Heidelberg. In den bewundernden Applaus für die großartige Premiere des Stücks „Rot“ von John Logan mischte sich Wehmut. Denn die Inszenierung von Eric Heinz ist die letzte im angestammten Haus des Zimmertheaters Heidelberg, weil die Räumlichkeiten von der Vermieterin gekündigt wurden. 1950 gegründet, wurde das Zimmertheater schnell zu einer Institution, und niemand will sich das älteste Theater Deutschlands in privater Trägerschafte aus dem Stadtleben wegdenken. Ein Gemeinwesen, das Kulturhauptstadt Europas werden möchte, hat die Verpflichtung, solch ein Kleinod zu erhalten.
Zurück zum Stück. Der US-Amerikaner John Logan brachte es 2009 heraus und bekam gleich mehrere Tony-Awards dafür. Der Autor spürt der Gedankenwelt eines Künstlers nach, der nicht nur seiner eigenen Meinung nach die Malerei revolutionierte. Denn Mark Rothko schaffte mit seiner Farbfeldmalerei den Kubismus ab, um seine (vermeintliche) Schule des Sehens zu ersetzen. Das war damals, Mark Rothko starb 1970 durch Suizid, ein radikaler Ansatz.
Atelier detailgetreu nachgebaut
Was sehen wir auf der Bühne, die Eric Heinz detailgetreu dem überlieferten Rothko-Atelier nachgebaut hat, um darin mit seiner Inszenierung ein brillantes Philosophikum und menschliches Drama ablaufen zulassen.. Denn Mark Rothko will mit einem Opus Magnum der Welt einen Tempel seiner Kunst herrichten, wenn er den Auftrag des Architekten Philip Johnson zur Bebilderung eines Edelrestaurants annimmt. Rothko ist ein Egomane. Er stellt den Assistenten Ken ein, ein junges Kerlchen, das selbst gerne Kunst machen würde. Er macht ihn nach allen Regeln intellektueller Überlegenheit fertig, knechtet ihn als Farbenmixer und Zigarettenholer. Er stößt ihn in den Abgrund der Kenntnislosigkeit, um selbst umso glanzvoller dazustehen.
Hier setzt die Arbeit von Eric Heinz an. Mit Christian Schulz, der hier schon unterschiedlichste Rollen zum Leben erweckte, hat er einen brillanten Rothko gefunden. Er lässt ihn monoman räsonieren und durch die Geistesgeschichte pilgern, dabei die ganze Palette der Eitelkeiten und Selbstbespiegelung ausleben. Das Opfer ist Assistent Ken, der leider weder Nietzsche noch die alten Griechen inhaliert hatte und im Bordeaux-Rot nur rot sieht und nicht den tieferen Aspekt, der sich hinter dem Spannungsverhältnis von Rot und Schwarz verbirgt. Denn Rothko befindet sich auf der Zielgeraden seines Schaffens, er hat seine oft bunt anmutenden, leicht ausgefransten Rechtecke ins Düstere transformiert. Aus Dunkel ins Licht, Dionysos trifft Apoll, sie sollen keine Gegensätze bleiben, sondern seiner Malerei den entscheidenden Kick geben. Rot versus Schwarz? Nein, Verbündete.
Die Bühne im Heidelberger Zimmertheater lebt
Christian Schulz durcheilt die Seelenwelt des Mark Rothko. Selbstzweifel kaschiert er durch ungebremste Überheblichkeit. Dabei ist ihm bewusst, dass „jeder Pinselstrich eine Katastrophe“ bedeutet. Ken, den der junge Darsteller Josa Butschkau treffsicher vom schüchternen Bewunderer eines Großmeisters zum aufmüpfigen Widerspruchsgeist entwickelt, lässt sich langsam ein auf ein Kräftemessen zweier Generationen. Und verpasst dem guten Rothko letztlich den Blattschuss, wenn er ihm vorhält, für viel Geld dem Restaurant „Four Seasons“ doch nur Dekoration für reiche Ignorantem zu liefern. Rothko kommt von der Ortsbesichtigung zurück ins Atelier, wirft Philip Johnson den Bettel einschließlich fürstlichem Vorschuss hin und Ken hinaus. Der ist entsetzt, aber Rothko zeigt menschliche Züge. Ken müsse hinaus in sein richtiges Dasein.
Die Bühne lebt. Nicht nur von den vielen Accessoires, die Eric Heinz zwischen Wählscheiben-Telefon und Blecheimern ateliergerecht zusammengewürfelt hat, auf dass Mark und Ken auch ordentlich in der Farbe rühren können. Vor allem aber durch bewundernswerte Großformate, die Gerlinde B. mit viel Einfühlungsvermögen für Rothkos Bildwelt zugeliefert hat. Sie rahmen die Bühne, werden umgestellt, neu betrachtet und geben dem Auge Halt. Auch da hat Eric Heinz zielsicher die richtige Bühnenmalerin gefunden. Was fällt noch auf? Die Ironie und oft witzige Dialogführung, die dem Philosophikum in Sachen Malerei eine heitere Note verleiht. Dennoch bleibt es beim Rothko-Diktum: „Diese Bilder verdienen Mitgefühl“, was für alle Kunst gilt, die mehr sein will als „Dekoration für den Kaminsims“.
Stürmischer Premierenbeifall und hinterher intensive Gespräche, wie es denn weitergehen könnte. Die Stadt hat im alten Karlstorbahnhof den Raum des damaligen TiK-Theaters angeboten, es klafft aber noch eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit sowie Ansprüchen des Altstadtvereins. Erst einmal aber wird „Rot“ in der Hauptstraße en suite gespielt.
„Rot“ von John Logan, Karten unter 06221/2 10 69
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