Frankenthal. Während Polizei und Staatsanwaltschaft weitere Details zum Tathergang ermitteln, gibt es rund um Edenkoben herum laute Kritik an den Justizbehörden selbst. Vor allem im Internet auf der Plattform „Facebook“ werden regelrechte Hasstiraden gegen Beamte geschwungen. Tenor: Ihr hättet die mutmaßliche Sexualstraftat eines bekannten 61-jährigen Kriminellen verhindern können. Das zehnjährige Mädchen hätte auf ihrem Schulweg in ein Edenkobener Gymnasium nicht in die Fänge des Mannes geraten müssen. Die Behörden trügen eine Schuld, heißt es in einer Neustadter Facebook-Gruppe. Denn die Polizei sei aufmerksam gemacht worden auf ihn. Von dem Mann, dessen Namen dort genannt und dessen Gesicht dort veröffentlich ist, sei eine latente Gefahr ausgegangen. Die jetzige Tat sei vorhersehbar gewesen. Schließlich habe er sich immer wieder in der Nähe von Schulen herumgetrieben. In Neustadt war er demnach stadtbekannt.
61-Jähriger verweigerte Fußfessel
Am Mittwoch reagierten die Ermittler auf die Vorwürfe und machten einige Vorgänge aus den vergangenen Wochen transparent. Der 61-Jährige, der nun in Untersuchungshaft sitzt, sei zuletzt im Jahr 2008 wegen Sexualstraftaten zu einer mehrjährigen Haft verurteilt worden – davor bereits einmal im Jahr 1996.
Nach seiner Entlassung im Jahr 2012 sei er unter Führungsaufsicht gestellt worden. Dabei handle es sich nicht um eine Strafe im Sinne der deutschen Strafgesetze, sondern um ein Instrument, um eine gewisse Überwachung und Kontrolle der verurteilten Person zu gewährleisten. Sie diene dazu, den Betroffenen die Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen und sie dadurch vor erneuter Straffälligkeit bewahren. Aber: Weil der 61-Jährige mehrfach gegen Auflagen verstoßen habe, sei er letztmalig im Jahr 2020 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Entlassen wurde er schließlich am 14. Juli dieses Jahres, so Hubert Ströber, Leitender Oberstaatsanwalt in Frankenthal. Nach dem 14. Juli sei er erneut unter Führungsaufsicht gestellt worden. Eine weitere Inhaftierung oder sonstige Unterbringung sei von Gesetzes wegen nicht möglich, so Ströber.
Aufgrund der Vorgeschichte des 61-Jährigen und der sich daraus ergebenden Gefahr einer erneuten Straffälligkeit habe im Vorfeld der nahenden Entlassung im April 2023 auf Initiative der Staatsanwaltschaft Frankenthal eine Konferenz zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Bewährungshilfe und Führungsaufsichtsstelle stattgefunden.
In dieser seien die bei Gericht anzuregenden Weisungen formuliert worden. Darüber hinaus habe die Staatsanwaltschaft Frankenthal beim Landgericht einen Antrag auf die Verpflichtung zum Tragen einer „Elektronischen Fußfessel“ gestellt, der im ersten Beschluss abgelehnt wurde. Dagegen habe die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Zweibrücken Beschwerde eingelegt. Dieser wurde stattgegeben und der Beschluss vom Landgericht dahingehend angepasst, dass eine „Elektronischen Fußfessel“ zu tragen sei.
Aber: Der 61-Jährige habe sich trotz der Weisung geweigert, sich die Fußfessel anlegen zu lassen. Das Anlegen unter Zwang sei rechtlich nicht möglich, weswegen der nun erneut in Erscheinung getretene Mann bis heute keine Fußfessel getragen habe. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal habe in den Tagen vor dem jetzigen Ereignis ein neues Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet – wegen des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Noch vor seiner Entlassung aus der Haft sei im Juni von Polizeikräften eine erste Gefährderansprache durchgeführt worden. In dieser sei der 61-Jährige insbesondere darauf hingewiesen worden, dass die gerichtlich festgelegten Weisungen des Führungsaufsichtsbeschlusses zu befolgen sind und festgestellte Verstöße bei der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden. Der 61-jährige sei nach seiner Entlassung intensiv kontrolliert worden. Ströber sagt: „Deutlich über die richterliche Weisung hinaus nahmen Polizeikräfte dazu unangekündigt und engmaschig, zum Teil täglich, Kontakt zu ihm auf, um auf die Einhaltung der Auflagen der Führungsaufsicht hinzuwirken.“ Rechtlich sei es nicht möglich gewesen, personenbezogene Daten über den Entlassenen an Schulbehörden weiterzugeben.
„Alle taktischen Mittel genutzt“
Nachdem der Polizei bekannt geworden sei, dass die Entlassung des Mannes zu einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt habe und überall vor ihm gewarnt wurde, sei bei der Polizei Neustadt ein Hinweistelefon eingerichtet worden. Im Zeitraum zwischen der Entlassung und dem 17. August seien mehrere behauptete Verstöße gegen die Führungsaufsicht zur Anzeige gebracht und überprüft worden, aber bei der weit überwiegenden Anzahl der Anzeigen seien Straftaten nicht beweisbar gewesen. Zum Schluss habe die Staatsanwaltschaft Frankenthal am 8. September beim Amtsgericht Neustadt den Erlass eines Untersuchungshaftbefehls wegen Fluchtgefahr gestellt.
Zu einer Festnahme kam es jedoch nicht mehr rechtzeitig. Auch bei Staatsanwaltschaft Frankenthal und Polizeipräsidium Rheinpfalz löse die Tat tiefe Betroffenheit aus, so Ströber. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei müssten sich bei ihrer Aufgabenerfüllung jedoch an geltendes Recht und Gesetz halten. In diesem Rahmen seien alle taktischen Mittel ausgeschöpft worden
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