befasst sind, was hier los ist“, ist er sicher.

Bilanz der Ermittlungsgruppe

Eine verletzte Polizeibeamtin und ein verletzter Polizeibeamter, acht beschädigte Dienstfahrzeuge, erhebliche Beschädigungen an einer Toilettenanlage, an Parkbänken, an Tischen, an einem Verkaufsstand von Schaustellern sowie an einem mobilen Corona-Testzelt mit einem Schaden von rund 47 000 Euro sind laut Polizei die Bilanz der Ausschreitungen in der Nacht zum Pfingstsonntag auf der Neckarwiese in Heidelberg.

Inzwischen habe die Ermittlungsgruppe „Neckarwiese“ 13 Beschuldigte von 17 bis 22 Jahren ermittelt, die aus dem Landkreis Karlsruhe, aus Mannheim, Heidelberg, dem Rhein-Neckar- und dem Hohenlohekreis stammen.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs. Gegen zwei Beschuldigte seien Haftbefehle erlassen worden. Ein 18-Jähriger aus dem Landkreis Heidelberg befinde sich in Untersuchungshaft. Ein Gleichaltriger sei gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Bei der Identifizierung zweier weiterer Verdächtiger hofft die Polizei auf Zeugen. Auf dem Fahndungsportal der Polizei Baden-Württemberg seien Fotos veröffentlicht. Hinweise an Telefon 0621/174 4444.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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