Baden-Württemberg. Tausende Menschen werden nach Schätzungen der Veranstalter am Wochenende in baden-württembergischen Städten gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Bundesweit werden Zehntausende bei Demonstrationen erwartet. Angesichts der anstehenden drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, der Wahl in den USA und der Kommunalwahlen könnte der Protest nach Einschätzung des Freiburger Politikexperten Michael Wehner auch nur ein Anfang sein.
"Es könnte uns nicht nur ein heißes Wahljahr, sondern auch ein heißes Demonstrationsjahr bevorstehen", sagte der Leiter der Außenstelle Freiburg bei der Landeszentrale für politische Bildung. "Haben Menschen das Gefühl, die Demokratie entwickele sich in die falsche Richtung, erheben sie Protest und ihre Stimme." Symbolische Ereignisse oder Schlüsselmomente brächten Menschen dazu, auf die Straße zu gehen.
Ein solcher Moment: der Bericht des Medienhauses Correctiv über ein Treffen mit Rechtsradikalen in Potsdam. Er hatte zu Kundgebungen gegen rechts geführt, oft mit deutlich mehr Teilnehmern als erwartet. Unter anderem in Köln versammelten sich mehrere Zehntausend Menschen.
Unterstützt werden die Aufrufe vielerorts von großen gesellschaftlichen Bündnissen, an denen sich neben SPD, Grünen und Linken sowie Kirchen und Gewerkschaften etwa auch Kultureinrichtungen und Fußballvereine beteiligen.
Können die Proteste etwas verändern?
Unklar ist, ob sich die Proteste auf die politische Stimmung auswirken. Sicher sei das keineswegs, sagte der Politikexperte Wehner. "Dauerhaftes Demonstrationsengagement ist anstrengender, als für kurzzeitige Ein-Punkt-Aktionen zu mobilisieren." Das hätten die Proteste gegen die Pegida-Bewegung ebenso gezeigt wie die Kundgebungen der Klimabewegung Fridays for Future.
Es sei zwar ein gutes Zeichen für die Demokratie, wenn Menschen wie derzeit protestierten und die Straße nicht den anderen überließen, sagte Wehner.
Er zeigte sich aber auch skeptisch, ob die Proteste etwas an der politischen Lage ändern könnten: "Es ist unklar, ob die Mobilisierung auf der Straße auch zu einem veränderten Wahlverhalten führt. Es ist auf der einen Seite gut, dass sich eine Zivilgesellschaft bekennt. Aber damit habe ich noch nicht jeden potenziellen AfD-Wähler davon überzeugt, am Wahlsonntag seine Stimme einer anderen Partei zu geben."
Um aber eine professionelle Bewegung dauerhaft zu etablieren, müsse es Organisatoren geben, Bündnisse müssten formiert und die Infrastruktur sowie Personal bereitgestellt werden, sagte Wehner. "Es braucht die dauerhafte Bereitschaft zum Engagement."
Am Donnerstag hatte die SPD ein überparteiliches "Bündnis für Demokratie und Menschenrechte" angekündigt. Nach Angaben des SPD-Partei- und Fraktionschefs Andreas Stoch sind mehr als 130 Verbände, Vereine, Organisationen und demokratische Parteien dazu aufgerufen. Das erste Treffen des Bündnisses soll am kommenden Donnerstag in Stuttgart stattfinden.
Viele Proteste auch im Südwesten
Seit Tagen demonstrieren zahlreiche Menschen auch im Südwesten gegen rechts. Weitere Demonstrationen sind geplant. In Heidelberg ruft ein Bündnis für Samstag zu einer Kundgebung auf, erwartet werden nach Angaben der Stadt von Freitag etwa 3000 Menschen. In Karlsruhe sind rund 1600 Teilnehmer angemeldet, in Pforzheim wird nach Angaben der Stadt mit weit mehr als 1000 gerechnet, in Ulm mit rund 1000 Teilnehmern.
Auch in Stuttgart wird nach Angaben eines Stadtsprechers am Samstag und Sonntag gegen rechts demonstriert. Unter dem Motto "Alle zusammen gegen die AfD" ruft das Bündnis "Stuttgart gegen Rechts" am Samstag die Menschen auf die Straße. Angemeldet wurden etwa 1000 Menschen. Am Sonntag wird in der Landeshauptstadt mit 700 Menschen gerechnet, auch Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) wird dort nach Angaben ihres Hauses sprechen.
Bereits am Freitag (15.30 Uhr) werden in Hamburg rund 10 000 Teilnehmer gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke erwartet. Als Redner sind Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Kirsten Fehrs, angekündigt.
Auch Regierungschefs nehmen teil
Auch in anderen Bundesländern beteiligen sich die Regierungschefs an den Kundgebungen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wird am Freitag (16.00 Uhr) in Jena erwartet. Sein niedersächsischer Amtskollege Stephan Weil (SPD) spricht am Samstag (14.00 Uhr) in Hannover. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) will am Sonntag (12.00 Uhr) an der Demo "Laut gegen rechts" teilnehmen. Weitere größere Demonstrationen sollen unter anderem in Kiel und Bielefeld (beide Freitag), in Braunschweig, Dortmund und Erfurt (alle Samstag) sowie in München und Dresden (beide Sonntag) stattfinden. Alleine in München wird mit 10 000 bis 20 000 Teilnehmern gerechnet.
Das Medienhaus "Correctiv" hatte über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen mit Politikern von AfD und CDU in einer Potsdamer Villa vom 25. November berichtet. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte dort nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang. dpa
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