Die Betroffenheit in Ludwigshafen ist riesengroß. Eine riesige Hilfs- und Solidaritätswelle für die türkische Partnerstadt Gaziantep ist angerollt. Die Millionenstadt liegt mitten im Epizentrum des schrecklichen Erdbebens, das Tausende von Todesopfern gefordert hat. „In schwierigen Zeiten braucht man Partner“, sagt Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck. Zusätzlich zu den schwierigen Beratungen rund um den hochdefizitären Haushalt der Stadt im Haupt- und Finanzausschuss ist sie aktuell damit beschäftigt, ein ganzes Bündel von Hilfsaktionen mit vielen Akteuren in der Stadt zu koordinieren. Zahlreiche Ludwigshafener haben Verwandte und Freunde in der Region um Gaziantep und bangen um deren Wohlergehen.
Lebenszeichen nach vier Stunden
Seit Montagvormittag schreibt sich Marcel Jurkat, Protokollchef und Partnerschaftsbeauftragter der Stadt Ludwigshafen, die Finger wund. Um 8.04 Uhr setzte er die erste Whats-App-Nachricht an seinen Amtskollegen Sahin Cetin in der türkischen Metropole ab mit der bangen Frage, ob es ihm gut gehe. Um 8.11 Uhr und 9.25 Uhr schrieb Jurkat die nächsten Nachrichten. Erst um 11.47 sendete Cetin ein Lebenszeichen. Der Anruf dauerte keine Minute: „Mir geht’s gut. In der Stadt herrscht Chaos“, sagte der Kollege. Jurkat fiel einerseits ein Stein vom Herzen, andererseits leidet er mit den Einwohnern der türkischen Stadt. Schließlich kennt er die Metropole von mittlerweile vier Besuchen, hat selbst zahlreiche Bekannte und Freunde dort.
Telefonieren mit der türkischen Partnerstadt geht allerdings kaum: Die Infrastruktur für die Telekommunikation ist durch die schweren Erdstöße nahezu zusammengebrochen. Das meldet auch das Technische Hilfswerk (THW), das auf das Hilfeersuchen der Türkei hin im Auftrag der Bundesregierung unterwegs in die Südosttürkei ist. Schließlich muss auch das THW den Kontakt zu seinen Hilfseinheiten irgendwie sicherstellen.
Die Nachrichtenagenturen zeigen verstörende Bilder, reihenweise zusammengebrochene Häuser, riesige Schutthaufen auf den Straßen und Rettungsmannschaften im Einsatz. Die Situation ist dramatisch und unübersichtlich, berichtet Jurkat von seinen Kontakten in die Partnerstadt. Verschärfend komme ja noch hinzu, dass in der rund 2,1 Millionen Einwohner zählenden Metropole aktuell auch noch 500 000 Geflüchtete aus Syrien versorgt werden müssen – „so viele Menschen wie Einwohner von Ludwigshafen und Mannheim zusammen“, verdeutlicht Jurkat die Dimension der Flüchtlingssituation. Gaziantep liegt keine 30 Kilometer entfernt von der türkisch-syrischen Grenze. Aleppo ist gerade mal 60 Kilometer weit weg.
Um schnell und unbürokratisch helfen zu können, hat der Freundeskreis Ludwigshafen-Gaziantep ein Spendenkonto eröffnet. Darauf haben Bürgerinnen und Bürger schon nach eineinhalb Tagen bereits über 10 000 Euro an Spenden überwiesen. „Wir freuen uns über die große Hilfsbereitschaft. Die Not im türkischen Erdbebengebiet ist groß. Zurzeit werden noch Tausende von Menschen unter den Trümmern eingestürzter Gebäude vermisst. Auch Familien in Deutschland sind im Ungewissen über das Schicksal ihrer Angehörigen in der Türkei“, berichtet Vorsitzender Hans-Uwe Daumann. Seine Vereinskollegen Ibrahim Yetkin und Baris Yilmaz sind pausenlos dabei, Informationen zu sammeln und Hilfsmöglichkeiten zu prüfen.
Von Sachspenden abgeraten
Mit den Geldspenden will der Freundeskreis Notunterkünfte unterstützen: Zelte, Schlafsäcke, Decken, da viele Menschen angesichts der auch starken Nachbeben vorerst nicht in ihre Wohnungen zurück können und der Winter in der Region frostig ist. Von Sachspenden rät der Freundeskreis zunächst ab. Hilfstransporte in die Region seien derzeit nicht realistisch. „Sobald die Wege offen sind, wollen wir erneut prüfen, ob Hilfslieferungen aus Ludwigshafen sinnvoll sind“, sagt Daumann. Das Spendenkonto des Freundeskreises ist bei der Sparkasse Vorderpfalz eingerichtet mit der IBAN DE67 5455 0010 0191 2849 34. Das Stichwort lautet „Erdbeben“. Die Spendengelder werden ohne Abzug an die Katastrophenhilfe in der Südosttürkei weitergeleitet.
Der Ludwigshafener Feuerwehrmann Murat Isik, Vorsitzender des Hilfsvereins „Help Me“, ist auf dem Weg ins Krisengebiet, um mit anzupacken. Eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, die sich zum Familienbesuch in Gaziantep aufhält, ist auch betroffen. Es gehe ihr körperlich gut, sie habe aber nichts mehr als ihre Kleidung am Leib, berichtet Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck.
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