Mannheim. Die Zeiten haben sich geändert: Als sich vor 25 Jahren die Psychologische Lesben- und Schwulenberatung (PLUS) gründete und sich im Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats vorstellte, herrschte nach dem Vortrag „langes Schweigen“, wie sich die Gründungsmitglieder vor wenigen Tagen erinnerten. Beim jüngsten Vortrag von PLUS und von Pro Familia im gleichen Gremium gab es langanhaltenden Applaus und viel Zuspruch. Was sich aber nicht geändert hat: die Vorbehalte gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung.
"Homophobe Beleidigungen": Menschen, die Aufklärungsarbeit leisten, werden angefeindet
Im Gegenteil: Menschen, die zum Beispiel in Schulen, aber auch in anderen Institutionen Aufklärungsarbeit leisteten, müssten „homophobe Beleidigungen“ hinnehmen, „wie wir sie aus früherer Zeit so kaum wahrgenommen haben“, stellte Bürgermeister Dirk Grunert in der Januar-Sitzung des Jugendhilfeausschusses fest. Und kündigte für die nächste Beratung eine „vertiefende Auseinandersetzung mit dieser besorgniserregenden Thematik“ an. Dabei sollten Vertreterinnen und Vertreter betroffener freier Träger zu Wort kommen.
Gesagt, getan: Xenia Peukert und Daniel Pientka von PLUS sowie Meijada El-Haji und Lisa Eisele von Pro Familia berichteten den Ausschussmitgliedern von den Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit und den Konsequenzen. Anfeindungen kämen häufig vor, die Anzahl an „belastenden Workshops“ steige dadurch an, berichtete Pientka: „Also springen uns Leute ab, weil sie die Situation in den Klassen so nicht mehr aushalten.“ Ende 2023 habe es viele Anfragen zu Workshops gegeben, „die wir dann aber aufgrund des Ausfalls von Honorarkräften nicht mehr bedienen konnten“. Und das, obwohl „der Bedarf riesig“ sei, wie Xenia Peukert ergänzte.
PLUS bietet Workshops in Mannheimer Schulen an
Seit über 20 Jahren bietet PLUS für siebte bis zehnte Klassen Workshops in Mannheimer Schulen an. Dabei gehe es „um Gewaltprävention durch Aufklärung mit dem Ziel, ein respektvolles Miteinander zu fördern“, erklärte Pientka. „Power Up – für Kompetenz im Umgang mit Vielfalt“ heißt das Projekt, das derzeit läuft. Ein Workshop geht über sechs Schulstunden. „Wir haben also die Möglichkeit, über einen relativ langen Zeitraum Schüler und Schülerinnen kennenzulernen und dann auch Wissen zu vermitteln“, berichtete Xenia Peukert.
Die Workshops starteten mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, also ganz generell dem „Umgang mit Vielfalt und mit Unterschieden“. Danach schaffe man „Berührungspunkte, zum Beispiel durch berühmte Persönlichkeiten, die queer sind“. Es gehe um Begrifflichkeiten, Coming-out und die Lebensrealität von queeren Menschen. Im letzten Teil gebe man den Schülern die „Möglichkeit, anonym Fragen zu stellen“ und zeige auch, wie sie in Situationen reagieren könnten, „in denen sich eine andere Person outet oder geoutet wird“.
Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp
Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt!
Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen
Eigentlich wollten die Referentinnen und Referenten, die selbst queer seien und dies auch sagten, einen „ersten bewussten Kontaktpunkt“ für die Schülerinen und Schüler schaffen, damit „viele Vorurteile und Stigmas abgebaut werden können“, so Pientka. Aber sehr oft passiere das genaue Gegenteil.
Auf dem Schulhof mit Beeren beworfen
Xenia Peukert nannte dazu einige Beispiele. Da war zum Beispiel die Situation, dass bei einem Workshop Schülerinnen und Schüler „demonstrativ in ihren Bibeln geblättert“ und den Teamerinnen und Teamern gesagt hätten, „dass sie Sünder sind und in die Hölle kommen“. Andere behaupteten, „dass queere Menschen eine Gefahr für andere darstellen“, aggressiv seien und „nackt vor Kindergärten herumlaufen“. Außerdem würden Personen aus dem Team „über soziale Medien privat angeschrieben“ und angefeindet. Besonders unangenehm sei gewesen, dass eine Person, als sie über den Pausenhof ging, „mit Beeren beworfen“ worden sei.
Dass das Klima „innerhalb der Klassen oder der Jugendgruppen sehr viel rauer“ geworden sei, bestätigte Lisa Eisele von Pro Familia. Die Beratungsstelle macht Kindern und Jugendlichen in Schulen und Jugendgruppen pädagogische Angebote „rund um Themen wie Liebe, Partnerschaft, Sexualität oder Schwangerschaft“, so Eisele. Häufig beobachte man, „dass Jugendliche ein sehr starres Weltbild haben“ und sagten, „wir sind die Richtigen, die anderen sind die Falschen“. Oft sei „überhaupt keine Bereitschaft da, andere Meinungen anzuhören“.
Beraterin von Pro Familia: Auf TikTok wird "Falschwissen verbreitet"
Einig waren sich die Vortragenden, dass die Haltung der Kinder oft auch von erwachsenen Vorbildern geprägt sei. „Wir erleben, dass Eltern die Workshops als Gefahr für ihre Kinder sehen und nicht wollen, dass diese, ich nutze jetzt den Wortlaut, mit solchen Schwulen und Lesben in Kontakt kommen.“ Lehrer und Schulen würden auch „von Eltern beeinflusst“, was mitunter „dazu führt, dass Workshops gar nicht mehr stattfinden“, so Pientka.
Neben den Eltern spielten aber auch Medien wie zum Beispiel TikTok bei der Beeinflussung Jugendlicher eine große Rolle, ergänzte Meijada El-Haji. Zu einem großen Teil werde dort „Falschwissen verbreitet“. Immerhin gebe es auch Studien, die das Problem differenziert betrachteten, so Pientka. Sie zeigten, „dass gerade bei den Jungs die Toleranz weiter abnimmt, während sich die Mädchen eigentlich in eine gegensätzliche, tolerantere Richtung entwickeln“. Dieser Trend, so Pientka, sei „definitiv“ auch bei der Workshoparbeit zu spüren.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-anfeindungen-in-workshops-mit-jugendlichen-in-mannheim-_arid,2187810.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Warum wir Rat für Lebensfragen vor Ort unbedingt brauchen