Landgericht Mannheim

Betrug mit Corona-Tests: Überraschung am Mannheimer Landgericht

Im Betrugs-Prozess um Corona-Bürgertests am Mannheimer Landgericht warfen die Verteidiger die Frage auf: Hat die Kassenärztliche Vereinigung es den Abzockern zu leicht gemacht? So urteilte das Gericht

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Waltraud Kirsch-Mayer
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In einer Heidelberger Teststation sind Corona-Tests abgerechnet worden, die es gar nicht gegeben hat. © dpa

Rhein-Neckar. Eigentlich ist der Prozess vor der 4. Großen Wirtschaftsstrafkammer des Mannheimer Landgerichts wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs samt Urkundenfälschung in Zusammenhang mit Corona-Bürgertests bis Mitte November terminiert. Weil der Angeklagte am Dienstagvormittag ein Geständnis ablegt, können bereits am Nachmittag die Schlussvorträge gehalten werden. Und darin geht es auch um die brisante Frage, ob die Kassenärztliche Vereinigung es tricksenden Abzockern viel zu leicht gemacht hat. Während der Staatsanwalt drei Jahre und drei Monate fordert, hält die Verteidigung eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten für angemessen.

Als Hakim C. schildert, wie alles im Sommer 2021 begann, ist er sichtlich aufgewühlt: Sein langjähriger Freund Ali habe ihm erzählt, dass dessen Bruder und Onkel mit Corona-Teststationen viel Geld verdienen und auch er in das lukrative Geschäft einsteigen wolle - aber aufgrund eines negativen Schufa-Eintrages keine Genehmigung bekomme. 5000 Euro seien ihm versprochen worden, so Hakim C., wenn Anmeldung, Konten und Mails über seinen Namen laufen. Mit den Abläufen in der Heidelberger Corona-Teststation habe er aber nichts zu tun gehabt. Der Mittdreißiger beteuert, „benutzt worden zu sein“. Allerdings räumt er auf Nachfrage ein, mitgekriegt zu haben, dass auch nicht erfolgte Tests abgerechnet werden - „ das wusste ich durch die Blume“.

Überweisungen unstrittig

Dass die Kassenärztliche Vereinigung auf ein von Hakim C. in einer Ludwigshafener Commerzbank-Filiale eröffnetes Konto jeweils rund 240 000 und noch einmal 104 000 Euro überwiesen hat, ist unstrittig. Allerdings trägt der Angeklagte vor, von den zu Unrecht kassierten Test-Vergütungen keine Vorteile gehabt zu haben. Nicht einmal die versprochenen 5000 Euro habe er bekommen - weil Freund Ali aus Ägypten, wo er angeblich Urlaub machte, nicht mehr zurückgekehrt ist. Und auch dessen Bruder sowie Onkel tauchten ab.

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In seinem Plädoyer nimmt Erster Staatsanwalt Holger Hofmann dem Angeklagten zwar die Reue „hundertprozentig“ ab, aber die geschilderte Rolle sieht er „klein geredet“ und im Widerspruch zu Ermittlungen. Dass Hakim C. nur der „Namensgeber“ gewesen sei, halte er für genauso „unglaubwürdig“ wie die Behauptung, man habe ihm lediglich 5000 Euro in Aussicht gestellt. Schließlich sei anfangs davon die Rede gewesen, dass der Lohn für Hakim C. zehn Prozent der erlösten Vergütungen betragen solle. Der Staatsanwalt verweist auf Indizien, auch abgehörte Telefonate, die eine bandenmäßige Gruppe und gegenseitige Absprachen nahe legen.

Praktisch keine Prüfung bei Corona-Tests

Hofmann greift auch das schon während der Beweisaufnahme vorgetragene Argument der Verteidigung auf, die Kassenärztliche Vereinigung habe mit ihrem mangelnden Kontrollsystem geradewegs „zum Betrug eingeladen“. Hingegen spricht der Ankläger von einem „Vertrauensvorschuss“ in einer schwierigen Pandemie-Zeit, der mit „Selbstbedienungsmentalität massiv ausgenutzt wurde“. Neben einer Gefängnisstrafe fordert Hofmann gesamtschuldnerisch mit dem geflüchteten Haupttäter Ali Werte-Ersatz von 344 000 Euro.

