Heidelberg/Kiew. „Bis zum 24. Februar habe ich mit meiner Frau und meiner Tochter ein ganz normales Leben geführt“, sagt Evgen Gluzov. Doch mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine drangen Angst, Militärkolonnen und Raketenbeschuss auch für ihn und seine kleine Familie ins Leben ein – und änderten auf einen Schlag alles. Nun organisiert der Unternehmer, dessen Firma ihren Sitz in Heidelberg hat, Hilfe speziell für Kinder und deren Mütter, die in der Ukraine zum Beispiel in Flüchtlingscamps leben. Mit einer eigenen Spenden-Plattform haben Gluzov und sein Partner Dymtro Belich bereits mehr als 70 000 Euro gesammelt und in mehr als 40 Flüchtlingscamps verteilt.
Millionen Menschen geflüchtet
Mehr als sieben Millionen Menschen sind seit dem 24. Februar aus ihrem Zuhause vertrieben worden, beschreibt der 36-Jährige. „Einige haben keinen Ort mehr, an den sie zurückkehren können“, fügt er hinzu. Mit der von ihm und seinem Partner gegründeten Ukraine-Kinderhilfe konzentriert er sich auf die Unterstützung von Frauen mit Neugeborenen, Müttern mit behinderten oder kranken Kindern sowie andere besondere Notfälle – ein Zusatzangebot zur Arbeit der großen humanitären Organisationen. Unkompliziert und schnell können er und sein Team auf besondere Fälle reagieren – etwa, wenn ein krankes Kind Medikamente benötigt.
- Evgen Gluzov (36) ist in Kiew geboren und lebte dort mit Frau und Tochter bis vor Kurzem.
- Seit seinem 13. Lebensjahr verbringt er jedes Jahr drei bis vier Monate bei seiner Großmutter in München.
- Gluzov hat in Kiew Philologie und internationale Beziehungen studiert. Mit IT-Spezialisten gründete er 2012 ein kleines Unternehmen zur Integration von elektronischen Zahlungsmöglichkeiten an Kiosken. Es hat seinen Sitz in Heidelberg.
- Infos und Spendemöglichkeit auf der Internetseite Ukrainekinderhilfe.eu.
Untergebracht in Klassenräumen
Gluzov zeigt Fotos auf dem Handy, die er bei Spendenübergaben gemacht hat oder die ihm geschickt wurden. Es sind meist zusammenstehende Frauen und Kinder, die ein bisschen lächeln und sich freuen über die Waren, denen man aber auch ansieht, welche Last sie gerade auf ihren Schultern tragen. „Klassenräume und Sporthallen sind zu Sammelunterkünften umgestaltet worden, in denen ein möglichst menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.“
Wir treffen uns zum Gespräch im „Café Fresko“ in der Heidelberger Innenstadt. Gluzov macht einen angestrengten und sehr ernsten Eindruck. „Als der Krieg begann, sah ich es als meine Pflicht an, mehr zu tun“, betont er. Kämpfen will er aber, mit seinen eigenen Mitteln, nicht mit der Waffe. Sondern seine eigenen Stärken einbringen: sein internationales Netzwerk aktivieren, eine Internetseite gestalten und die Möglichkeit einer digitalen Spende einrichten, damit das Geld schnell und ohne großen bürokratischen Aufwand dorthin gelangt, wo es schnell helfen kann. Auf der Internetseite der Ukraine-Kinderhilfe gibt es beinahe täglich einen neuen Bericht mit Fotos über Spendenübergaben. Mal sind es medizinische Produkte für Kinder, mal Hygieneartikel, mal kiloweise Nahrung und Obst für Frauen und Kinder in Sammelunterkünften. 3000 bis 5000 Euro sind es durchschnittlich in einer Woche.
Ehrenamtliche im Einsatz
Ein Team von etwa sieben Personen und Kontaktleute vor Ort kümmern sich um die Verteilung und Abwicklung der Spenden. Dafür wird auch die ukrainische Post genutzt. „Der Transport ist zum Teil für unsere Helfer sehr gefährlich“, weiß der Familienvater. Und es werde immer schwieriger.
Ständig würden Lieferwege unterbrochen. Auch er selbst fährt regelmäßig in die Ukraine und kümmert sich um die Übergabe von Medikamenten, Säuglingskleidung oder anderen dringend benötigten Dingen. Wegen einer körperlichen Einschränkung wird Gluzov nicht von der ukrainischen Armee eingezogen. Gerade hat er wieder einen medizinischen Test in der Heimat absolviert, der ihm den freien Grenzübertritt ermöglicht.
Digitale Spendenbox
2012 hat Gluzov in Heidelberg, München und Nürnberg sein IT-Unternehmen „Fountain Head It“ gegründet. 2015 kam die ebenfalls in Heidelberg ansässige gemeinnützige Stiftung Regionale Entwicklung in der Ukraine hinzu. Es sollte eine unabhängige, transparent agierende Organisation etabliert werden, um Ukrainern in deren Heimat zu helfen. 2012 hatten die beiden Unternehmer eine digitale Spendenbox auf den Markt gebracht, die von der Ukrainischen Charity-Gesellschaft als innovativste Charity-Erfindung ausgezeichnet worden sei, berichtet Gluzov stolz.
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