Klassik-Kritik

Chor setzt Maßstäbe beim Heidelberger Frühling

Der 20-köpfige britische Tenebrae Choir  unter Nigel Short begeistert bei dem renommierten Festival in der Neuen Aula mit geistlichen Gesängen

Von 
Eckhard Britsch
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Die große Kunst des knapp 20 Stimmen umfassenden Tenebrae Choirs: Er klingt klar und durchsichtig, nuanciert und voller Wohllaut. © Studio Visuell

Heidelberg. Dem Bach-Zeitgenossen Telemann wird die These zugeschrieben, dass Singen das Fundament aller Musik sei. In diesem unserem Lande, gerät das zunehmend in Vergessenheit, wenn in den Schulen der Musikunterricht sträflich vernachlässigt wird, denn Mathe sei doch sehr viel wichtiger. Dumm nur, dass die Eleven zunehmend weniger gut rechnen können, vom Singen mal ganz abgesehen. In England ticken die Uhren anders, vielleicht traditioneller. Jedenfalls wird Chorgesang an Schulen, Colleges, Universitäten gepflegt, meist als Pflichtfach, weswegen immer wieder ausgezeichnete A-cappella-Ensembles auf sich aufmerksam machen.
Beim Heidelberger Frühling gab jetzt der Tenebrae Choir seine Visitenkarte ab und begeisterte unter Leitung von Nigel Short – nicht zu verwechseln mit dem Schach-Großmeister gleichen Namens – die erwartungsvollen Hörer mit einem Wechselspiel an Kompositionen von Anton Bruckner und Johannes Brahms. „Tenebrae“ meint das Dunkel, auch die Nacht, die gegen Lebensende über uns einbrechen mag.

20 Stimmen umfassender Chor singt transparent nuanciert

Doch die Kunst dieses knapp 20 Stimmen umfassenden Chors kehrt den Namen ins Gegenteil, so klar und durchsichtig, nuanciert und voller Wohllaut er in der Ausgewogenheit der Stimmen agiert. Wobei im Tenor der Organist George Herbert einsprang, der wiederum in einigen Sätzen an der Orgel grundierend vom Mannheimer Kirchenmusiker Johannes M. Michel ersetzt wurde, was problemlos funktionierte. Erfahren und kompetent.
Bruckner ist dem Musikliebhaber von seinen Sinfonien einigermaßen geläufig, gelegentlich steht auch sein Streichquintett auf dem Programmzettel, doch seine Chorwerke werden vernachlässigt. Dieses Vakuum besetzt der „Tenebrae Choir“ in ausgezeichneter Weise, wenn er die Chorsätze des vielleicht naiv-, aber tiefgläubigen Komponisten rund um sein „Ave Maria“ auskostet.

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Veröffentlicht
Von
Martin Vögele und Jörg-Peter Klotz
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Wunderschön die Selbstverständlichkeit, mit der die komplexen harmonischen Wendungen ohne jede Schwebung ausgesungen werden. Hoch differenziert, homogen im Gesamtklang und fein austariert in den wechselnden Gewichtungen der Stimmführung. Kurzum: feinste Chorkunst, eindringlich und berührend, vom „Virga Jesse“ bis zum „Christus factus est“.
In zentraler Mitte des Heidelberger Frühlings 2024 steht der Name Johannes Brahms. Über alle Schaffensphasen hinweg hat er sich mit weltlichen und geistlichen Chorwerke beschäftigt, und ein Ausschnitt seiner geistlichen Werke stand komplementär zu den Bruckner-Kompositionen.

Etwa die Fest- und Gedenksprüche op. 109, voller Hoffnung auf ein friedfertiges Dasein. Ein belebter musikalischer Atem durchzog diede Interpretation, oder auch den voller Anfrage durchzogenem Satz „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen“ (op. 74/1). In den drei Motetten (op. 110) wurden die Hoffnung auf Gnade und Tröstung „in höchsten Nöten“ zur Manifestation chorischer Exzellenz.

Maßstäbe, an denen sich hiesige Chöre orientieren dürfen

Der Zusammenklang von Sensibilität und plastischer Präsenz ist ein Markenzeichen dieses international renommierten Chors. In Heidelberg setzte er Maßstäbe, an denen sich hiesige Chöre orientieren dürfen. Zum Ausklang und Abschied sang der Chor noch voller Innigkeit die Fürbitte „Herr bleib bei uns, denn es will Abend werden“. Ergebung ins Schicksal und Erwartung aif Erlösung zugleich, als Summe eines Konzertabends, der haften bleiben wird.

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