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Rechtsanwalt Sebastian Glathe stellt in den Mittelpunkt, dass es bei den Corona-Tests praktisch keine Prüfungen gab und deshalb auch widersprüchliche Angaben nicht auffielen - beispielsweise mit dem absurden Ergebnis von 23 Tests pro Minute. Es habe keiner großen kriminellen Energie bedurft, um trickreich zu betrügen. Die Verteidigung sieht bei dem „angeworbenen und angeleiteten“ Unterstützer lediglich „eine Beihilfe-Handlung“. Positiv schlage für seinen Mandanten außerdem zu Buche, dass sich der Familienvater als einziger der strafrechtlich verfolgten Gruppe „nicht aus dem Staub gemacht hat“. Den vom Staatsanwalt geforderten Werte-Ersatz bezeichnet der Verteidiger als „existenzvernichtend“. Ohnehin habe Hakim C., der bis zur Verhaftung im Januar ein geordnetes Leben ohne Vorstrafen führte, bereits bei der Bahn seinen gut bezahlten Arbeitsplatz verloren.

Das Urteil

Der Ludwigshafener Hakim C., der seit acht Monaten in Untersuchungshaft sitzt, bleibt im Gefängnis. Wegen gemeinschaftlichen Computerbetrugs als besonders schweren Fall und Urkundenfälschung in Zusammenhang mit zu Unrecht abgerechneten Corona-Tests verurteilte das Mannheimer Landgericht den Mittdreißiger zu zwei Jahren und acht Monaten. Außerdem ordnete die 4. Große Wirtschaftsstrafkammer das Einziehen von Wertersatz in Höhe von 244 000 Euro an – allerdings gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten, aber flüchtigen Geschäftspartner, der wohl als Haupttäter wirkte.

In dem Prozess tauchte die Frage auf, ob mangelnde Kontrollen der Kassenärztlichen Vereinigungen geradewegs zu Betrug eingeladen haben, wie es die Verteidigung formulierte. Dazu erklärt die Vorsitzende Richterin Christiane Loos: Es sei gut gewesen, dass während der Virus-Pandemie der Aufbau von Bürger-Teststationen „schnell und unbürokratisch“ erfolgen konnte. Dies sei kein Freibrief dafür, eine Krisensituation auszunutzen. Und deshalb komme dem Urteil Signalwirkung zu.

Auch wenn es leicht gemacht wurde, zu tricksen, so die Richterin, habe Hakim C. „eine gewisse kriminelle Energie“ aufgebracht und nicht nur seinen Namen hergegeben, als es im Sommer 2021 gemeinsam mit einem langjährigen Freund darum ging, in Heidelberg eine Teststation in betrügerischer Absicht anzumelden, ein gefälschtes Schulungszertifikat vorzulegen, ein Geschäftskonto einzurichten und die in zwei Blöcken von der Kassenärztlichen Vereinigung überwiesenen Vergütungen für nicht oder nur teilweise erbrachte Covid-Testungen – erst 240 000 Euro und wenig später zusätzlich 104 000 Euro – innerhalb weniger Tage abzuheben.

Allerdings vermochte das Gericht im Gegensatz zur Anklage weder banden- noch gewerbsmäßiges Handeln nachzuvollziehen. Dass Hakim C. jenseits der als Einmalhonorar versprochenen 5000 Euro weitere Gelder bekam, dafür habe der Prozess keine Beweise erbracht.

Zugunsten des inzwischen gekündigten Bahn-Mitarbeiters hat die Kammer laut Urteilsbegründung berücksichtigt, dass der Familienvater bislang ohne Vorstrafen ein geordnetes Leben führte, von einem Freund zum Mitmachen überredet wurde und mit einem späten, aber umfangreichen Geständnis zur Aufklärung beitrug.

Ein Flüchtiger gefasst

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine fünfköpfige Gruppe, die in wechselnder Zusammensetzung insgesamt 3,3 Millionen Euro mit Testzentren in Mannheim sowie Heidelberg erschlichen haben soll.

Auf der Anklagebank saß aber bislang nur der jetzt verurteilte Hakim C.. Sein Kumpel Ali A., dessen Bruder und Onkel sowie ein weiterer Akteur sind abgetaucht. Inzwischen wurde jedoch ein flüchtiges Mitglied der Gruppe in Ägypten verhaftet. Sein Verfahren ist an einer weiteren Mannheimer Wirtschaftsstrafkammer anhängig.

In anderen Städten laufen ebenfalls Prozesse rund um Betrug mit Corona-Teststationen. Vor einigen Wochen sorgte für Schlagzeilen, dass sich in Berlin ein Geschwisterpaar verantworten muss, dem zur Last gelegt wird, mit mehreren Covid-Zentren innerhalb von zehn Monaten zwölf Millionen Euro ergaunert zu haben.

Freie Autorin

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