Heidelberg. Berührende Balladen und nachdenkliche Worte neben Partystimmung, deutlichen Statements und selbstbewusstem Queer-Sein: Der Eröffnungsabend des 15. „Queer Festivals“ im Heidelberger Karlstorbahnhof hatte alle diese Facetten. Vier Wochen lang bietet Deutschlands größtes Festival dieser Art rund 30 Konzerte, Partys, Diskussionen und Workshops. Queer ist ein Sammelbegriff für alle, die sich in ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität nicht der „heteronormativen“ Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühlen.
Deutsch-iranische Sängerin Mina Richmann singt zur Eröffnung des Queer Festival in Heidelberg
Karlstorbahnhof-Geschäftsführerin Cora Maria Malik betonte die enge Verbindung des soziokulturellen Zentrums mit der 15 Jahre alten Geschichte des „Queer Festivals“. Dominic Hauser und Martin Müller hätten aus dem einstigen Nischenprogramm mit viel Kraft und Offenheit ein mindestens deutschlandweit ausstrahlendes Festival gemacht, das seit kurzem auch von der Stadt - Mitglied im Rainbowcities-Netzwerk - institutionell gefördert wird.
Die Deutsch-Iranerin und Sängerin Mina Richman eröffnete den Abend musikalisch mit ihrer Ukulele und am Piano. Der Tod der Iranerin Jina Mahsa Amini im September 2022 hat Richman zum Song „Baba Said“ inspiriert - das regime-kritische Lied machte die offen queer lebende Künstlerin bekannt. Schon Richmans Nachname ist ein Statement: Es lehnt sich an das Cher-Zitat „Mom, I am a rich man“ an, das die amerikanische Sängerin ihrer Mutter entgegenhielt, als diese ihr riet, „doch besser einen reichen Mann zu heiraten“.
Barbie Breakout setzt einen klaren Fokus bei der Eröffnung des Queer Festivals
„Queere Freude (queer joy“) - dafür steht Barbie Breakout. Aber auch für deutliche Worte. Die in Berlin lebende Aktivistin und Moderatorin der TV-Reihe „Drag Race Germany“ ist ein Star in der Szene, Autorin und Podcasterin. „Seid froh, dass ihr heute diese Privilegien habt“, ruft sie dem queeren Teil des Publikums zu, „sie sind hart und bitter erkämpft - von Menschen, die wirklich keine Wahl hatten“. Ganz ohne Schmusekurs fordert „Barbie Klartext“ dazu auf, statt zu viel Zeit auf Selbstdarstellung in sozialen Medien zu verwenden, lieber „rauszugehen und queeres Leben sichtbar zu machen“.
Dass Menschen ihrer sexuellen Orientierung wegen immer noch mit Angriffen rechnen müssen, wissen auch Müller und Hauser. So wurden kurz vor der Eröffnung des „Queer Festivals“ eine Regenbogen- und eine eigens zum „Lesbien Day“ aufgehängte Flagge am Heidelberger Marktplatz heruntergerissen und kaputt gemacht. Bis hin zu körperlichen Angriffen reichen die Erfahrungen Müllers. Auch Absagen von Förderern, berichtet er, habe es besonders in den ersten Festivaljahren gegeben. „Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen“, unterstreicht auch Bürgermeisterin Stefanie Jansen (SPD).
Bauchtanz unter freiem Himmel - mit Kerzenleuchter auf dem Kopf
Mehr als 500 Veranstaltungen habe es in den vergangenen 15 Jahren gegeben, unterstreicht Müller. Und Ideen gebe es „noch genug“, zeigt er ungebrochen Elan: „Warum nicht eine Fetisch-Messe im neuen Congress Center?“
Auf den Stühlen sollte es zum Festivalauftakt niemanden halten. Und so ziehen die Gäste und Veranstalter nach draußen, wo ein „1000 und eine Nacht“-Gefühl entfacht wird: Prince Emrah, wegen seiner geschlechtlichen Identität über die Türkei nach Berlin geflüchteter Tanztrainer und DJ mit kurdisch-aserbaidschanischer Abstammung zeigt unter freiem Himmel Bauchtanz in Perfektion - sogar mit einem Kerzenleuchter auf dem Kopf.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-bunt-und-deutlich-was-bei-der-eroeffnung-des-queer-festivals-heidelberg-zu-erleben-war-_arid,2203141.html