Einstieg ins Festjahr

Der Rhein-Neckar-Kreis feiert seinen 50. Geburtstag

Am 1. Januar 1973 wird die Kreisreform Praxis. Es entsteht der neue Rhein-Neckar-Kreis, der bevölkerungsreichste in ganz Baden-Württemberg. Dabei ist es alles andere als eine leichte Geburt. Wir blicken zurück

Von 
Konstantin Groß
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Heidelberg. 68 - 38 - 33. „Das sind keine Model-Maße“, schmunzelt Berno Müller, als der langjährige Pressesprecher des Rhein-Neckar-Kreises dessen Entstehung erläutert. Es sind Zahlenspiele der Parteien, wie viele Kommunen der neue Landkreis haben soll. Am Ende werden es 54 aus den bisherigen Landkreisen Mannheim, Heidelberg und Sinsheim. Am 1. Januar 1973 erblickt der Rhein-Neckar-Kreis das Licht der Welt. Vor 50 Jahren - Rückblick.

In den 1960er Jahren stellt sich heraus, dass die in ihrem Kern noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Strukturen der Kommunalverfassung nicht mehr den Anforderungen eines modernen Staates entsprechen. Doch erst die in Baden-Württemberg ab 1968 regierende Große Koalition aus CDU und SPD unter CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger und SPD-Innenminister Walter Krause hat die politische Kraft, sprich: die breite Mehrheit im Landtag, um dies auch umzusetzen.

„Todesanzeige“ für Kreis Sinsheim

Die ist auch nötig, denn die Aufgabe ist gewaltig: Die Zahl der Gemeinden soll von 3000 auf 1100 reduziert werden - durch Eingemeindungen oder Fusionen. Die Frage der Gebietsreform führt vor Ort zu heftigen politischen Auseinandersetzungen.

Im Gegensatz dazu verläuft die Reform der Landkreise geräuschlos. „Außer den Landräten hat das eigentlich niemanden interessiert“, schmunzelt der spätere Landrat Jürgen Schütz. Obwohl die Einschnitte auch hier dramatisch sind: Ihre Zahl wird von 63 auf 35 fast halbiert.

Besonders schmerzlich ist das Ganze für den bisherigen Landkreis Sinsheim. Er wird zerschlagen: Nur 27 seiner 52 Gemeinden wandern in den neuen Rhein-Neckar-Kreis. Eine bissige „Todesanzeige“, vom alten Landrat geschaltet, bringt die Verbitterung anschaulich zum Ausdruck. Die Formulierung vom „kraus-igen“ Planer zielt auf den zuständigen Innenminister Krause.

Doch obwohl Krause Mannheimer Abgeordneter ist und Filbinger sogar gebürtiger Mannheimer, wird die Reform auch für die Quadratestadt ein Schlag. Nachdem bereits die notwendigen Eingemeindungen der anliegenden Gemeinden Edingen, Ilvesheim und Brühl nicht klappen, verliert sie nun auch noch ihr Landratsamt, geht im neuen Kreis voll auf, für jedermann spürbar: Die Menschen nahe der Geburtsstadt des Autos, in Weinheim, Schriesheim oder Ladenburg, verlieren ihr vertrautes Nummernschild „MA“ und müssen fortan mit „HD“ fahren.

Großer Gewinner Heidelberg

Heidelberg ist der große Gewinner. Der bisherige Landkreis Heidelberg geht zwar ebenfalls voll im neuen auf, die Uni-Stadt bleibt jedoch kreisfrei und wird dennoch Sitz des neuen Kreises. Und zwar im gerade erbauten Gebäude des bisherigen Landratsamtes Heidelberg.

Auch der erste Landrat Georg Steinbrenner ist der bisherige aus Heidelberg, wenn auch nur als Amtsverweser. Dnn bei der ersten regulären Neuwahl im Juli 1973 unterliegt er dem bisherigen Landrat von Mannheim, Albert Neckenauer.

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Zur ersten und langwierigsten Herausforderung wird die Abfallbeseitigung. Bei der Kreistagssitzung in Rauenberg 1974, als „Schlacht am Mannaberg“ in die Annalen eingegangen, entscheidet sich der Kreis für den Weg der Deponierung, als dies nicht mehr geht, für eine Müllverbrennungsanlage in Ladenburg. Dies führt zu jahrelangen Kämpfen, die sich erst erledigen, als Anfang der 1990er der Müll in Mannheim verbrannt und die AVR gegründet wird.

Nahverkehr und Digitalisierung

Ein immer wichtigeres Feld wird der Öffentliche Nahverkehr. Dafür stehen das Beschleunigungsprogramm der RNV und die zweite Stufe des S-Bahn-Ausbaus. Die jüngsten Gemeinderatssitzungen in Schriesheim und Edingen-Neckarhausen zeigen jedoch das enorme politische Konfliktpotenzial, das in der gemeinsamen Finanzierung steckt.

Zum Kreis gehören auch die Berufs- und Sonderschulen. Das tangiert immerhin 11 000 Schüler und ihre Familien. Stellvertretend für die Anstrengungen in diesem Bereich steht der Neubau der Martinsschule für körper- und Mehrfach-Schwerstbehinderte in Ladenburg 2010.

Die Gesundheitsversorgung ist in der GRN konzentriert. Höhepunkt ihrer Aktivitäten ist das Altersmedizinische Zentrum in Weinheim, mit rund 47 Millionen Euro die bis dahin größte Baumaßnahme des Kreises. Gar 100 Millionen Euro wird der Neubau der Klinik Sinsheim kosten.

Die Schriesheimer Talstraße in der Nachkriegszeit. Hier, im alten Landkreis Mannheim, galt noch das Autokennzeichen „MA“. Auch das änderte sich 1973. © Archiv

Ein ganz neues Aufgabengebiet erschließt sich in den 2010er Jahren: Um den stockenden Ausbau der Digitalisierung in Gang zu bringen, wird 2014 der Zweckverband „High Speed-Netz Rhein-Neckar“ gegründet. Der Backbone des Glasfasernetzes ist inzwischen fertiggestellt, jetzt sind die Kommunen an der Reihe.

Der Kreistag ist lange Zeit eine feste Bank der CDU. Doch neue Player erscheinen: 1984 die Grünen - mit einem Kaktus als Geschenk für den Landrat. 2019 die AfD: Mit acht Räten ist ihre Fraktion größer als die der FDP. Dennoch ist das Klima konfliktarm; der Haushalt 2023 wird vor kurzem einstimmig beschlossen.

Kreistagsarbeit kaum bekannt

Positiver Effekt eines an sich negativen Umstandes: Die Arbeit im Kreistag ist nahezu unbekannt. Während in den Gemeinden selbst Detailthemen erhitzen, „bekommt niemand mit, wenn im Kreistag Millionenbeträge bewegt werden“, wie der Schriesheimer SPD-Kreisrat Hans-Jürgen Krieger einmal beklagt.

Nach 50 Jahren muss man auch konstatieren: Die Bürger haben keine Kreis-Identität entwickelt; niemand fühlt sich als „Rhein-Neckar-Kreisler“. „Aber“, so Landrat Stefan Dallinger, „der Kreis erfüllt seine Aufgaben professionell und effizient.“ Und das ist ja schon was.

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