Architektur

Kritik an Neubau-Plänen für Dokumentationszentrum in Heidelberg: Antiziganismus?

Seit vor zwei Jahren der Siegerentwurf für den Neubau des Dokumentationszentrums der Sinti und Roma vorgestellt wurde, gibt es Kritik daran - vor allem aus der Heidelberger Altstadt. Dagegen stehen Vorwürfe des Antiziganismus

Von 
Michaela Roßner
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Das alte Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma (Bildmitte) soll durch einen größeren Neubau mit roter Sandsteinfassade ersetzt werden. © Philipp Rothe

Heidelberg. Ein „offener Brief“ schlägt über die Heidelberger Altstadt hinaus Wellen: Drei Initiativen appellieren darin an die Mitglieder des Gemeinderats, die Ausmaße des geplanten Neubaus für das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma zu überdenken. Dabei verwenden sie Formulierungen, die ihnen nun den Vorwurf des Antiziganismus einbringen - also den, Vorurteile gegen Sinti und Roma zu schüren. Zudem wird einer der drei Akteure, der gemeinnützige Verein „Alt-Heidelberg“, mit Briefen aus der Zeit um 1935 an den NS-Bürgermeister in Verbindung gebracht. Darin war damals gefordert worden, „Zigeuner“ aus der Altstadt zu verbannen. Ein Sprecher der drei „Offenen Brief“-Verfasser räumt auf Nachfrage dieser Redaktion ein, dass die jüngste Formulierung - im Bemühen, sich sehr korrekt auszudrücken - „unglücklich“ geraten sei und missverstanden werden könne.

Es gehe der Initiative bei ihrer Kritik ausschließlich um die Größe und Anmutung des als klotzig beschriebenen Entwurfs eines Stuttgarter Architekturbüros. „Wir wollen die Kultureinrichtung Dokumentationszentrum unbedingt in der Altstadt erhalten“, unterstreicht Ulrich Winter. Winter ist Mitbegründer der gegründeten Bürgerinitiative Bebauungsplan Bremeneck (BIBB), Mitglied im Verein „Alt-Heidelberg“ sowie Vorstandsmitglied bei der Initiative „Bürger für Heidelberg“. BIBB musste sich bereits im September 2021 mit Antiziganismus-Vorwürfen auseinandersetzen. Die Sprecher der Initiative wiesen das schon vor zwei Jahren scharf zurück. Die Initiative, die sich beim Bekanntwerden der Neubaupläne des Dokumentationszentrums der Sinti und Roma in der Heidelberger Altstadt gegründet hat, teilte damals mit, es werde „ausdrücklich begrüßt, dass das Dokumentationszentrum in Heidelberg angesiedelt ist“. Daran habe sich nichts geändert, unterstreicht Winter heute.

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Kritisiert wird der Entwurf, der ein Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) ist, die 2022 nach zehn Jahren zu Ende ging. Mehrfach, betont Winter, habe die Initiative versucht, mit Vertretern der Stadt und des Bauträgers ins Gespräch zu kommen über offenbar geplante Änderungen am Architekturentwurf - ohne Erfolg. So sei es schließlich zu dem „offenen Brief“ gekommen, der an die Gemeinderäte sowie an Vertreter der Verwaltung gegangen sei. Es habe nur eine einzige Reaktion gegeben - die SPD-Fraktion habe die Verfasser aufgefordert, sich zu entschuldigen.

Projekt der IBA

Es geht vor allem um folgende Passage: „Wir legen Wert auf eine weiterhin gute Nachbarschaft mit dem Dokumentationszentrum. Wir wünschen uns und gehen davon aus, dass auch deren Vertreter diese Nachbarschaft und die gesamte Stadtgesellschaft wertschätzen und ihnen daran gelegen ist, sich gerade aufgrund ihrer Geschichte als Teil unserer Gesellschaft darzustellen, anstatt sich vom Umfeld abzuheben und dadurch Konflikte zu schaffen.“ Man habe ausdrücken wollen, dass man ausdrücklich für Gleichbehandlung sei - und damit für die Einhaltung der Vorgaben aus der 2003 verabschiedeten „Gesamtanlagenschutzsatzung Alt-Heidelberg“.

