Heidelberg. Kaum waren die Architektenentwürfe für das neue Dokumentationszentrum der Sinti und Roma 2021 in der Heidelberger Altstadt vorgestellt, wurde heftig darüber in der Stadt – und darüber hinaus – diskutiert. Und das war richtig so. Danach schien es länger etwas ruhiger zu sein. Einem Vulkan vergleichbar, brodelte es offenbar im Untergrund weiter. Nun prasseln in der Folge erneut Antiziganismus-Vorwürfe auf jene nieder, die sich nicht mit der Größe und Architektursprache des Neubauentwurfs anfreunden können.
Dass dabei verwiesen wird auf schändliches Verhalten von Vereinsmitgliedern während der NS-Zeit, ist nicht fair. Natürlich haben die Altstädter, aber auch alle Deutschen, eine besondere Verantwortung gegenüber jenen, die in unserem Land zu Zigtausenden Opfer wurden. Aber die Verquickung von Unausgesprochenem und Unterstelltem mit Aus-dem-Zusammenhang-Gerissenem bildet schnell einen Boden, auf dem ideologisch statt sachlich argumentiert wird.
Also zurück zur Architektur: Ein Ort des Gedenkens ist am besten mitten im Leben aufgehoben – und in der lebendigen Diskussion. Schauen wir nach Berlin: Was hat das Stelenfeld des New Yorker Architekten Peter Eisenman, das 2005 in Erinnerung an die ermordeten Juden Europas fertiggestellt wurde, im Vorfeld für Empörung und Kritik gesorgt. Noch immer mag nicht jeder es als hübsch bewerten. Doch das Holocaust-Mahnmal in der neuen Mitte gehört inzwischen ganz selbstverständlich zum Stadtbild und ist millionenfach als Fotomotiv in die ganze Welt getragen worden.
Moscheen oder Synagogen, die in der Nachbarschaft gebaut werden sollen, sorgen genauso wie Kinderspiel- oder Bolzplätze, Industriehallen, Abstellanlagen – oder auch Bundesgartenschauen – für Diskussionen. Warum auch nicht. Wichtig ist, dabei offen im Gespräch zu bleiben. Und da scheint in Heidelberg rund um das aus Berlin und Stuttgart verantwortete Neubauprojekt ein Versäumnis zu liegen. Es wäre angezeigt, noch früher und offener über die Sache zu debattieren.
Das Heidelberger Bauvorhaben mag auf den ersten Blick befremden ob seiner vermeintlichen Klobigkeit. Der Entwurf des Stuttgarter Architektenbüros „bez + kock“ setzt sich aber sehr intelligent mit der Umgebung auseinander. Der Sandsteinsockel wirkt in den Nachbargebäuden der Zwingerstraße fort, die rosa Quader nehmen Bezug auf das Schloss und – mit aller Kantigkeit und Fensterarmut – spielt den Ball zum dahinter verbleibenden historischen Gefängnis.
Dieser Bereich der Heidelberger Altstadt – oberhalb der Zwingergasse – hat wenig von der Lieblichkeit der alten Gassen zwischen Zwingergasse und Neckar. Die Bergbahn-Station und das Kornmarkt-Parkhaus gegenüber – ein Betonkomplex aus den 1970er-Jahren von zweifelhafter Schönheit – verdient in jedem Fall einen kraftvollen gestalterischen Gegenspieler.
In jedem Fall müssen die Interessen der Nachbarn wichtig genommen werden. Private Bauherren mögen nachvollziehbar den Kopf schütteln ob der radikalen Formensprache und Größe des geplanten Dokumentationszentrums. Aber es geht in diesem Fall nicht um ein persönliches Einzelinteresse, sondern um ein gesellschaftliches Statement. Und das darf auf jeden Fall klar und kantig formuliert werden.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Architektur Dokumentationszentrum in Heidelberg: Antisemitismus-Kritik ernst nehmen
Um die Pläne eines Neubaus für das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in der Heidelberger Altstadt gibt es Kritik - und Antisemitismus-Vorwürfe