Heidelberger Herbst

Heidelberger Frühling setzt 2024 auf "Tiefenbohrung im Vertrauten"

Der Heidelberger Frühling will sich in der nächsten Ausgabe im kommenden Jahr mit aller Gründlichkeit Johannes Brahms zuwenden. Insgesamt 76 seiner Werke sollen zur Aufführung kommen

Von 
Dr. Hans-Guenter Fischer
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Der Co-Künstlerischer Leiter, Igor Lewit (l.), und Intendant Thorsten Schmidt haben als Schwerpunktthema für den Heidelberger Herbst Brahms gesetzt. © Heidelberger Frühling

Jetzt ist auch schon die Programmpräsentation zu einem Teil der Show geworden. Früher wurde sie nur für den Freundeskreis des Heidelberger Frühlings anberaumt, nun findet sie im vollbesetzten neuen Karlstorbahnhof in der Heidelberger Südstadt statt. Und das gesamte Festival im Jahr 2024 soll in eine neue Form gegossen werden. Was bedeutet das? Wie stets beim Heidelberger Frühling hoffen wir auf etwas Großes, Unerwartetes und Zukunftsweisendes. Und hören dann vom Intendanten Thorsten Schmidt: Der Komponist Johannes Brahms wurde als großes Schwerpunktthema auserkoren. Völlig freiwillig. Kein Jubiläum zwang zu diesem Schritt.

Das klingt zunächst äußerst konventionell. In einem Ausmaß, dass es fast schon wieder originell sein könnte. Brahms soll nämlich einer „Tiefenbohrung“ unterzogen werden, bei der im Verlauf der Heidelberger Festivalabfolge stolze 76 Brahms-Werke (oder auch ganze Werkgruppen) zur Aufführung gelangen sollen. Die berühmtesten und meistgespielten Stücke werden freilich fehlen: die vier Sinfonien. Nicht, weil die nun wirklich allzu gut bekannt sind - was ja auch ein Argument sein könnte. Sondern, weil es für großorchestrale Aufführungen vorerst keinen adäquaten Spielort gibt. Die Heidelberger Stadthalle ist ein Sanierungsfall und wird 2024 noch nicht zur Verfügung stehen. Erst im Jahr darauf soll sich das ändern. Hoffentlich.

Erster Überblick zum Heidelberger Frühling 2024

  • 18. bis 21. Januar: Streichquartettfest. 16. bis 18. Februar: Festspiel-„Ouvertüre“ im „Europäischen Hof“ in kleinem Kreis.
  • 15. März bis 13. April: „eigentliches“ Festival – neben den jungen Interpretinnen und Interpreten treten viele Arrivierte auf, wie Renaud Capucon, Christian Gerhaher oder Patricia Kopatchinskaja. Am Abschlussabend leitet Paavo Järvi die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Das wird hochpreisig. Aber es gibt auch wieder kleinere Konzerte in den Heidelberger Stadtteilen, bei freiem Eintritt.
  • 12. bis 16. Juni: Liedfestival.
  • Hauptspielorte des Musikfests sind die beiden Universitäts-Aulen, die Peters- und die Jesuitenkirche und das Dezernat 16 als „Kreativspielstätte“. Der Vorverkauf startet am 23. Oktober. 
  • Info: www.heidelberger-fruehling.de.

Doch dafür ist der Schwerpunkt-Komponist ja selbst eine Art Rückzugsort in rauen Zeiten. Wer und was ist sicherer, verlässlicher als Brahms? Er stehe ihm besonders nahe, schwärmt der Heidelberger Frühlings-Intendant im Karlstorbahnhof, „seine Werke tun mir gut“. Sie packten ihn „emotional am meisten“. Die Idee zum Schwerpunktthema sei in seiner Küche komponiert worden, berichtet Thorsten Schmidt. Als er zusammen mit dem Pianisten und Co-Künstlerischen Leiter Igor Levit beim Gemüseraspeln war. Der wollte immer schon die kammermusikalischen Preziosen Brahms‘ mit jungen Interpretinnen und Interpreten möglichst vollständig ertönen lassen. Nicht nur das zweite Klavierquartett, das Levit als „Weltwunderwerk“ bezeichnet. Und so wird es jetzt 2024 kommen. Neben dem gesamten Kammermusikwerk wird auch die Soloklaviermusik zur Gänze aufgeführt. Von Igor Levit, aber auch von namhaften beziehungsweise jungen, vielversprechenden Kollegen und Kolleginnen.

Bach, Beethoven als Vorbereitung

Er selbst, sagt Levit, fühle sich „so weit, jetzt Brahms zu spielen“. Demnach waren ihm also selbst Bach und Beethoven nur eine Vorbereitung: für den späten Brahms, den er im Karlstorbahnhof ausschnittweise spielt: Natürlich ist auch das bekannte Intermezzo Opus 118/2 dabei, mit dem charakteristischen Septimensprung. Die Innigkeit und Herzlichkeit dieser Musik vermag der Pianist sogar in der für Klassik nicht besonders klassischen Location in der Südstadt zu vermitteln. Es frappiert, wie Levit ansatzlos vom Moderator und Programmmacher zum Musiker mutiert. Und live fast mehr beeindruckt als in manchen seiner Tonaufnahmen. Von Johannes Brahms werden im Rahmen der diversen Frühlings-Festivals aber auch Lieder sowie Chor- und Orgelwerke aufgeführt (die letzteren mit höchstrangigen Interpreten: Olivier Latry und Iveta Apkalna). Da droht fast der Overkill in Sachen Brahms. Doch die Programmmacher versichern uns, dass das schon nicht passieren werde und auch „Gegenüberstellungen“ geplant seien. Nicht nur mit Werken Robert Schumanns, der einst Brahms‘ großer Entdecker war. Sondern auch mit Modernem, Zeitgenössischem.

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An Spielwiesen und künstlerischen Frei- und Schutzräumen herrschte beim Heidelberger Frühling ohnehin nie großer Mangel. Diesmal gibt es unter anderem ein „Brahms.LAB“, in dem junge Interpretinnen und Interpreten neue Ansätze entwickeln sollen. Dabei gehe es in einem Fall sogar um „Parallelen zwischen Brahms und Rap-Musik“, erfahren wir erstaunt. Das hätten wir dem alten Rauschebart mit seinen spätromantischen Andante-Bögen gar nicht zugetraut. Aber er sei „nicht der Kanoniker“ und Akademiker der Töne, der so oft in ihm vermutet werde, sagen die Programmgestalter.

Auf der großen Leinwand an der Rückseite im Saal des Karlstorbahnhofs wirkt er jedenfalls taufrisch: Hadi Karimi, der aus dem Iran stammt, hat ein „3D-Rendering“ aus einem alten, etwa 1860 aufgenommenen Porträt gefertigt. Brahms als Twen und überraschend attraktiver junger Mann. Ganz ohne Bart. Und mutmaßlich auch ohne Bierbauch.

Freier Autor In Heidelberg geboren. Studium (unter anderem) der Germanistik. Promotion über Rainer Maria Rilke. Texte zu Literatur, Musik und Film.

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