Kriminalität (mit Video)

Reifenstecher in Heddesheim: Serientäter versetzt Anwohner in Aufruhr

Ein Reifenstecher treibt in Heddesheim sein Unwesen. Trotz dutzender Anzeigen hat die Polizei keine konkreten Hinweise auf den Täter. Die Anwohner fühlen sich im Stich gelassen - und patrouillieren schon selbst

Von 
Julian Eistetter
Lesedauer: 
Eine Überwachungskamera hat den mutmaßlichen Reifenstecher in Aktion gefilmt. Die Aufnahmen sind jedoch nicht gut genug, um Hinweise auf den Täter zu erlangen. © Privat

Heddesheim. Der Mann trägt Jeans und einen hellen Pullover. Die Kapuze hat er über den Kopf gezogen. Er hockt neben dem rechten Hinterreifen eines Fiat 500. Mit zwei Schritten orientiert er sich dann zum Vorderreifen, geht dort ebenfalls in die Hocke, hantiert für ein paar Sekunden und verschwindet anschließend aus dem Bild. Diese Szenen hat eine Überwachungskamera in Heddesheim am 12. November 2022 festgehalten. Laut Anzeige ist es 5.30 Uhr, als die schlanke Person mutmaßlich mit einem spitzen Gegenstand die Reifen des Autos zersticht. Der Vorfall ist Teil einer schier beispiellosen Serie, die sich seit September vergangenen Jahres in der Gemeinde abspielt. Dutzende Fahrzeuge wurden bereits auf diese Weise beschädigt, bei den Anwohnerinnen und Anwohnern geht die Sorge um - und sie fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.

Lokales

Überwachungskamera zeigt Täter in Heddesheim

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

Zunächst an Betrunkenen gedacht

„Es war ein Wochenende im September, da wurden die Reifen des Autos meiner Frau zerstochen. Da hat es angefangen“, sagt ein Betroffener, der anonym bleiben möchte. Er habe eine Familie, einen Hund, man wisse nicht, wozu der Täter in der Lage sei, begründet er. Diesen Täter halten seine Frau und er zunächst für einen betrunkenen Jugendlichen, der sich im Suff einen Streich erlaubt hat. Doch bald wird klar, dass mehr hinter der Sache stecken muss. Nur eine Woche nach der Reparatur sind die Reifen erneut zerstochen. In Gesprächen mit Nachbarn und anderen Anwohnern stellt sich schnell heraus: Hier ist ein Serientäter am Werk.

Mehr zum Thema

Missbrauch

Entführung in Edenkoben: So erklärt die Justiz ihre Taktik nach harter Kritik

Veröffentlicht
Von
Stephan Alfter
Mehr erfahren
Weinfest

Veranstalter und Polizei ziehen Bilanz des Wurstmarkts in Bad Dürkheim

Veröffentlicht
Von
Kai Plösser
Mehr erfahren

Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mannheim bestätigt auf Anfrage, dass es zwischen September und Dezember 2022 zu einer Häufung von beschädigten Pkw in Heddesheim gekommen sei. 52 Anzeigen seien in diesem Zeitraum erstattet worden, allein 31 davon im November. „Beim Großteil der Taten spricht man bei der Begehungsweise umgangssprachlich von Reifenstechern“, erklärt der Sprecher. Vereinzelt seien aber auch Scheiben eingeschlagen oder der Lack zerkratzt worden. Diese Taten rechnet die Polizei eigenen Angaben nach eher nicht der Serie zu.

Gefährderansprache erfolgt

Belastbare Hinweise auf einen Täter liegen laut Polizei derzeit nicht vor. Auch die Beamten kennen das Überwachungsvideo. Dieses habe jedoch wegen der „schlechten Qualität keine Identifizierung ermöglicht“, so der Sprecher. Es sei darauf lediglich eine wahrscheinlich männliche Person erkennbar.

Für den Betroffenen und viele Leidensgenossen in Heddesheim ist das absolut unbefriedigend. Der Anwohner berichtet, dass er nach dem zweiten Vorfall am Auto seiner Frau den Polizeiposten Heddesheim aufgesucht habe, um Anzeige zu erstatten. Dort sei ihm vom Beamten wörtlich gesagt worden: „Da muss ich ihm wohl mal wieder auf die Finger klopfen.“ Für den Heddesheimer ist das ein klares Zeichen, dass die Polizei eigentlich weiß, wer für die Taten verantwortlich sein könnte. Zumal die Reifenstecher-Serie ab Januar für etwa drei Monate unterbrochen war. „Ich gehe davon aus, dass der Täter in dieser Zeit in einer Einrichtung oder im Gefängnis war“, sagt der Betroffene.

