Heidelberg. Medikamente präzise und personalisiert mit dem 2D- und 3D-Drucker herzustellen, ist längst keine „Zauberkunst“ mehr. Das belegt ein Redaktionsbesuch in der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg. Torsten Hoppe-Tichy, über 32 Jahre hinweg bis April 2025 der Chefapotheker der Klinikumsapotheke, führt durch das Labyrinth aus Gängen, Türen, Laboren, Umkleidekabinen, Reinräumen, Lagerräumen und Büros. Und schnell hat sich der Eindruck verfestigt, dass in diesem Kosmos der Herstellung und Aufbewahrung von Arzneimitteln alles bis ins kleinste Detail durchdacht ist.
Wir gelangen nach einigen Etappen und einem Kurzblick auf zwei Pläne mit den treffenden Bezeichnungen „Personalfluss“ und „Materialfluss“ ins Epizentrum des Medikamentendrucks. Es ist ein unscheinbarer, fensterloser Raum von rund zehn Quadratmetern. Dort stehen die drei Arzneimitteldrucker: normalerweise der 2D-Drucker „DiHeSys Flexdose Printer“, welcher aber gerade vom Hersteller qualifiziert wird – und daneben befinden sich die 3D-Drucker von „CurifyLabs“ und von „FABRX“.
Wie funktionieren die beiden letzteren? Sie sind hochmoderne Drucksysteme, verknüpfen quasi vereinfachte Arbeitsprozesse und benutzerfreundliche Software. Beim Drucker von CurifyLabs (Finnland) wird eine Plastikspritze mit dem jeweiligen Wirkstoff und einigen Hilfsstoffen eingespannt. Dann verteilt sich die durch Wärme verflüssigte „halbfeste Grundlage“ (Hoppe-Tichy) auf vorbereitete Näpfe. Es resultieren daraus Tabletten, Filme oder Zäpfchen, die geformt werden. „Von der Matrix und Konsistenz her ist das ähnlich wie bei einem Gummibärchen“, sagt Hoppe-Tichy.
3D-Drucker sind schnell, effizient, nachhaltig und bedarfsorientiert
Was ansonsten händisch und zeitaufwändig in der Medikamentenherstellung gemacht werden musste, kann mithilfe des 3D-Druckers schnell, effizient, nachhaltig, bedarfsorientiert und dosierungsgenau erledigt werden. Der Drucker „M3DIMAKER“ von FABRX (Großbritannien) bietet gar drei verschiedene Druckköpfe, die eine Modellierung von Pasten und Gelen, das Verdrucken von Arzneimittel-beladenen „Filamenten“ (eine fadenförmige Arzneimittelgrundlage) oder direktes Verdrucken von Pulvern ermöglichen. Bei beiden 3D-Druckern wird auf einer eingebauten filigranen Waage gedruckt, so dass jedes Printlet einzeln dokumentiert werden kann. Qualitätskontrolle auf allerhöchstem Niveau – Qualitätskontrolle für jede einzelne „Pille“ ...
Die Apotheke des Uniklinikums
Ort: Im Neuenheimer Feld, Gebäude 670
Mitarbeitende: 160
Ansprechpartner des Projekts: Torsten Hoppe-Tichy, Stefanie Sauer, Anna Harjans, Laura Kirsch.
Versorgungsumfang (Betten), UKHD: über 2.000 (plus Heppenheim: 280)
Fremdhäuser (Versorgungsvertrag): 879 (Salem, Schmieder, Bethanien, Ethianum, Prostataklinik)
Umsatz Apotheke (interne/externe Abgabe): ca. 130 Millionen Euro/30 Millionen Euro
Lagerwert: ca. 13,5 Millionen Euro; Lagerumschlagsfaktor 11,5; Reichweite: ca. 55 Tage
Angefangen hat in Heidelberg alles mit dem 2D-Drucker. Eine Kooperation des Universitätsklinikums mit dem schwäbischen Start-up Digital Health Systems GmbH (DiHeSys) sowie die Förderung des Forschungsprojekts mit 1,4 Millionen Euro durch die Dietmar Hopp Stiftung, bildeten 2020/2021 die Basis für eine Klinische Machbarkeitsstudie.
Hierbei wurde der digitale zweidimensionale Druck von Arzneimitteln auf esspapier-ähnlichen Dünnfilmen, die sich im Mund in Sekundenbruchteilen auflösen, durchgeführt. 24 gesunde Probanden erklärten sich zum Test der innovativen Technologie bereit. Der 2D-Drucker, der wie ein Tintenstrahldrucker arbeitet, sorgte für eine Prüfmedikation, die die Verwendung des „Beruhigungsmittels“ Midazolam in geringsten Mengen beinhaltete. „Wir sind die ersten und bisher die einzigen in Deutschland, die eine echte Klinische Studie im Bereich des 2D-Drucks von Arzneimitteln gemacht haben“, konstatiert Torsten Hoppe-Tichy, der gemeinsam als „Senior Researcher“ mit drei Apothekerinnen sein Herzensprojekt bis Ende 2025 und wahrscheinlich darüber hinaus weiterführen dürfte.
Dosisanpassungen und individualisierte Formen der Medikamente besonders bei Kindern ein zentraler Punkt
Die oralen Dünnfilme des zweidimensionalen Pharma-Druckers begünstigten eine neue Denkweise Richtung Kindermedizin und -kliniken. Bei der „besonders sensiblen Gruppe der Kinder“ seien Dosisanpassungen und individualisierte Formen der benötigten Medikamente ein zentraler Punkt, so Hoppe-Tichy. Die Gabe von Arzneimitteln definiert sich über die Kriterien der Aufnahme und des Geschmacks.
Hoppe-Tichy benennt zwei Patientenkollektive, die das unmittelbar betrifft: die Gruppe der Säuglinge und Kinder und die der geriatrischen Patientinnen und Patienten. Ältere Menschen, zumal wenn sie etwa an Demenz erkranken oder unter Parkinson leiden, haben meist Schluckbeschwerden. „Die direkt auflösenden Dünnfilme werden viel besser akzeptiert“, sieht der 66-jährige Apotheker und Wissenschaftler Hoppe-Tichy großes Zukunftspotenzial für den Medikamentendruck, „das Szenario, das bei älteren Menschen verschiedene Wirkstoffe in eine Tablette gepackt werden, ist denkbar.“
Apothekerin Stefanie Sauer gehört zum Quartett, das den Medikamentendruck am Universitätsklinikum seit einigen Jahren eng beobachtet und begleitet, und hat die Administrative Leitung in der Arzneimittelherstellung inne. Sauer erinnert sich, dass bereits mit der Zulassung 2015 des ersten Medikaments SPRITAM, das mittels 3D-Drucktechnologie in den USA produziert worden war, ein dezenter Hype entstand. „Es galt damals als ein bisschen schick – und es gab auch ab 2017 viele Tüfteleien von Unigruppen in ganz Europa“, erzählt Sauer.
Der Austausch mit anderen Experten auf dem Gebiet funktioniert bestens
Unisono sagen Torsten Hoppe-Tichy und Stefanie Sauer, dass die Umsetzbarkeit der personalisierten Arzneimittelherstellung durch 2D- oder 3D-Medikamentendruck als solche kein Problem mehr darstelle. Der Austausch mit anderen Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet funktioniere bestens. Neben den Heidelbergern beschäftigen sich vorrangig das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, die Universitätsmedizin Mainz, die Mühlenkreiskliniken Minden und auch die Charité Berlin mit dem Innovationsthema, das für einen Gleichklang von moderner Pharmazie und personalisierter Medizin sorgen kann.
„Der Medikamentendruck ist für uns als Klinikumsapotheke eine tolle Sache, um uns zu erweitern und passgenaue Medikamente zur Verfügung zu stellen. Wir lernen jeden Tag mit diesen Technologien“, zeigt sich Stefanie Sauer optimistisch, „der 3D-Drucker löst nicht nur die Probleme der Dosierung und des Geschmacks, sondern er leistet obendrein eine Variabilität und Flexibilität par excellence.“
Woraus bestehen also noch die Hürden, um diese Pionierarbeit dauerhaft zu etablieren? Zum einen sei es der Föderalismus in Deutschland, der im Gegensatz zu Skandinavien, den baltischen Staaten und Frankreich den Durchbruch erschwere. Aufsichtsbehörden in den jeweiligen Bundesländern prüfen und ticken unterschiedlich. „Für sie ist der Medikamentendruck teilweise noch wie Voodoo“, berichtet Hoppe-Tichy über zu leistende Überzeugungsarbeit. Apothekerin Sauer sieht in den Kliniken selbst die Parameter Infrastruktur und Digitalisierung als richtungsweisend an.
3D-gedruckte Medikamente könnten den universitären Klinikbetrieb auf dem Campus versorgen
37 Uniklinik-Apotheken gibt es insgesamt in Deutschland. Diese und aber auch andere Krankenhausapotheken können – theoretisch – den jeweiligen universitären Klinikbetrieb auf dem Campus mit 3D-gedruckten Medikamenten je nach Bedarf und Rezeptur versorgen. Den niedergelassenen Bereich der Apotheken erreichen sie unterdessen nicht – eine flächendeckende Arzneimittelversorgung scheint bedingt durch die gesetzlichen Vorgaben zum Versorgungsbereich Utopie zu bleiben.
Die Klinikumsapotheke im Neuenheimer Feld ist Apotheke, Speziallabor, Herstellungs- und Forschungszentrum sowie strategischer Netzwerker in einem. Spätestens 2026, so hoffen der langjährige Chef Torsten Hoppe-Tichy und sein Nachfolger Dr. Tilman Schöning, könne man mit der Kinderklinik und dem Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) neue gemeinsame Wege zwischen Apothekern und Ärzten beschreiten. Das oberste Gebot heißt dabei stets „Arzneimitteltherapiesicherheit“ – auch in der spektakulären Ära von 2D- und 3D-Pharma-Druckern bedarf es des gegenseitigen Vertrauens. Gerade wenn es, präzise und personalisiert, den jüngsten und ältesten Patientinnen und Patienten im Heilungsprozess helfen soll.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-heidelberg-uniklinik-stellt-medikamente-aus-dem-3d-drucker-her-_arid,2330771.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html