Wer am Haltepunkt Neu-Edingen Gewerbegebiet aus den Zügen der RNV-Linie 5 (früher OEG) aussteigt, der muss gut zu Fuß sein. Vom Bahnsteig bis zur Straße oder zum Park-and-Ride-Parkplatz sind es sage und schreibe 37 Stufen, also fast drei Stockwerke eines Hauses. Da kann man schon außer Puste kommen. Wer in seiner Mobilität eingeschränkt ist, hat keine Chance, diese Barriere zu überwinden. Wer mit Rollstuhl oder Rollator hier aussteigt, hat eigentlich nur eine Möglichkeit: Auf die nächste Bahn warten und weiterfahren.
Es ist wichtig, dass wir den ÖPNV attraktiver und nutzbarer machen
Während bei Bussen und Straßenbahnen schon lange eine Barrierefreiheit vorgeschrieben ist, war das bei Eisenbahnen lange Zeit nicht der Fall. Und die Züge der einstigen Oberrheinischen Eisenbahngesellschaft (OEG) gelten als solche. Nach einer Novellierung des des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) besteht aber auch für die Bahn die Pflicht zur Barrierefreiheit.
Bereits 2018 und 2019 wurden alle Haltestellen untersucht
Dürfen die Fahrgäste am Haltepunkt Neu-Edingen-Gewerbegebiet jetzt auf Abhilfe hoffen? Hoffen ja – doch es wird noch viel Wasser den Neckar hinunterfließen, bis die Situation verbessert wird. Die Rhein-Neckar Verkehr GmbH (RNV) hat nach eigenen Angaben in den Jahren 2018 und 2019 alle bislang nicht barrierefreien Stationen in ihrem Streckennetz gesichtet und bewertet. Dabei ging es um Einflussfaktoren wie die Lage der Station im Gelände (zum Beispiel Hoch- oder Tieflage), das Fahrgastaufkommen oder die Verknüpfungsfunktion.
Wo Fahrgäste umsteigen, wird schneller umgebaut
Wenn ein Haltepunkt etwa zum Umstieg zwischen Bahn und Bus oder zum Nah- oder Fernverkehr der Bahn dient, dann ist er wichtiger. Auch nahe liegende öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Seniorenheime, Kindergärten oder öffentliche Gebäude können eine Rolle spielen. „Für uns stellt sich immer die Frage: Welche Maßnahmen erreichen mehr Menschen“, erläutert Dean Weilguny vom Bereich Infrastruktur der RNV: Ergebnis der Betrachtung ist eine netzweite Eingruppierung aller Stationen in einer Prioritätenliste. Während sie für die Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg in die jeweiligen Nahverkehrspläne eingearbeitet ist, steht sie für den Rhein-Neckar-Kreis aktuell nicht öffentlich zur Verfügung.
Auf Nachfrage lässt die RNV trotzdem erkennen, dass der Haltepunkt in Neu-Edingen erst in den 2030er Jahren an der Reihe ist. Vorausgesetzt, die Finanzierung steht. Aktuell können Betreiber und Anrainerkommunen mit Fördermitteln in Höhe von 75 Prozent rechnen. Den Rest müsste die Gemeinde tragen. Die Kosten liegen je nach Aufwand bei einigen tausend Euro, können aber bei großen Projekten schnell in die Millionen gehen. Unter einer Million dürfte der Ausbau in Neu-Edingen nicht zu schaffen sein. Es blieben also mindestens 250 000 Euro, die die ohnehin finanziell angeschlagene Gemeinde aufbringen müsste.
Als der Haltepunkt Luisenstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs Weinheim 2018 umgebaut und damit barrierefrei gemacht wurde, explodierten die Kosten auf fast fünf Millionen Euro, sehr zum Ärger der Kommunalpolitik. Bevor in Neu-Edingen etwas gebaut wird, ist ein umfangreiches Planungs- und Genehmigungsverfahren erforderlich. Das kann sich über mehrere Jahre hinziehen.
