Übung

Die Heidelberger Uniklinik probt den Ernstfall

Was, wenn in Dossenheim eine Abfallanlage explodiert und mehr als 100 Menschen Hilfe brauchen? Für einen solchen Fall trainierte die Uniklinik Heidelberg am Wochenende. Welche Abläufe gelten

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Filip Bubenheimer
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Was passiert, wenn die Abfallverwertung in Dossenheim explodiert? Das übte die Uniklinik Heidelberg am Samstag. © Sabine Arndt

Heidelberg. Noch ist kein Patient da. Zeit sich zu rüsten für den Strom von Verletzten, der in ein paar Minuten einsetzen wird. Rollcontainer, für genau diesen Fall vorbereitet, werden in das Foyer der Notaufnahme gefahren. Medizinisches Material ist darin, laminierte Schaubilder für die Einstufung der Patienten, aber auch Klemmbretter, eine Kabeltrommel und sogar zwei zusammengefaltete Tretroller. An zu kurzen Kabeln oder zu langen Fluren soll die Versorgung der mehr als 100 Patienten, einem „Massenanfall an Verletzten“ (MANV), in der Chirurgischen Klinik in Heidelberg nicht scheitern.

Großübung an der Uniklinik Heidelberg: Mitarbeiter proben Notfall in neuen Räumen

2017 hat das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) den „MANV“ zuletzt geübt. Mittlerweile ist die Notaufnahme umgezogen in die 2020 eröffnete neue Chirurgie - „eines der modernsten Klinikgebäude in Europa, das räumlich allerdings ganz anders aufgebaut ist als der Altbau“, sagt Professor Ingo Augenrieth, leitender ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender am UKHD.

Im Ernstfall muss jeder Handgriff sitzen. © Sabine Arndt

Die an die neuen Gebäude angepassten Krisenpläne sollen nun an diesem Samstagvormittag getestet werden. 140 Mitarbeiter, davon 60 Ärzte und 50 Pfleger, wurden für die Übung mobilisiert. Er sei „wirklich begeistert“ von ihrem Engagement, so Augenrieth.

Das Szenario dafür: Bei der Abfallverwertung in Dossenheim kommt es zu einem Feuer und einer Explosion, während dort eine gut besuchte Veranstaltung stattfindet. Mehr als 100 Menschen ziehen sich Verbrennungen, Brüche oder andere Verletzungen zu - manche davon sind eher leicht, manche schwer, auch tödlich. Viele Verletzte werden vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht, andere begeben sich auf eigene Faust dorthin.

Im Ernstfall gelten vollkommen andere Regeln

Als Sanitäter um 11.02 Uhr den ersten „Patienten“ in die Notaufnahme schieben, stehen dort bereits etwa zwei Dutzend Ärzte und Pfleger bereit. Sie tragen rote, grüne oder gelbe Westen, je nachdem, zu welchem Behandlungsteam sie gehören. In der Menge stechen zwei Ärzte hervor, die Westen mit Schachbrettmuster tragen. Es sind die „Sichtungsärzte“, die die Patienten nach der Dringlichkeit ihrer Behandlung sortieren. Der erste Patient ist schwer verletzt, er wird sofort in den Schockraum gebracht.

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Bei der Übung gehe es darum, „den kompletten klinikinternen Ablauf für einen MANV“ zu üben, und „nicht nur einzelne Facetten, wie beispielsweise die Alarmierungskette oder das Material“, sagt Professor Erik Popp, Leiter der Sektion Notfallmedizin. Bei einem „MANV“ seien die Abläufe „komplett andere als im Regelbetrieb“, so Popp.

„Es bilden sich neue Behandlungsteams, die Behandlungen finden in ungewohnter Umgebung statt - alles läuft entsprechend eines Leitfadens, der für solche Krisenfälle existiert.“ Wichtig sei auch, Erfahrung im Umgang mit dem Zeitdruck und der Unübersichtlichkeit derartiger Situationen zu sammeln. „Im Krisenfall ist Routine unser bester Freund.“

Übung an der Uniklinik Heidelberg ein Jahr lang vorbereitet

Als nach einer Viertelstunde der vierte Patient angeliefert wird, zeigen sich bereits erste Abstriche bei den zur Verfügung stehenden Mitteln: Rettungskräfte schieben die Frau nicht auf dem üblichen Fahrgestell in die Notaufnahme, sondern schleppen sie auf einer rustikalen Trage hinein, die sie auf dem Boden abstellen. Das Behandlungsteam muss sich bücken - eine kleine zusätzliche Belastung, von denen es heute viele geben wird.

Den Stress im Blick

  • Die Uni Heidelberg nutzt die Übung auch zur Forschung: Dazu wurden Teilnehmer der Übung mit Sensoren und Sender ausgerüstet. Sie überwachen ihren Puls und ihren Aufenthaltsort.
  • So lässt sich später auswerten, wann sich die Teilnehmer wo aufhalten – und wie viel Stress sie in welchen Situationen haben.
  • Die Forschung ist Teil des von der Europäischen Union geförderten, internationalen Projekts „MED1stMR“. 

Ein Jahr lang wurde die Übung vorbereitet. Für alle „Patienten“ wurde ein Skript verfasst, das ihre Verletzungen und ihr Schicksal festlegt - je nachdem, wie gut sie versorgt werden. Ein Patient leidet laut Skript zum Beispiel an einem Spannungspneumothorax, bei dem sich Luft zwischen Brustwand und Lunge sammelt und so Blutgefäße abdrückt. Wird die Luft innerhalb von zehn Minuten abgelassen, erholt sich der Patient, falls nicht, stirbt er.

Im Notfall muss improvisiert werden

Die „Patienten“ werden von einer auf diese Rolle spezialisierten Gruppe von erfahrenen Darstellern gespielt. Sie leiden etwas weniger theatralisch, als man es sonst bei Übungen erlebt - nur wenige schreien aus vollem Hals, viele stöhnen leise. Im Foyer der Notaufnahme hört man vor allem das Knistern der Rettungsdecken, in die viele Patienten eingewickelt sind und Wortfetzen aus den Gesprächen der Behandlungsteams, die sich um sie scharen.

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Nach der kritischen Anfangsphase, in der die Organisation aufgebaut werden muss, werden sich die Abläufe in den kommenden Stunden einspielen, erklärt ein Arzt. Außerdem kommen nach und nach weitere Mitarbeiter in der Klinik an und entlasten ihre Kollegen. Dafür entsteht an anderer Stelle ein Flaschenhals: Alle Operationssäle sind belegt, es muss improvisiert werden. Etwa vier Stunden dauert die Übung, danach wird ausgewertet.

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