Heidelberg. Mit drei Jahren hat man ihn zum ersten Mal an ein Klavier gesetzt. Und dass er selbst noch alle Nachwuchswettbewerbe nennen könnte, die ihm seine strengen Förderer verordneten, ist eher unwahrscheinlich. Aber „Qualität“ kommt ja womöglich doch von „Qual“ – wie sogar mancher Fußballtrainer postuliert.
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Mao Fujita ist inzwischen 25, und wenn er beim Heidelberger Frühling durch die ausverkaufte Alte Universitäts-Aula den Weg nach vorn beschreitet, wirkt sein Gang eher leicht geduckt und schlurfend als athletisch. Doch das täuscht enorm: Beim Spielen kennt der Pianist kein Halten oder Zögern, seine ersten Töne sprudeln aus dem Flügel, ehe er noch „richtig“ Platz genommen hat.
Fujitas Spiel ist mehr als "bloßes Wiedergeben"
Er spielt ja auch zunächst das Stück, das er vielleicht am besten kennt. Das ihn dazu veranlasst haben soll, auf eine Profimusikerkarriere hinzuarbeiten: Mozarts Klaviersonate Nummer 10 in C-Dur von 1783. Und es soll geschehen sein, als er die späte Aufnahme Vladimir Horowitz‘ gehört hat, aus dem legendären Recital in Moskau. 1985. Einen derart delikaten Anschlag hatte er noch nie vernommen. Damals. Aber heute ist Fujita reif genug, Horowitz nicht einfach zu kopieren, dessen Manierismen gibt es in der Heidelberger Lesart des Japaners nicht. Stattdessen viele an den Kenner appellierende Finessen.
Artikulatorisch operiert Fujita mit erlesenem Besteck. Das Narrativ der klassisch-abendländischen Musik ist ihm tief vertraut. Das Mozart-Spiel eines Lang Lang mag sorgsam antrainiert sein – das von Fujita ist verinnerlicht. „Ich kann jetzt wirklich aus den Noten lesen“, sagt er, und das meint viel mehr als bloßes „Wiedergeben“. Diesen letzten Schliff hat er sich in Europa zugelegt. Vor allem in Berlin, bei seinem Lehrer Kirill Gerstein.
Eintauchen in eine oft dunkel abgetönte Klangwelt
Das befähigt ihn in Heidelberg dazu, auch die nicht oft gespielten „Acht Klavierstücke“ von Brahms konzertreif aufzuführen und in eine im Vergleich zu Mozart andere, oft dunkel abgetönte Klangwelt einzutauchen. Manchmal brausend oder schäumend. Ein Spätromantiker sinniert über die Hochromantik: Brahms erinnert sich an Schumann und Chopin. Zumindest bruchstückhaft. Im siebten Stück geschieht das in Fujitas Interpretation mit kunstvoll stockender Phrasierung.
Kontraste gegen zu viel Lieblichkeit
Auch sein Schumann überzeugt. Einzig die wunderschöne „Arabeske“ kringelt sich ein wenig hurtig ein, hat manchmal etwas Drängendes, fast Rastloses. Da möchte der Japaner offenbar Kontraste setzen gegen zu viel Lieblichkeit. Das Stück war wie der große Zyklus „Kreisleriana“, den Fujita folgen lässt, im Übrigen auch wieder ein Spezialgebiet von Horowitz. Fujita hält sich glänzend: In den „Kreisleriana“ macht er aus der zweiten Nummer einen ganzen Zyklus innerhalb des Zyklus, in der vierten findet er mit liedgesanglichem Legato gar das warme Herz des Ganzen. Doch er malt keine Idyllen: In bisweilen rabiatem Duktus lässt er auch Dämonen von der Leine (insbesondere im siebten Stück). „Romantik“ ist nicht nur als Schwelgerei im Kerzenschein, sondern auch als Balance-Akt über Abgründen zu deuten, weiß Fujita. Und er hat die technisch-künstlerischen Möglichkeiten, dies herauszustreichen. Es ist eine kleine Sternstunde.
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