Protest

Gegen rechts in Heidelberg: Das treibt die Demonstranten auf die Straße

Das Geheimtreffen von Rechtsextremisten unter anderem mit AfD-Funktionären hat die Menschen aufgeschreckt: "Nie wieder ist jetzt", skandieren sie und harren trotz klirrender Kälte stundenlang in Heidelberg aus

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Stefanie Ball
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Catherine Calogirou und Johannes Orphal bei der Demonstration in Heidelberg. © Stefanie Ball

Heidelberg. Um viertel vor fünf, fast zwei Stunden nachdem die Demo gegen rechts vor der Heidelberger Stadtbücherei an der Kurfürsten-Anlage am Samstag begonnen hat, setzen sich die letzten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Bewegung. Anderthalb Kilometer entfernt, am Universitätsplatz in der Altstadt, haben die Redner längst das Podium erklommen. Wie die Polizei am frühen Abend mitteilt, haben 18 000 Menschen am Aufzug teilgenommen, 5000 an der späteren Kundgebung vor dem Gebäude der Neuen Universität.

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"Nie wieder ist jetzt": Bilder der Demonstration in Heidelberg

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Johannes Orphal ist einer von ihnen. „Wir sind mehr“ hat er mit grüner Farbe auf ein Stück Pappe gepinselt. Der Professor für Klimaforschung erzählt, er habe das letzte Mal 1989 demonstriert, er stammt aus Magdeburg, hat die DDR noch erlebt. „Wir sind das Volk“ riefen die Leute damals. „Dass die AfD den Slogan geklaut hat, macht mich so wütend“, sagt Orphal. Populär wurde der Spruch seinerzeit durch die Leipziger Montagsdemonstrationen, die das Anfang vom Ende der DDR einläuteten. Dann wurde er zuerst von der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung, schließlich von der AfD gekapert. Catherine Calogirou, die Orphal begleitet, ist das erste Mal bei einer Protestkundgebung. Sie sagt: „Die AfD, die Alternative für Deutschland, ist eine Alternative für gar nichts.

Große Entschlossenheit unter den Demonstrantinnen und Demonstranten in Heidelberg

Es dürfte niemanden geben, der das an diesem klirrendkalten Samstagnachmittag in Heidelberg anders sieht. Das Geheimtreffen von Rechtsextremisten unter anderem mit AfD-Funktionären in Potsdam, bei dem es um krude Vertreibungspläne ging, hat die Menschen aufgeschreckt. Mit großer Entschlossenheit zeigen sie auf ihren selbstgebastelten Plakaten, in ihren Sprechchören und später während der Reden auf dem Universitätsplatz, was sie sich von der AfD wünschen: dass sie draußen bleibt aus ihren Städten.

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„Schießt die Nazis auf den Mond“, ruft Bonyad Bastanfar auf dem Podium, und die Menge vor ihm antwortet: „Denn der Mond ist unbewohnt“. Bastanfar hat die Veranstaltung mitorganisiert, er sagt, dass die Demo eigentlich zu spät komme, Jahre zu spät. „,Sind doch nur ein paar Idioten’“, habe man anfangs gedacht. Inzwischen seien antidemokratische Positionen und rechtsextreme Ideologien in der Mitte der Gesellschaft angekommen. „Das sind keine Protestwähler mehr, die wissen, was sie tun“, mahnt Bastanfar die Demonstrierenden.

Protestwelle

Bundesweit hat es am Wochenende eine massive Protestwelle gegen Rechtsextremismus und die AfD gegeben. Außer in Heidelberg kamen Menschen in Weinheim, Karlsruhe, Pforzheim, Stuttgart und Frankfurt zusammen.

Laut dem Recherchenetzwerk Correctiv waren es rund 100 Demos, darunter zahlreiche Veranstaltungen in Kleinstädten.

Am kommenden Wochenende sind weitere Demonstrationen geplant, unter anderem in Mannheim.

Das ist tatsächlich die große Sorge, die viele um- und auf die Straße treibt: dass sich die Ideen der Rechten in den Köpfen festgesetzt haben könnten, dass Rassismus und Faschismus bereits allzu lange Fenster und Türen geöffnet wurden. „Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Demokratie nicht mehr selbstverständlich ist und wir uns immer wieder dafür einsetzen müssen, dass wir in einer freien Gesellschaft leben“, sagt die 28-jährige Nina, die mit ihrer Freundin Sophie (26) nach Heidelberg gekommen ist, die beiden wohnen in der Nähe von Sinsheim.

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Da hilft nur: laut werden. „Macht Lärm, macht Radau, ich will, dass die AfD Angst hat“, ruft Bonyard Bastanfar, und die Menschen klatschen, johlen, pfeifen. Geduldig harren sie aus, während sich die Dunkelheit langsam über den Platz senkt und die Kälte selbst die doppelten Wollsocken durchdrungen hat. „Wir brauchen keine Hassprediger, nicht in der Religion und nicht in der Politik. Wir brauchen Menschlichkeit und Liebe. Dafür lasst uns jeden Tag aufstehen“, sagt der Dekan der Evangelischen Kirche in Heidelberg, Christof Ellsiepen.

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„Die Garantie für unsere Demokratie liegt in unseren Händen“, macht Alina Papagiannaki von den Freunden arabischer Kunst und Kultur Mut. „Wir müssen umso lauter rufen, wenn die Rechten laut rufen“, mahnt Veronika Haas, die den Literaturherbst Heidelberg vertritt.
Fridays for Future, das Queerfeministische Kollektiv Heidelberg, Schüler gegen Rechts, Parteienvertreter, Heidelbergs Bildungsbürgermeisterin Stefanie Jansen (SPD) – das Mikrofon geht durch viele Hände und immer ist die Botschaft klar: Es ist Zeit, aufzustehen oder wie es ein Slogan zusammenfasst: „Nie wieder ist jetzt“.

Bündnis in Heidelberg kündigt weitere Veranstaltungen gegen rechts an

Am Ende, es ist bereits halb sieben, ergreift Miriam Lemdjardi, ebenfalls eine der Organisatorinnen, das Wort. „Das war nur der Anfang“, sagt sie, es habe sich mit der Demo ein neues Bündnis in Heidelberg gegründet, „Kein Schritt nach rechts“, dem sich zahlreiche Initiativen angeschlossen hätten. „Es wird weitere Veranstaltungen geben, wir werden den Druck erhöhen“, verspricht Bonyad Bastanfar.

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