Bürstadt. Der Piepston klingt durchdringend, kurz danach greift Serhat Akgün zur Kurbel. Es dauert etliche Schwünge, bis die Schranke geschlossen ist. Missmutig steht ein Fahrradfahrer davor und schaut, ob ein Zug kommt. Aber er muss sich noch etwas gedulden. Akgün behält ihn genau im Auge, damit er nicht auf die Idee kommt, an der Schranke vorbeizuhuschen.
„Manche versuchen das, dann schreie ich auch mal laut. Obwohl ich dazu eigentlich nicht der Typ bin.“ Die Gefahr herannahender Züge unterschätzen viele, ist der 28-Jährige überzeugt. Akgün arbeitet seit bald zwei Jahren regelmäßig im alten Schrankenwärterhäuschen in Bobstadt. Nicht für die Deutsche Bahn direkt, sondern für die Firma MBL Bahnsicherung in Osthofen, ein Subunternehmer der Bahn. Aber nicht mehr lange: „Nur noch bis 15. Juli. Wenn die Riedbahnsanierung losgeht, ist hier Schluss.“
Bahnübergang in Bobstadt wird bald nicht mehr geöffnet
Ein halbes Jahr fährt dann bekanntlich kein Zug mehr zwischen Mannheim und Frankfurt. Danach wird der Bahnübergang in Bobstadt nicht mehr geöffnet. Die Lärmschutzwand wird an der Stelle ergänzt, so dass es eine undurchdringliche Barriere entsteht. Das alte Stationsgebäude, in dem Akgün jetzt noch kurbelt, wird abgerissen.
Was mit der sogenannten Windensperre passiert, die er per Hand bedient, weiß der 28-Jährige nicht. „Aber ich habe gehört, das Technikmuseum in Speyer wolle sie haben - doch die Bobstädter wollen sie lieber im Alten Rathaus ausstellen.“ Tatsächlich hat die Arbeitsgruppe Ortsgeschichte den Antrag gestellt, das historische Stück zu übernehmen, bestätigt Volker Utz. „Möglicherweise behält die Bahn diese Kurbel aber selbst und lagert sie als Ersatzteil ein, weil es nur noch wenige davon gibt in Deutschland.“
Gespräche mit Wartenden an der Schranke
Anfangs sei er schon manchmal genervt gewesen, ständig kurbeln zu müssen, gibt er zu. „Einmal hab’ ich in einer Sieben-Stunden-Schicht mitgezählt: 134 Mal musste ich die Schranken öffnen oder schließen.“ Er grinst. Häufig muss er gleich mehrere Züge durchlassen, ehe er wieder an die Kurbel kann. Dabei kann er nicht wild drauf losdrehen. Direkt daneben hängt ein Zettel mit der Ermahnung, die Schranken mit Bedacht zu schließen.
Etliche Bobstädter können ein Lied davon singen, dass sie oft minutenlang warten mussten, ehe sie den Übergang passieren konnten. Die Piepstöne zeigen Akgün an, ob er kurbeln muss. Da die Züge in hohem Rhythmus vorbeirauschen, lassen manche Kollegen gleich mehrere durch. Aber der 28-Jährige, der aus Worms stammt, kurbelt, sobald er jemanden warten sieht - und sofern er das gerade darf. „Oft unterhalte ich mich auch mit den Leuten“, erzählt er. Auf der Straße winkt ihm schon wieder jemand zu.
Dann piepst es wieder an dem altertümlichen Bedienpult. Auch ein Telefon steht hier, an dem sich - wohl eher selten - der Fahrdienstleiter meldet. „Manchmal ruft jemand an und sagt mir, dass in der nächsten Stunde kein Zug kommt. Das ist gerade nachts sehr nett, kommt aber wirklich nicht oft vor.“
Dann könne er auch mal seine Augen schließen, ehe es weitergeht. Angst einzuschlafen habe er im Prinzip aber nicht, auch wenn die Nacht schon lang sei beim Dienst von 19.30 bis 5.30 Uhr. „Es geht mit Kaffee und Red Bull.“ Er grinst. „Am schlimmsten sind die Sonntage, da gibt’s nur zwei statt sonst drei Schichten, immer von sechs bis sechs.“ Die mache er nicht gerne. Schließlich fahre er noch eine Stunde bis nach Hause in Mainz.
Seit Jahrzehnten nicht in den Bahnübergang investiert
„Am Anfang, als ich hier angefangen habe, sagten viele zu mir ,Du Armer!’, aber es ist nicht schlimm.“ Der 28-Jährige deutet auf zwei dicke Aktenordner hinter ihm. „Ich kann nebenbei lernen.“ Seinen Meister für Bahnverkehr will er bald im Fernstudium machen, das sei anspruchsvoll, aber genau sein Ding.
Zudem könne er es sich hier schön machen, meint er. Wobei „schön“ in dem heruntergekommenen Häuschen relativ ist. Akgün deutet auf die alte Einrichtung. Die Gardinen wirken grau und steif vor Staub, der Boden ist abgetreten. Im hinteren Teil des Gebäudes tropft es sogar von der Decke und riecht muffig. Das Dach ist undicht. Seit Jahrzehnten wurde hier nicht mehr investiert. Allerdings führt die Stadt mit der Bahn schon viele Jahre Gespräche darüber, den Bahnübergang zu schließen.
Fledermäuse flattern abends aus dem maroden Gebäude
Das heruntergekommene Gebäude soll weg, damit das Areal neu gestaltet werden kann. „Wie schnell das geht, wissen wir nicht“, sagte Bürgermeisterin Bärbel Schader kürzlich im Ortsbeirat. Sie freut sich schon, dass die Lärmschutzwand bald geschlossen und bis August die Unterführung für Fußgänger und Radfahrer fertig wird. Das hat die Bahn im Zuge der Riedbahnsanierung mitgeteilt. Stellplätze für Räder - sogenannte Bike&Ride-Anlagen - sind zudem vorgesehen sowie das Begrünen des Geländes.
Ins Mittelfeld, wo die Stadt bald ein Gewerbegebiet ausweisen will, geht es schon jetzt über eine Behelfsstraße vom Kreisel an der B 44. Sobald der Bahnübergang geschlossen ist, ist dies dann auch die einzige Zufahrt für die Betriebe. In der Station bleibt dann das Licht aus.
Ob es Serhat Akgün ein bisschen leid tut, dass er die Schranken nicht mehr mit der Kurbel öffnen und schließen kann? „Ich komme auch danach noch nach Bobstadt“, sagt er voller Überzeugung. „Ich habe hier Freunde gefunden.“ Wobei er schon überlegt, ob das mit dem Abriss wirklich so rasch geht - denn er sieht abends, sobald es dämmert, etliche Fledermäuse aus dem Dach flattern. Wenn er ein bisschen Musik abspiele, sei besonders viel los, meint er lächelnd.
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