Edingen-Neckarhausen. Die Diskussion über die Umbenennung historisch belasteter Straßennamen ist auch in Edingen-Neckarhausen angekommen. In der Doppelgemeinde davon betroffen ist die Felix-Wankel-Straße, benannt nach dem Erfinder des gleichnamigen Motors, vor allem aber einem „Nationalsozialisten der ersten Stunde“, wie der Autor Sascha Becker zu Recht formuliert.
Als solchen sieht ihn auch das Gutachten einer Experten-Kommission in Heidelberg, die dem Gemeinderat der Universitätsstadt die Umbenennung empfiehlt.
Die Bewertung klingt hart, ist aber durch eindeutige, weithin verbreitete Fakten belegt. 1902 im badischen Lahr geboren, schließt sich Wankel an seinem neuen Wohnort Heidelberg bereits als junger Mann rechtsradikalen Gruppen an. 1921 ist er einer von zehn Aktiven im „Deutschvölkischen Trutz- und Schutzbund“ um den Privatdozenten Arnold Ruge. Ruge ist derart extrem antisemitisch und antidemokratisch, dass ihm seine Stelle gekündigt wird.
Wankel: Freude über Ermordung des Außenministers
Auch Wankel selbst äußert sich mehrfach antisemitisch. Als 1922 der jüdische Reichsaußenminister Walter Rathenau von Rechtsradikalen erschossen wird, notiert er in seinem Tagebuch: „Mit derselben planmäßigen Sicherheit, mit der das Judentum vergiftet hat, wird jetzt auch das Gift wieder entfernt. Rattensau tot - hipp, hipp, hurra!“, jubelt Wankel über die Ermordung des jüdischen Staatsmannes. Bereits 1921 tritt er in Heidelberg in die noch winzige NSDAP ein, Ende der 1920er Jahre trifft er Nazi-Größen wie Adolf Hitler, Rudolf Heß und Joseph Goebbels. 1931 wird Wankel Gauleiter der Hitler-Jugend (HJ) von ganz Baden.
Kennzeichnend für sein Engagement in der Partei wird seine permanente Auseinandersetzung mit Badens NS-Gauleiter Robert Wagner. Die Differenzen zwischen beiden sind ideologisch - Wagner versteht die Jugendarbeit vor allem politisch, Wankel militärisch -, aber auch persönlich. Wankel wirft Wagner dessen Lebens- und Führungsstil vor.
Neue Straßennamen
- In vielen deutschen Städten werden die Namen von Straßen und Plätzen derzeit auf ihre historische Belastung überprüft.
- In der Hauptstadt Berlin sind aus diesem Grund aktuell 250 Namen in der Diskussion.
- In Heidelberg hat eine Historiker-Kommission 319 Namen untersucht. Bei neun empfiehlt sie eine Umbenennung, unter anderem bei Wankel und dem Giftgas-Chemiker Fritz Haber.
- In Mannheim werden vier Straßen umbenannt, die nach drei Kolonialverbrechern sowie dem Hitler-Anhänger Sven Hedin benannt sind.
Als Wagner mit der NS-Machtergreifung 1933 auch an die staatliche Macht in Baden gelangt, rächt er sich und lässt Wankel sogar kurzzeitig verhaften. Doch der kommt bald frei - aufgrund bereits bestehender Netzwerke zu einflussreichen Nazis, die das Potenzial dieses Ingenieurs für die Rüstungsindustrie erkennen.
Kooperationspartner der SS
Für Wankel ist diese Inhaftierung vor allem nach dem Kriege geradezu ein Segen. Seine Niederlage im innerparteilichen Machtkampf der NSDAP Badens versteht er geschickt zum „aktiven Widerstand“ gegen den Nationalsozialismus zu stilisieren. Historiker Marlon Poggio spricht von einer „perfiden Verdrehung der Tatsachen“. Zumal Wankel danach eine hoch dotierte Position innerhalb des militärisch-industriellen Komplexes der Nazis genießt.
Wankel errichtet ein Forschungsinstitut, das bis Kriegsende vom Reichsluftfahrtministerium mit Millionenbeträgen gefördert wird. Dabei beschäftigt er auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Hier entwickelt er Verbrennungsmotoren für Torpedo-Antriebe, bei denen er auch mit der SS kooperiert. SS-Chef Himmler selbst besucht ihn vor Ort, um mit ihm die Sache zu besprechen. 1940 wird Wankel zum SS-Obersturmbannführer und Mitglied der Reichsleitung der SS ernannt.
Motor-Entwicklung nach 1945
1945 besetzen die Franzosen seine Werkstätten und belegen ihn mit einem Arbeitsverbot. Sein Entnazifizierungsverfahren dauert vier Jahre, die Akte umfasst 300 Seiten. Als besonders belastend werden Zeugenaussagen gewertet, wonach er auf Mitarbeiter Druck ausgeübt haben soll, der NSDAP beizutreten. Aber am Ende gilt er als „minderbelastet“.
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Finanziert von der Firma Goetze in Burscheid errichtet Wankel 1950 in seinem Privathaus in Lindau ein Forschungs- und Entwicklungslabor für Motoren. 1953 kommt es zur Kooperation mit NSU, um die Entwicklung des Rotationskolbens voranzutreiben. Zwar wird sein Kreiskolbenmotor ab den 1960er Jahren in Typen wie „NSU Spider“ und „Ro 80“ eingebaut, kann sich jedoch langfristig nicht gegen den Hubkolbenmotor durchsetzen. Ab 1974 verabschieden sich General Motors, Daimler und Citroën von dieser Technologie, die damit auf dem Markt keine Chance mehr hat.
Das sagt die Historiker-Kommission
Sein „Wankel-Motor“ bleibt jedoch eine der spektakulärsten Innovationen im Automobilbau dieser Zeit. Ungeachtet seiner politischen Belastung wird er daher hoch geehrt: mit dem Großen Bundesverdienstkreuz 1970, dem Verdienstorden des Freistaates Bayern 1973, vom Land Baden-Württemberg mit dem Titel Professor 1987, ein Jahr vor seinem Tod in Heidelberg. 2003 wird eine Straße in Rohrbach nach ihm benannt, 2007 eine im Neckarhausener Baugebiet „Lange Stücke“.
Die vom Heidelberger Gemeinderat eingesetzte Historiker-Kommission zur Überprüfung historisch belasteter Straßennamen empfiehlt in ihrem Abschlussbericht im Mai die Umbenennung. „Die Belastung besteht im Wesentlichen aus seiner frühen NSDAP-Mitgliedschaft und den hohen Ämtern, die er zeitweilig innehatte“, begründet Kommissionsmitglied Frank Engehausen.
Für eine Diskussion über diese Frage offen zeigt sich auch Edingen-Neckarhausens Bürgermeister. Florian König versichert, „dass ich es selbstverständlich als nicht positiv bewerte, wenn ein Straßen-Namensgeber für unsere Gemeinde als Unterstützer des Nationalsozialismus in Erscheinung getreten ist“.
König zeigt sich überzeugt, dass „unabhängig von der herausragenden Ingenieurleistung von Herrn Wankel er nicht Namensgeber in unserer Gemeinde geworden wäre, wenn dem Gemeinderat die politischen Verstrickungen des Betroffenen bekannt gewesen wären“. Und so verspricht der Rathauschef: „Ich werde mich zeitnah mit meiner Verwaltung und den politischen Mandatsträgern beraten, wie wir mit den Gegebenheiten umgehen werden.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Erinnerungskultur Straßenname für Nazi in Edingen-Neckarhausen muss weichen!