Mannheim. Bei der Polizei und in der Medizin gibt es eine große Gemeinsamkeit. Das ist eine ausgeprägte Vorliebe für Kürzel. Manchmal nutzen sie sogar dieselben, etwa RTW für Rettungswagen. Aber beide Berufsgruppen sprechen natürlich auch ihre eigenen Sprachen. So sagt ein Polizist für Drogen BTM, also Betäubungsmittel. Und wird bei Waldhof-Spielen die SKB gerufen, ist die szenekundige Beamtin gemeint (doch, doch, das ist eine Frau).
Die Universitätsmedizin Mannheim indes nennt sich so gern und oft UMM, dass dem bestimmt viele nachtrauern, wenn am 1. Januar 2026 der Verbund startet und als 89,9-Prozent-Eignerin die Uniklinik Heidelberg einsteigt. Zumal deren Kürzel (UKHD) eher nach kosovarischen Freischärlern klingt und durch den hiesigen Zusatz „Campus Mannheim“ nur bedingt besser wird.
Einen weitaus schwierigeren Namen hat das Klinikum aber höchstselbst kreiert, schon 2012: M²OLIE. Es entpuppt sich als äußerst erfolgreich. Zum dritten Mal in Folge fließen nun schon, jeweils gestreckt auf fünf Jahre, zehn Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium.
Das Projekt mit dem schwierigen Kürzel wird „Mooii“ gesprochen
Ausgesprochen wird M²OLIE nicht wie der Fußballer Kylian Mbappé, sondern „Moolii“. Und das Kürzel steht für „Mannheim Molecular Intervention Environment“. Hilfreicher als zu übersetzen ist vermutlich, es zu erklären: ein Forschungsprojekt, das neue, schnellere und schonendere Wege in der Krebsbehandlung entwickeln soll.
Um zu veranschaulichen, wie das in der Praxis funktionieren soll, hat die Mannheimer Universitätsmedizin am Donnerstag lokale Medien auf den Campus geladen. Zunächst werden Schaubilder gezeigt und vorgelesen, die vor Begriffen strotzen, die alles andere als unsperrig sind. Irgendwann reißt einem etwas reiferen Herrn mit hellgrauen Haaren der Geduldsfaden. Dann stellt er sich nach vorne und sagt: „Ich möchte versuchen, das zu übersetzen.“
„Nicht denken, der Hennes ist übergeschnappt“
Das gelingt Hans-Jürgen Hennes ziemlich gut. Der Medizinische Geschäftsführer des Klinikums – dessen Posten im Verbund Jürgen Debus mitübernehmen wird, Leitender Ärztlicher Direktor in Heidelberg – schildert den langen Vorlauf bei Krebsdiagnosen und -behandlungen. Der führe meist vom Hausarzt zur Radiologin, später erst ins Krankenhaus. Von den ersten Symptomen bis zum Therapiebeginn. Das dauere mehrere Wochen. Ihr Ziel sei: nur noch acht Stunden. „Nicht denken, der Hennes ist übergeschnappt“, fügt er schnell hinzu. Acht seien lediglich die Vision, in der Praxis sei man davon noch weit entfernt. Auf Nachfrage erklärt er aber immerhin, bei dringenden Fällen schafften sie es hier im Klinikum jedoch immerhin schon an einem Tag.
Auf verschiedenen Stationen wird nun vorgestellt, wie das Ganze funktionieren soll. Deutlich beschleunigt wird bereits die Aufnahme. Um das zu veranschaulichen, nimmt Hennes auf einem verkabelten Plastiksessel vor einem Bildschirm Platz. Darauf erscheint ein lächelndes Gesicht und sagt: „Ich bin Tedias!“ Das steht für Test- und Entwicklungszentrum für digitale Patientenaufnahme. „Ich bin Hennes!“, grüßt der UMM-Chef zurück. Tedias fragt ihn nach etwaigen Schmerzen. Anschließend gehen sie die persönlichen Angaben durch. Dann wird der Blutdruck gemessen. Hennes soll sich das aus dem Sessel kommende Gerät selbst anlegen, dann übernimmt Tedias digital. „Der drückt ganz schön fest“, findet Hennes.
Auch auf den weiteren Stationen zeigt sich der Fortschritt insbesondere durch Technik. So erlaubt der Computertomograph mit der sogenannten Photon-Couting-Technogie – einer der modernsten weltweit, auf den sie im Klinikum generell sehr stolz sind – gestochen scharfe Aufnahmen, um Krebszellen zu erkennen. Ebenfalls präsentiert neues Verfahren mit Roboter-Assistenz für CT- und MRT-Interventionen.
Das gesamte Verfahren wird als „Closed-Loop“-Prozess mit vier Kernbereichen bezeichnet: erstens Diagnose mit hochpräziser Bildgebung und sicherer Gewebeentnahme, zweitens Planung durch digitale Auswertung der Befunde und gemeinsame Therapieentscheidung im Ärzteteam, drittens individuelle, zielgerichtete und möglichst schonende Therapie, viertens engmaschige und datenbasierte Nachsorge, also Betreuung nach der Behandlung. Ein konkretes räumliches Ziel gibt es auch. Spätestens 2029 soll nach 15-jähriger Förderung aus dem M²OLIE-Projekt auf dem Campus eine eigene M²OLIE-Klinik entstanden sein.
Vom Automobil über das Spaghetti-Eis zur Krebsmedizin
Angenehm innovativ ist an diesem sonnigen Donnerstag zudem: Zu den Präsentationen werden keine wolkigen Reden geschwunden, die bekommt man als Journalist per Mail zugeschickt. Darin wird etwa Claudia Baumann vom Bundesministerium zitiert: „Es sind schwer erkrankte Krebspatienten, die große Ängste und Sorgen haben. Insofern wünschen wir uns, dass das M²OLIE-Projekt sein Ziel erreicht: innerhalb eines Tages die Diagnostik abzuschließen, um für Patientinnen und Patienten schnellstmöglich mit einer personalisierten Therapie beginnen zu können.“
Sergij Goerdt, Dekan der Universitätsmedizin, dankt Bund und Land für die große Unterstützung, ebenso allen mit dem Projekt Beschäftigten. Und Kämmerer Volker Proffen freut sich, Mannheim stehe wieder mal „für Erfindergeist und Innovationen – vom Automobil bis zum Spaghetti-Eis und nun in der Medizintechnik und Krebsmedizin“.
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