Justiz

Ermittlungsrekord bei Heidelberger Staatsanwaltschaft

Eine Rekordzahl an Anzeigen gegen bekannte und unbekannte Täter hat die Staatsanwaltschaft Heidelberg 2023 bearbeitet. Wie das noch gar nicht verabschiedete neue Cannabis-Gesetz der Behörde  schon Mehrarbeit verschafft

Von 
Michaela Roßner
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Blick in die – sonst verschlossene – Asservatenverwaltung: Hier werden alle Fallakten der Staatsanwaltschaft Heidelberg archiviert. © Christoph Blüthner

Heidelberg. Aktendeckel an Aktendeckel, gefülltes Regal an gefülltem Regal: Tausende von Ermittlungsdossiers lagern im Keller des Heidelberger Justizgebäudes an der Kurfürsten-Anlage in der Asservatenkammer neben Tatwerkzeugen und beschlagnahmten Gegenständen. Es werden jedes Jahr mehr Akten: Im vergangenen Jahr sind so viele Ermittlungen eingeleitet worden wie in den vergangenen 20 Jahren nicht. Das berichtet der Leitende Oberstaatsanwalt Andreas Herrgen (Bild) bei der Jahresbilanz seiner Behörde.

Zahl der Verfahren ist bei der Staatsanwaltschaft in Heidelberg gestiegen

Rund 40 Staatsanwälte kümmern sich um die Abarbeitung der rund 48 000 gegen bekannte oder unbekannte Täter eingeleiteten Verfahren. Rund 4000 Anzeigen müssen also durchschnittlich pro Monat bearbeitet werden – pro Ermittlerkopf sieben am Tag. „Eine ganz extreme Last“, blickt Herrgen anerkennend auf die Leistung seiner Mannschaft, die es trotzdem geschafft habe, dass – obwohl 400 Verfahren mehr als 2022 auf den Tisch kamen – nur 60 offene Ermittlungsakten mehr als 2022 auf den Stapel liegen (2773 im Vergleich zu 2713 im Vorjahr).

Heidelberg. Pressegespräch 2024 der Staatsanwaltschaft Heidelberg mit Einblick in die Asservatenkammer/Asservatenverwaltung der Staatsanwaltschaft. Im Bild: Oberstaatsanwalt Andreas Herrgen. © Christoph Blüthner

Am Dienstag einen Ladendiebstahl begehen, am Mittwoch dafür vor Gericht stehen: Das geht in Heidelberg seit Januar. Elf Straftäter haben in einem solchen beschleunigten Verfahren bereits ihr Urteil gehört. „Das funktioniert wirklich gut“, blickt Erster Staatsanwalt Jonathan Waldschmidt auf das dafür notwendige enge Zusammenspiel zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Amtsgericht. Die Strafe soll quasi auf dem Fuße folgen. Das bedeutet: eine Nacht im Gefängnis und am nächsten Tag vor den Amtsrichter.

Beschleunigte Verfahren gibt es in Heidelberg nur für bestimmte Taten

Dieses Verfahren eigne sich aber nur für bestimmte Taten, etwa Ladendiebstähle oder kleinere Drogendelikte. Und die Tatverdächtigen müssten in flagranti erwischt werden, damit der Tatnachweis eindeutig ist. In der Praxis bedeutet das, dass ein Dieb bei der Tat festgehalten wird. „Wir erhoffen uns, dass sich das herumspricht“, setzt Herrgen auf einen präventiven Effekt.

Theoretisch wäre das beschleunigte Verfahren auch sehr gut geeignet, um etwa Fällen sexueller Belästigung zu begegnen. Doch dann müssten die Täter etwa im Bus oder im Gedränge des Nachtlebens auch sofort identifiziert und festgesetzt werden – in der Realität sind sie aber meist schon verschwunden, wenn die Geschädigte den Vorfall realisiert.