Verfahren

  • Der Gemeinderat hat im März 2021 den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan zur Erweiterung beziehungsweise dem Neubau des Dokumentationszentrums gefasst.
  • Dieser Plan befindet sich nach Auskunft eines Sprechers der Stadtverwaltung noch in der Erarbeitung.
  • Es sei vorgesehen, den sogenannten Vorentwurf des Plans bis Herbst 2023 fertigzustellen, ihn dann der Öffentlichkeit vorzustellen und gegen Ende 2023/Anfang 2024 damit in die Gremien zu gehen (Bezirksbeirat Altstadt, Stadtentwicklungs- und Bauausschuss, Gemeinderat).
  • Das parallel laufende, zweistufige Wettbewerbsverfahren ist vom Dokumentationszentrum selbst ausgelobt worden. 

Denen aber widerspreche der als klotzig beschriebene Entwurf. Ausnahmen, davon sind die Kritiker des Neubauentwurfs des Dokumentationszentrums überzeugt, könnten die Stadtgesellschaft entzweien. Aus den 1970er-Jahren gebe es bereits ausreichend „Bausünden“, verweist Winter, der selbst Architekt ist, auf das „Darmstädter Hof Centrum“ und das Parkhaus Kornmarkt, das direkt gegenüber dem Dokumentationszentrum steht. Der weltberühmte Bau-Charakter der Altstadt drohe verloren zu gehen - deshalb habe die Stadt ja gerade die Erhaltungssatzung aufgestellt. Dass das Raumprogramm, das den Neubauplänen zugrunde liegt, inzwischen von 3300 auf 3000 Quadratmetern reduziert wurde, reiche nicht aus.

Studie zur NS-Zeit

Dass nun, „drei Generationen später“ die auch aus seiner Sicht sehr unrühmliche NS-Geschichte eines der Verfasser des offenen Briefes in die aktuelle Diskussion einbezogen werde, möchte Winter nicht weiter kommentieren. Er und seine Mitstreiter verweisen auf die wissenschaftliche Aufarbeitung in Kooperation mit dem Kurpfälzischen Museum und die öffentlichen Diskussionen um 2016 herum, die in versöhnlichen Gesprächen und gemeinsamen Auftritten mit Vertretern des Dokumentationszentrums mündeten.

Junge Wissenschaftlerinnen des Arbeitsbereichs „Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa“ der Universität Heidelberg sind im Mai 2013 beauftragt worden, die Rolle des Vereins im Zusammenhang mit der Vertreibung und Verschleppung von Sinti-Familien aus Heidelberg während des Nationalsozialismus zu untersuchen. Anlass: Ilona Lagrene, langjährige Vorsitzende des Verbands Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg (und kürzlich in Mannheim mit der Staufermedaille in Gold ausgezeichnet), hatte in ihren Untersuchungen die mögliche Beteiligung des Vereins „Alt-Heidelberg“ an der zunehmenden Drangsalierung der Sinti- und Roma-Familien seit den 1930er-Jahren thematisiert.

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Diskussionen 2016

„An dieser sukzessiven Entrechtung und Vertreibung waren die örtliche NSDAP, der Oberbürgermeister, das Wohlfahrtsamt, die Gewerbepolizei, die Wohnungsbaugesellschaft, das Bezirksamt der Stadt Heidelberg sowie der Verein ,Alt-Heidelberg’ gemeinsam beteiligt“, lautet ein Fazit der Forscherinnen. Der Verein „Alt Heidelberg“ habe sich etwa nachweislich am 10. August 1935 über den „Missstand der Überbevölkerung der Altstadt durch Zigeunerfamilien“ beschwert. Auf Umsiedlungen folgten später Deportationen.

Ilona Lagrene stellte später klar, sie hätte den Verein „Alt-Heidelberg“ nie angeklagt und dessen Mitgliedern keine nationalsozialistische Gesinnung vorgeworfen. Vielmehr habe sie sich gewünscht, dass der Verein „Alt-Heidelberg“ zu seiner Vergangenheit und der Rolle bei der Vertreibung der Heidelberger Sinti während des Nationalsozialismus stehe, fassen die Autorinnen der Studie zusammen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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