Versorgung

Landräte befürchten Klinik-Kollaps im Rhein-Neckar-Kreis und im Neckar-Odenwald-Kreis

Die Krankenhäuser im Rhein-Neckar-Kreis und im Neckar-Odenwald-Kreis stehen kurz vor dem Kollaps: Die Landräte Stefan Dallinger und Achim Brötel, beide CDU, schlagen Alarm - und hoffen in Berlin gehört zu werden

Von 
Michaela Roßner
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Die Krankenhäuser schreiben tiefrote Zahlen. Einen Hilferuf haben nun die Landräte Stefan Dallinger und Achim Brötel an Berlin gerichtet. © Marijan Murat

Rhein-Neckar. Die finanzielle Lage der Kliniken in der Region spitzt sich zu: Sowohl die GRN-Gesundheitszentren im Rhein-Neckar-Kreis als auch die Krankenhäuser des Neckar-Odenwald-Kreises schreiben tiefrote Zahlen. Die beiden Landräte Stefan Dallinger und Achim Brötel (beide CDU), schlagen Alarm. Bund, Länder und Krankenkassen müssten ihrer Pflicht wieder nachkommen, Krankenhäuser zu finanzieren, sonst befürchten die Landräte einen „Klinik-Kollaps“. Erklärt haben sie das am Montag bei einem Pressegespräch in der GRN-Klinik Sinsheim.

Ein fehlender Inflationsausgleich, steigende Personalkosten und nicht kostendeckende Vergütungen der Krankenkassen: Die Gründe für die miese Finanzlage der Krankenhäuser bundesweit sind vielfältig und werden landauf, landab beklagt. „So geht es nicht weiter“, fasst Dallinger zusammen. Und Brötel betont, die Krankenhäuser seien nicht mehr nur selbst „Patienten“, sondern inzwischen sogar „Notfall- und Intensivpatienten“.

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Auch die baden-württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG) hatte jüngst Hilferufe an die Politik gerichtet. 85 Prozent der Kliniken in Baden-Württemberg befürchteten in diesem Jahr hohe Defizite, warnt die BWKG. Auf 900 Millionen Euro sollen sich diese landesweiten Defizite in Krankenhäusern addieren. Aktuell gibt es drei Klinik-Insolvenzen im Land: In Heidelberg sind das Salem und das St. Vincentius betroffen, in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) das Rotkreuzklinikum.

Teil der Investitionen bleibt am Kreis hängen

Gesetzlich geregelt ist eigentlich, dass die Krankenkassen alle Kosten übernehmen sollen, die durch die Behandlung der Patienten entstehen – und die Länder die Infrastruktur sichern – vom Krankenhausgebäude bis zu medizinischen Geräten. Doch die Praxis sehe längst anders aus, rechnet Dallinger vor. 24,7 Millionen Euro musste der Kreis an Defiziten von seinen Kliniken in Eberbach, Weinheim, Sinsheim und Schwetzingen sowie den Pflegeeinrichtungen (GRN-Gesundheitskliniken) schlucken.

Und auch beim Neubau des Funktionsbaus am Kreiskrankenhaus in Sinsheim finanziert das Land nur die Hälfte der 125 Millionen Euro, die verbaut werden. 25 Millionen Euro – ein Fünftel der Investitionssumme – übernimmt die Stiftung von Dietmar Hopp. Es bleibt eine Finanzierungslücke, die ebenfalls der Rhein-Neckar-Kreis stemmen muss. Die Planungen zu dieser Klinikmodernisierung hätten schon vor längerer Zeit begonnen, erklärt Dallinger: „Ich weiß nicht, ob wir das unter den aktuellen Bedingungen auch angegangen wären.“ Ändert sich nichts, müssten die Defizite mittelfristig über die Kreisumlagen an alle Kommunen weitergegeben werden, unterstreichen die beiden Landräte. Die Kreisumlage, die im Rhein-Neckar-Kreis kürzlich um drei Prozent erhöht wurde, müsste dann eher doppelt so hoch ausfallen, zumal andere Sozialausgaben genauso wie der ÖPNV auch immer teurer werden.

Zahlen zum Klinikbetrieb

 

Defizit 2023

  • GRN-Kliniken des Rhein-Neckar-Kreises: 27,4 Millionen Euro
  • Neckar-Odenwald-Kliniken: 2,7 Millionen Euro
  • Baden-Württemberg: 670 Millionen Euro
  • Bundesweit: 9 Milliarden Euro

Defizit 2024 (prognostiziert)

  • GRN: 14 Millionen Euro
  • NOK: zweistelliger Mio-Betrag
  • Baden-Württemberg: 900 Millionen Euro

Bettenzahl pro 100 000 Einwohner

  • Bundesweit: 512 Betten
  • Baden-Württemberg: 421 Betten
  • Rhein-Neckar-Kreis: 159 Betten
  • Neckar-Odenwald-Kreis: 294 Betten

Kosten pro Klinikbett je Einwohner

  • Bundesweit: 1353 Euro
  • Baden-Württemberg: 1196 Euro

miro (Quellen: BWK, DKG, RNK)

Die Kritik der beiden CDU-Politiker richtet sich indes weniger gegen das Land, sondern vor allem gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der habe mit seiner Krankenhausstrukturreform zwar einen guten Ansatz verfolgt. Vor allem, weil er die Fallpauschalen als überholt ansehe. Aber das neue Finanzierungsmodell sei „am Schreibtisch, nicht in der Praxis“ entstanden, wettert Brötel.

Seit Lautenbachs Vorgängerin Ulla Schmidt und die damalige Regierung die DRG’s (diagnosebezogene Fallgruppen, englisch: Diagnosis Related Groups) einführten – ab 2004 war das System für Kliniken verpflichtend –, werden Krankenhäuser nicht mehr pro tatsächlichem Aufwand bezahlt, sondern pauschal pro Patient/Erkrankung.

Die Reform nehme diese Systematik zwar zurück und zahle den Krankenhäusern auch einen Anteil an den tatsächlichen Fixkosten. Aber zum Beispiel die Aufgabe, vorab für ein Jahr angeben zu müssen, wie viele Patienten behandelt werden sollen, berge finanzielle Risiken. Wenn diese Zahlen überschritten würden, soll pro Patient weniger zurückgezahlt werden. Und auch wenn weniger Patienten in den Kliniken aufgenommen werden, gäbe es Abschläge – obwohl die Krankenhäuser „24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche“ für die Versorgung der Bevölkerung bereit sein müssen. „Wir in Baden-Württemberg haben unsere Hausaufgaben bereits gemacht“, verweist Dallinger auf einen weiteren Aspekt, das Einsparen von Betten. Während bundesweit auf 100 000 Einwohner 530 Betten zur Verfügung stünden, seien es in Baden-Württemberg 480 Betten und in den beiden Landkreisen der Region deutlich weniger (siehe Infobox).

Je zwei GRN-Kliniken teilen sich einen Kardiologie-Chefarzt

Dennoch arbeite man weiter daran, Synergien zu erschließen. So teilten sich je zwei GRN-Kliniken inzwischen einen Kardiologie-Chefarzt. „Solche Dinge brauchen Zeit“, verweist Dallinger darauf, dass über weitere Möglichkeiten, Kosten einzusparen, nachgedacht werde.

Krankenhäuser zu schließen, ist weder für Dallinger noch für Brötel eine erstrebenswerte Alternative. Schon jetzt müssten gerade im ländlichen Raum viele Patienten Anreisen über 30 Kilometer in Kauf nehmen. „Wir brauchen eine flächendeckende, wohnortnahe Versorgung“ betont Brötel, „Telemedizin wird das Problem nicht lösen“, ist er sicher. Und während der Pandemie sei deutlich gewesen, wie wichtig eine gute Krankenhausstruktur sei.

Sorgen sich um Klinik-Zukunft (v.l.): Judith Masuch und Katharina Elbs (GRN), Stefan Dallinger, Achim Brötel, Harald Löffler und Frank Hehn (NOK). © Michaela Roßner

Während Praxiskliniken von der aktuellen Finanzierungssystematik eher profitierten (Brötel: „Bei den Knie-OPs gibt es eine Zunahme von 54 Prozent“), sei die tägliche Arbeit einer Einrichtung der Daseinsvorsorge nicht profitabel. „In Eberbach und Buchen betreuen wir jeweils 100 meist ältere Patienten mit multiplen Erkrankungen: „Für die ist keiner da außer uns.“ Die Finanzmisere, betonen Dallinger und Brötel, sei nicht plötzlich entstanden, sondern habe sich über die Jahre aufgebaut. Einmalzahlungen vor allem im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hätten einiges abgefedert. Die BWKW geht davon aus, dass vor 2020 noch jedes zweite Krankenhaus schwarze Zahlen schrieb.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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