Heidelberg. Ein besonderer Heidelberger Stadtteil feiert Jubiläum: Vor 50 Jahren zogen die ersten Bewohner auf den Emmertsgrund. Gefeiert wird das das ganze Jahr über - und zur Halbzeit gibt es nun eine Ausstellung im Rathausfoyer der Stadt am Marktplatz in der Altstadt.
Auf den Stellwänden im historischen Rathaus hängen Plakate, die einzelne Schwerpunkte thematisieren. Jede Wand besitzt unten einen Abschluss, der aus etwa schulheftgroßen Flaggen begrenzt wird: Die Mitglieder des Nähkreises des Seniorenzentrums Boxberg/Emmertsgrund haben unter der Anleitung von Michaela Günter 90 Flaggen genäht. Sie stehen für die etwa 100 Herkunftsländer der Bewohner.
„Diese Vielfalt ist das Podest des Emmertsgrunds“, erklärt Fritz Zernick, seit 2011 im Vorstand des Stadtteilvereins und inzwischen als Vorsitzender erster Ansprechpartner, wenn es um die Interessen des Emmertsgrunds geht. Und auch Umwelt- und Verkehrsbürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain unterstreicht bei der Eröffnung der Ausstellung diese Vielfalt - und das lebendige Vereinsgeschehen in dem Stadtteil hoch über den anderen Stadtteilen.
Hausmeister als Pionier
Die allerersten Bewohner zogen sogar bereits kurz vor Weihnachten 1972 auf den Emmertsgrund: Der Hausmeister Adolf Dedek schleppte kurz vor Weihnachten in jenem Jahr seine Umzugskisten in einen der hochaufragenden Wohntürme. Mit Frau und zwei Jungs feierte er ein Weihnachten noch ganz ohne Nachbarn. Die sollten aber bald folgen. Heute leben rund 6500 Menschen hier. „Es ist ein sehr junger Stadtteil“, unterstreicht Schmidt-Lamontain.
Ein weiteres Plakat nimmt die Krise der Neuen Heimat ins Zentrum: Von der Stadt mit der Errichtung des jungen Stadtteils beauftragt, ging das gemeinnützige Unternehmen, das dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehörte, 1990 unter anderem in der Folge von Korruptionsaffären insolvent. Die Stadt sprang ein und die GGH kaufte einen Großteil der vermieteten und bis dahin noch nicht verkauften Wohnungen. Bald nach Baubeginn gab es viel Kritik an der Monostruktur der Hochhäuser, in denen 11 000 Menschen ihr Zuhause finden sollten.
Grüner Stadtteil
- Der Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund entstand Anfang der 1970er-Jahre mit Unterstützung des Bundes.
- 1957 war das Areal nach langen Verhandlungen mit dem Land als Neubaugebiet ausgewiesen worden, 1967 erhielt die Neue Heimat den Bauauftrag.
- 1969 war Baubeginn, 1973 wurden die ersten Wohnungen bezogen. Im gleichen Jahr öffneten Kitas und Schulen.
- Hier leben 6500 Menschen aus mehr als 100 verschiedenen Herkunftsländern: Heidelberg-Emmertsgrund besitzt seit 2010 ein Stadtteilmanagement, das soziale Integration fördert.
- Der Emmertsgrund liegt knapp sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernt in der Höhe.
- Der Stadtteil liegt direkt an Wald und Weinbergen und ist sehr grün: Von rund 260 Hektar Fläche sind etwa 16 Hektar bebaut.
Die Liebe - oder genauer seine zweite Frau - hat Zernick den Lebensmittelpunkt auf dem Emmertsgrund verlegen lassen. Er kennt den Stadtteil von Anfang an, lernte hier als Student die modernsten Bautechniken kennen und arbeitete später 25 Jahre lang bei der städtischen Wohnungsgesellschaft GGH, war zuständig für den neuen Stadtteil, der bis zum Bau der Bahnstadt vor gut zehn Jahren der jüngste blieb. „Es ist ein geliebtes und ein ungeliebtes Kind in einem“, sagt Zernick nachdenklich. Hinter vorgehaltener Hand etwa höre er immer wieder Kritik, dass „sehr viel Geld auf den Berg“ fließe.
Teurer Stadtteil?
Längst ist das einst modernste Quartier in die Jahre gekommen, Bürgerhaus und Forum wurden unter anderem für viel Geld saniert. Und es gibt auch laufende Zuschüsse, die dem besonderen Charakter des Stadtteils geschuldet. Das Stadtteilmanagement Emmertsgrund, das Bürgerhaus HeidelBERG mit Medienzentrum und dem Café-Betrieb sowie der Conciergedienst werden in den Jahren 2023 und 2024 von der Stadt bezuschusst. Die Summe beläuft sich auf insgesamt 752 400 Euro, das Café erhält jährlich rund 33 000 Euro. Das hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am 21. Juli 2022 einstimmig beschlossen.
Immer wieder gerät der Stadtteil durch Meldungen aus dem Polizeibericht in die Schlagzeilen - was am Image kratzt. Zernick lässt seinen Wagen - ein Cabriolet - schon seit Jahren auf der Straße stehen. „Da ist noch nie etwas geschehen“, betont er. Doch es gibt „Botschafter des Emmertsgrunds“, die viel für das Selbstwertgefühl des Stadtteils tun.
„Kinder der Aral“
Sasa Stanisic zum Beispiel. Der Schriftsteller ist auf dem Emmertsgrund aufgewachsen und beschreibt das in seinem Roman „Herkunft“. 2019 hat er für diese Art Liebeserklärung an die Oma den Deutschen Buchpreis erhalten. „Wir haben die berühmteste Tankstelle Deutschlands auf dem Emmertsgrund“, nimmt Zernick auf die Erzählung Bezug: Von der „blauen Aral“, einem Treffpunkt von nicht nur jugendlichen Bewohnern an der Einfahrt zum Stadtteil, berichtet Stanisic ausführlich: „Die Aral Tankstelle war Heidelbergs innere Schweiz: neutraler Grund, auf dem die Herkunft selten einen Konflikt wert war.“ Aber auch: „An guten Tagen konnte man bis Frankreich sehen, an schlechten in den Lauf einer Pistole“, beschreibt er, dass die Tankstelle in einigen Jahren regelmäßig überfallen wurde.
Die Lesung mit dem berühmten Sohn Ende Juni bildet für den Vorsitzenden des Stadtteilvereins den bisherigen Höhepunkt des Jubiläumsjahres: Rund 400 Zuhörer hingen dem deutsch-bosnischen Schriftsteller, der heute mit seiner Familie in Hamburg lebt, bei der Freiluftlesung an den Lippen. „Dass ich Bosnier und Geflüchteter war“, schreibt Stanisic, „blieb im Emmertsgrund eine Randnotiz. Im akademischen Umfeld war es oft Höhepunkt des Interesses.“
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