Heidelberg. „Atemberaubend“, „unglaublich gut und kreativ“, „eine Drag-Show auf einem anderen Level“: Ein begeistertes Publikum strömt am Freitagabend nach dem Auftritt der Gruppe „Drag Syndrome“ aus dem großen Saal des Karlstorbahnhofs in Heidelberg. Im Regenbogenlicht der Bühnenscheinwerfer zeigte die erste professionelle Drag-Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom ein energiegeladenes Programm. Die 2018 in London gegründete Gruppe tritt mittlerweile auf Bühnen von Oslo bis Mexiko-City auf. Nach Heidelberg brachte die fünf Darsteller die Eröffnung des 14. Queer Festivals. Dieses startete 2009 nach Angaben der Veranstalter als erstes Festival seiner Art in Deutschland und ist inzwischen längst etabliert - als Plattform für queere Kultur, Community Event und Fest der Vielfalt und Toleranz.
Veranstaltet wird das Queer Festival von Queer Play e.V. und dem Karlstorbahnhof. Seit 2021 wird das Queer Festival von der Stadt Heidelberg im Rahmen der „Rainbow City Heidelberg“ gefördert. Laut Veranstaltern kommen jedes Jahr rund 10 000 Besucherinnen und Besucher.
Anker für viele Menschen in dieser Stadt
Rund 460 Gäste kamen am Freitag zur Eröffnung in den Karlstorbahnhof. „Ein voller Saal!“, stellte dessen Geschäftsführerin Cora Maria Malik zu Beginn ihrer Rede fest. Auch Martin Müller - gemeinsam mit Dominic Hauser Initiator und Leiter des Festivals - zeigte sich zufrieden, dass die erste Auflage des Festivals nach dem Umzug des Kulturhauses auch die großen, neuen Räume füllt. Man habe „ein bisschen Respekt und Angst“ vor dem neuen Standort gehabt. Darüber, „was wir geschaffen haben und dass das Queer Festival ein Anker für viele Menschen in dieser Stadt geworden ist“, sei er „mehr als glücklich“. Dem Festival sei es wichtig, „große Namen hier her zu holen und auch mit lokalen Akteurinnen und Akteuren sowie Partnerinnen und Partnern zusammenzuarbeiten“. Wichtigster Partner des Festivals sei die Stadt Heidelberg. Oberbürgermeister Eckard Würzner ließ sich wegen Haushaltsgesprächen entschuldigen, schickte aber eine Videobotschaft. Seine Abwesenheit sei dem OB verziehen, sagte Danijel Cubelic, Leiter des städtischen Amts für Chancengleichheit - schon weil die Stadtverwaltung in den neuen Haushaltsentwurf „einiges an neuen Mitteln für queere Projekte eingestellt“ habe.
Breites Festival-Programm
- Bis zum 31. Mai bietet das Queer Festival rund 30 Veranstaltungen, u. a. Konzerte, Lesungen, Film und Theater.
- Prominentester Auftritt: die russischen Punk-Rockerinnen Pussy Riot, bekannt durch ihren Protest gegen Wladimir Putin. 15. Mai, 20 Uhr, im Karlstorbahnhof.
- Auf Plakaten in ganz Heidelberg: zehn Motive der Fotoausstellung Bodily Autonomies („körperliche Autonomien“). Die komplette Ausstellung im Karlstorbahnhof, im Theater Heidelberg und auf der Festival-Website.
- Neu im Programm: Der Eurovision Song Contest – er ist in der queeren Community mittlerweile sehr beliebt. Live-Übertragung am 13. Mai, 20 Uhr, im Karlstorbahnhof.
- Das ganze Programm unter queer-festival.de, Tickets online und an allen bekannten VVK-Stellen.
Das Queer Festival habe sich vom „kleinen Community-Projekt“ zum „deutschlandweit beachteten Festival“ entwickelt, es sei aber auch ein „Experimentierraum“ für Talente aus der Region. Und: Beim Festival gehe es auch darum, „das Glück queeren Lebens zu feiern“.
Themenschwerpunkt Inklusion
Die Festivaleröffnung fiel dieses Jahr auf den 5. Mai, den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Kein Zufall, denn der Themenschwerpunkt der diesjährigen Auflage heißt „Inklusion“. Eine Diskussionsrunde widmete sich den Erfahrungen queerer Menschen mit Behinderung. Nicolas Bellm, Vorstand von queerhandicap e. V., stellte das Ziel des Vereins vor - nämlich, „dass Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren Behinderungen, Beeinträchtigungen und chronischen Erkankungen offen zu ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität stehen können und sie auch zeigen können.“ Bellm zog außerdem eine gemischte Bilanz zur Barrierefreiheit in Heidelberg und plädierte für ein queeres Zentrum im alten Karlstorbahnhof.
Frauen mit Behinderung müssten darum kämpfen, „dass sie überhaupt als sexuelle Wesen anerkannt werden, besonders bei sichtbaren Behinderungen“, berichtete die Sozialpädagogin Nicoletta Rapetti. Doch „auch queeren Frauen wird gerne aberkannt, dass sie sexuelle Wesen sind“. Als queere Frau mit Behinderung sei man in der Außenwahrnehmung schnell „quasi völlig raus“, sagte Rapetti, die als Lehrbeauftragte an der Hochschule Mannheim arbeitet und beim Heidelberger Bildungs- und Beratungszentrum BiBeZ Frauen und Mädchen mit chronischer Erkrankung oder Behinderung berät. Moderator Frederik Busch sprach die städtische Behindertenbeauftragte Christina Reiß auf die Belange queerer Menschen mit kognitiver Behinderung an. Reiß bezeichnete dies als „wirklich schwierigen Bereich“, weil „diese Menschen zu keiner der beiden Gruppen richtig dazugehören - sie sitzen zwischen allen Stühlen“. Reiß wünschte sich Offenheit in der queeren Community für Themen wie Leichte Sprache, die besonders verständlich ist. Bei Materialien für das diesjährige Festival wurde Leichte Sprache bereits verwendet.
Nach dem offiziellen Programm wurde der Party-Teil eingeläutet - um das queere Leben gebührend zu feiern.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-14-auflage-des-queer-festivals-in-heidelberg-gestartet-_arid,2081135.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html