Die Schnitte sind teils nur so groß wie eine Fingerkuppe. © red

Der Polizeisprecher berichtet, dass bei der verstärkten Streifentätigkeit im Gemeindegebiet mehrfach nachts eine männliche Person angetroffen und überprüft worden sei. „Daraufhin erfolgte Anfang Januar eine Gefährderansprache durch den Sachbearbeiter. Hiernach endete die Tatserie.“ Mangels Beweisen hätten der Person jedoch keinerlei Straftaten zugeordnet werden können.

Und so scheint es nun nach wenigen Monaten einfach nahtlos weiterzugehen. Bis zu 80 Fälle dürfte es inzwischen laut dem Betroffenen bereits gegeben haben. Auch Petra Frank ist eine von ihnen. Sie stellt ihr Auto am 28. April zwischen 7.30 und 8 Uhr im Bereich des Vogelparks ab, um mit ihrem Hund Gassi zu gehen. Als sie etwa eine halbe Stunde später wieder wegfahren will, bemerkt sie, dass der Wagen ein komisches Fahrverhalten an den Tag legt. Ihr rechter Vorderreifen ist zerschnitten.

Werden die Platten Reifen nicht gleich bemerkt, kann es gefährlich werden. © red

Frank, selbst Heddesheimerin, hat bis zu diesem Tag nichts von der Serie mitbekommen. Sie zeigt ihren Fall an und erfährt dann anschließend, dass sie bei Weitem nicht das einzige Opfer ist. Nur wenige Tage nach ihr erwischt es auch eine Freundin, wieder am Vogelpark. „Ich stelle mein Auto jetzt sicher nicht mehr dort ab, wenn ich mit dem Hund rausgehe“, sagt Frank. In einer Zeit, in der ohnehin schon alles teurer wird, würden Kosten für die Reparatur besonders wehtun. „Das ist wirklich nicht witzig. Ich wünsche dem Täter, dass ihm die Finger abfaulen, wenn er das nächste Mal einen Reifen zersticht.“

„Es muss etwas passieren“

Auch der bereits doppelt betroffene Heddesheimer hat schon einen Schaden von 500 Euro erlitten. „Die Leute sind richtig sauer“, betont er. „Jeden Morgen wacht man auf in der Sorge, dass das Auto wieder kaputt ist“, berichtet er. „Das kann so nicht weitergehen. Es muss etwas passieren. Mittlerweile werden am helllichten Tag Scheiben eingeschlagen. Was, wenn mal ein Kind oder ein Tier in einem Auto sitzen?“ Heddesheim sei eine lebenswerte Gemeinde, doch die Reifenstecher-Serie beeinträchtige zunehmend die Lebensqualität. Der Anwohner ist morgens sogar schon mit einem Bekannten selbst Patrouille gelaufen, um den Täter vielleicht auf frischer Tat zu erwischen. Mit anderen Betroffenen habe man sich zusammengefunden, Flugblätter verteilt und etwa Briefträger sensibilisiert.

Viele der Betroffenen haben die Einstiche in die Reifen ihrer Autos fotografiert. © red

Die Gemeinde steht im Zusammenhang mit der Serie in engem Austausch mit der Polizei. „Unbedingt sind solche Taten in jedem Fall bei der Polizei anzuzeigen, da dies auch für deren Arbeit sehr bedeutsam ist“, sagt Bürgermeister Achim Weitz. Es empfehle sich grundsätzlich, die Augen offen zu halten. „Von eigenen Ermittlungen oder Überwachungen und dergleichen kann jedoch nur abgeraten werden.“

Die Betroffenen fühlen sich in ihrer Not dennoch nicht ernst genug genommen. „Es ist doch nichts passiert“, würden Leute sagen, die nicht betroffen sind. „Wie sich das anfühlt, wissen sie erst, wenn es sie auch getroffen hat“, sagt der anonyme Anwohner. Es sei ein Gefühl von Machtlosigkeit und Unsicherheit.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen