Ausstellung

13 Menschen schildern in Briefen im Heidelberger Rathaus ihr Leben mit Aids

"Oft saßen Menschen weinend vor mir und sagten: Ich hätte das doch wissen müssen!", berichtet eine Mitarbeiterin der Heidelberger Aidshilfe. Noch immer ist eine Infektion mit HIV oft schuld- und schambelastet

Von 
Michaela Roßner
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Sie haben sich für die Ausstellung engagiert: Dieter und Kalle Riegler (v.l.), Juliane Schurig, Jürgen Schütz und Charlie Holzinger. © Philipp Rothe

Heidelberg. Mehr als drei Jahre lang hat gerade das Coronavirus weltweit den Alltag und die Infektionsforschung geprägt. Vor mehr as 30 Jahren veränderte das Auftauchen eines anderen Virus das Leben vieler Menschen: das „Human Immunodeficiency Virus (HIV)“, das menschliche Immunschwächevirus. Seit der Entwicklung moderner Medikamente kann man mit einer solchen Infektion leben und arbeiten, ist nicht ansteckend. Doch wie haben HIV und die Krankheit Aids das Leben verändert? „Was wäre, wenn wir weitermachen?“ ist eine Ausstellung überschrieben, die noch bis 21. April im Heidelberger Rathaus zu sehen ist (Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr). Es ist eine interaktive Ausstellung, die von der Aidshilfe Heidelberg gezeigt wird.

Eine Zukunftskonferenz legte den Grundstein: Die Mitglieder und Unterstützer der Aidshilfe wollten darüber nachdenken, wie sich ihr Verein in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Dank der modernen Medikamente können HIV-Positive meist ihr gewohntes Leben weiterleben, müssen ihre Krankheit nicht preisgeben und leiden daher nicht mehr so stark unter Stigmatisierung und Ausgrenzung, wie es in den 1980er- und 1990er-Jahren noch der Fall war. Diese „neue Generation“ mit erfahrenen HIV-Infizierten zusammen zu Wort kommen zu lassen, war die Idee einer Praktikantin bei der Aidshilfe. Charlie Holzinger sprach mit 13 Menschen und zeichnete ihre Geschichte und ihre Gedanken auf. Das Buch kann gegen eine Spende in Höhe von zehn Euro bei der Aidshilfe Heidelberg bestellt werden.

Doppelleben geführt

„Ich lernte, ein Doppelleben zu führen“, so heißt es an einer Stelle: auf der einen Seite ein Leben ohne HIV, nach außen hin völlig unauffällig – auf der anderen Seite als Ehrenamtlicher eines Vereins, der sich um von Aids betroffene Kinder kümmert.

"Was wäre, wenn wir weitermachen?" heißt eine Ausstellung der AIDS-Hilfe , die jetzt im Heidelberger Rathausfoyer zu sehen ist. © Philipp Rothe

Auch heute noch finde Stigmatisierung statt, erzählt ein Betroffener. So legten Zahnärzte einen Vollschutz an, wenn ein HIV-positiver Patient komme, „obwohl längst nachgewiesen ist, dass es bei einer Virenlast unter der Nachweisgrenze keine Ansteckungsgefahr gibt“.

„Oft saßen Menschen weinend vor mir und sagten ,Ich hätte das doch wissen müssen! Wie konnte mir das passieren?‘“, berichtet eine Mitarbeiterin der Aidshilfe. Viele Menschen seien an ihren Schuld- und Schamgefühlen fast zerbrochen. „Damals gab es noch keine Medikamente und keine Hoffnung auf ein Überleben nach der Ansteckung, daher war der große Teil unserer Arbeit Sterbebegleitung.“

Aufklärung ergänzt Ausstellung

1988 kamen das erste Medikament auf den Markt und 1996 die wirksame Kombinationstherapie. Ein Info- und Aufklärungsteil ergänzt die Ausstellung. Dort findet man Anlaufstellen und Antworten etwa auf die Frage, wer die Regenbogenflagge erfunden hat. Der Künstler Gilbert Baker war 1978 vom ersten offen schwulen Politiker der USA, Harvey Milk, beauftragt worden, ein fröhliches Symbol für die Queer-Gemeinschaft zu schaffen.

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Die Wanderausstellung „Positive Briefe“ ergänzt die Berichte aus Heidelberg. Jürgen Schütz hat sie vor gut 20 Jahren auf den Weg gebracht und in ganz Deutschland gezeigt. Parallel bot er gemeinsam mit dem Künstler Jens Peters Workshops vor allem in Schulen an. In vorgegebenen, DIN-A-5 großen Holzkartons sind auf diese Weise berührende Kunstwerke entstanden. Ein weißer Briefumschlag, der auf dem Rücken die rote Schleife der Aidshilfe trägt etwa. Es sind düstere, aber auch lebensbejahende Darstellungen. Der Weg zur Diagnose kann lang sein: „Im März 2019 hatte ich akute Atemnot. Ich ging erst ins Krankenhaus, als es nicht mehr anders ging. Eine Woche lang suchte man vergeblich nach einer Diagnose. Dann ist meine Erinnerung weg. Vier Tage später wachte ich intubiert auf der Intensivstation eines anderen Klinikums aus dem Koma auf. Man eröffnete mir, dass ich AIDS habe. Heute bin ich zwar HIV-positiv, aber dank der hochaktiven antiretroviralen Therapie ist meine Viruslast dauerhaft unter der Nachweisgrenze.“

Durch die Diagnose sei ans Licht gekommen, dass der Schreiber jahrelang seine Frau betrogen hatte. „Ich ging zu Prostituierten und hatte mich so infiziert.“ Seine Frau trennte sich daraufhin nach 32 Jahren Ehe. „Nicht HIV ist mein Problem … die Trennung von meiner Frau ist mein Problem.“

Auf einer großen Pinnwand können die Besucher Eindrücke und Gedanken hinterlassen. Hat die Ausstellung die Erwartungen erfüllt? „Total! Mir gefällt der kreative und textbasierte Zugang zu den Geschichten! Ich wurde sehr berührt. Vielen Dank“, hat ein Besucher hinterlassen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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