Um die beschleunigten Verfahren abzuwickeln, hat die Staatsanwaltschaft eine zusätzliche Stelle bekommen, erklärt Herrgen dankbar. Mit Blick auf die Personaldeckungsquote von 83 Prozent und die steigenden Fallzahlen sei aber natürlich immer noch „Luft nach oben“.

Rekordzahl an Verfahren

  • Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ist zuständig für Heidelberg und Teile des Rhein-Neckar-Kreises. In ihrem Einzugsbereich leben rund 480000 Menschen.
  • 40 Staatsanwälte (31,5 Stellen) arbeiten in fünf Ermittlungsabteilungen. Insgesamt sind bei der Behörde rund 90 Menschen beschäftigt.
  • 18 226 Anzeigen gegen unbekannte Täter wurden im vergangenen Jahr bearbeitet. Das ist – auf 20 Jahre zurückgeblickt – eine Rekordzahl.
  • 464 Todesermittlungsverfahren, 32 Brandermittlungsverfahren und 45 Verfahren in Straftaten mit politischem Hintergrund sind darunter.
  • Die Zahl der Ermittlungen gegen bekannte Tatverdächtige stieg um 1409 Verfahren auf 29 402 Verfahren – ein Plus von fünf Prozent und das zweithöchste Verfahrensaufkommen in den vergangenen 20 Jahren (2018 gab es die meisten Verfahren).

Die „Klimakleber“ – meist junge Menschen, die sich aus Protest gegen die Umweltpolitik mit den Händen auf die Straße anheften oder Sitzblockaden organisieren – beschäftigen die Staatsanwaltschaft seit Beginn 2022. Gegen acht Beschuldigte sind die Verfahren eingestellt worden, etwa wegen Geringfügigkeit oder weil andere Vorwürfe höhere Strafen erwarten lassen. Sieben Angeklagte sind zu Geldstrafen verurteilt worden.

"Klimakleber" beschäftigen die Heidelberger Staatsanwaltschaft

In elf Fällen kamen die Richter der ersten Instanz auch zur Überzeugung, dass Geldstrafen angemessen sind. Diese Entscheidungen sind aber angefochten worden. Zwei Angeklagte sind in erster Instanz zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, 21 weitere Verhandlungen warten noch auf Verhandlungen am Amtsgericht.

Und auch wenn die „Letzte Generation“ kürzlich öffentlich verkündete, diese Protestform aufzugeben, müssen einzelne Angeklagte mit längeren Freiheitsstrafen und hohen Kostenforderungen rechnen, denn sie sind zum Teil bundesweit aktiv gewesen, und die Strafen könnten zu Gesamtstrafen addiert werden.

Noch nicht beschlossene Sache ist das neue Cannabis-Gesetz, das geringfügigen Besitz der Droge ungestraft lassen soll. Die Staatsanwaltschaft beschäftigen bereits jetzt die Auswirkungen der neuen Regelung: „Rund 1800 eigentlich abgeschlossene Verfahren müssen einzeln neu angeschaut werden“, erklärt Herrgen.

Denn alle Urteile, die noch in der Vollstreckung sind, müssen auf die Auswirkungen der Gesetzesnovelle abgeklopft werden. Schließlich müssten sie zum Stichtag umgesetzt werden, damit dann nicht am 1. April noch jemand zu Unrecht in Haft sitzt. Zwar muss auch bisher niemand allein deshalb ins Gefängnis, weil er weniger als 25 Gramm Cannabis besaß. Aber dieser Vorwurf könnte – gemeinsam mit weiteren Straftaten – zu einer Haftstrafe geführt haben.

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Die langen Aktenreihen im Keller der Staatsanwaltschaft könnten indes bald verschwunden sein: Ab 6. März soll das Zeitalter der digitalen Akte beginnen – im 125. Jahr des Bestehens der Heidelberger Staatsanwaltschaft. Bereits für März 2022 war die Einführung geplant, musste aber um ein Jahr verschoben werden.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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