Warum der Umbau in Neu-Edingen besonders schwierig ist
Der Haltepunkt in Neu-Edingen ist dabei eine besondere Herausforderung, wie Dean Weilguny deutlich macht. Denn er liegt in einem tiefen Geländeeinschnitt, grenzt an ein Brückenbauwerk an und liegt teilweise unter einem komplexen Knotenpunkt von Mannheimer Straße/Neckarhauser Straße und Speyerer Straße, der auch als Stahlkreuzung bekannt ist. „Diese anspruchsvolle Lage erschwert leider die Zuwegung zu den Bahnsteigen, die heute nur über Treppenanlagen zugänglich sind“, heißt es von der RNV. Ein barrierefreier Zugang könnte hier durch Rampenanlagen und umfangreiche Eingriffe in die Böschung und die angrenzenden Grünbestände hergestellt werden. Denkbar sind zwar auch Aufzüge, aber die sieht der bei der RNV für die Sicherheit verantwortliche Eisenbahnbetriebsleiter Carlos Abril eher kritisch, denn, so sagt er: „Sie bergen immer das Risiko des Vandalismus.“ An so abgelegenen Punkten wie in Neu-Edingen sei die Zerstörungswut besonders weit verbreitet: „Deshalb haben die Fahrgastunterstände dort keine Rückwände mehr, nachdem sie mehrfach zerstört wurden.“
Bürgermeister Florian König hält am Ausbauziel weiter fest
Nach Gesprächen mit dem RNV-Beirat ist auch Bürgermeister Florian König ernüchtert: „Es ist natürlich nicht befriedigend für uns als Kommune, dass wir noch über sechs Jahre auf einen freien Ausbau warten müssen.“ Allerdings basiere die Ausbaureihenfolge „auf weitestgehend nachvollziehbaren Parametern“. In der momentanen Finanzlage wäre eine Beteiligung der Gemeinde mit 25 Prozent der Kosten „eine größere Herausforderung“, räumt er ein, betont jedoch: „Trotzdem ist es wichtig, dass wir im Bereich Barrierefreiheit weiterkommen und somit auch den ÖPNV allgemein attraktiver und nutzbarer machen.“
Etwa 250 bis 300 Fahrgäste steigen laut RNV an dem Haltepunkt täglich ein und aus, insgesamt also knapp 600. An den beiden anderen in der Gemeinde sind es deutlich mehr, nämlich 1800 am Bahnhof Edingen und sogar 3600 in Edingen West. In Heidelberg, wo gerade in ähnlich schwieriger Lage die Station Gneisenaustraße Süd umgebaut wird, sind es nur 380 Fahrgäste täglich. Dort nutzt man allerdings Synergieeffekte, weil die Stadt dort eine neue Geh- und Radwegbrücke baut.
Auch in Viernheim stehen noch Umbauten an Haltepunkten an
Aktuell gibt es entlang der Linie 5 einige weitere Stationen, die entweder keine barrierefreien Bahnsteige für einen stufenlosen Ein- und Ausstieg aufweisen oder an denen die Zuwegung zu den Bahnsteigen noch nicht barrierefrei ausgebaut ist. Hierzu zählen laut RNV Stationen in Viernheim, Weinheim und Heidelberg-Wieblingen. Auch diese sollen in den kommenden Jahren entsprechend dem netzweiten Ausbauprogramm barrierefrei werden.
Wer mit Bus und Bahn fährt und auf Rollator oder Rollstuhl angewiesen ist, sollte sich allerdings vorher informieren, ob er am Ziel seiner Fahrt nicht nur aussteigen, sondern den Bahnsteig auch verlassen kann, durch Blick auf einen Online-Plan oder die App. Letztere zeigt allerdings die barrierefreien Haltepunkte nicht in der Verbindungsauskunft an, sondern nur in der Haltestellensuche. Das zu verbessern, sollte günstiger sein als der barrierefreie Ausbau eines ganzen Haltepunktes.
Aufzüge bergen immer das Risiko des Vandalismus
Rund um die Barrierefreiheit
- Busse, U-Bahnen und Straßenbahnen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sollen seit Anfang 2022 barrierefrei zugänglich sein. Das verlangt das Personenbeförderungsgesetz.
- Bei der Rhein-Neckar-Verkehr (RNV) sind von 306 Haltestellen derzeit 235 barrierefrei, das sind 77 Prozent.
- Entscheidend für die Barrierefreiheit ist auch der Fuhrpark. Dieser ist bei der RNV zu 100 Prozent Niederflur, Fahrgäste können also ebenerdig ein- und aussteigen.
- Für Blinde und Sehbehinderte ist der Zwei-Sinne-Betrieb wichtig: fühlbare Wölbungen im Boden und akustische Ansagen als Ergänzung. hje
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