Mobilität

Ehrenamtliche bringen Bürstädter Rikscha ins Rollen

Allein durch Spendengelder hat die Bürgerstiftung das Spezialfahrrad mit zwei Sitzplätzen bestellt. Ein Team von fast 30 Personen in Bürstadt sorgt für den nötigen Anschub des sozialen Projekts.

Von 
Corinna Busalt
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Mit Gute-Laune-Garantie: Siegfried Gebhardt (v.l.) fährt Monika Ebeling und Carmen Davila ganz spontan eine kleine Runde in der Rikscha. © Berno Nix

Bürstadt. Ob es an der fröhlichen orangefarbenen Markise liegt oder daran, dass sowohl die Gäste vorne als auch der Fahrer hinten grinsend durch Bürstadt rollen? Überall winken die Leute - aus vorbeifahrenden Autos, von Fahrrädern oder vom Gehweg: Die Bürstädter Rikscha zieht alle Blicke auf sich und sorgt ganz offenbar für gute Laune. Seit einer Woche sind alle Versicherungsfragen geklärt, nun gibt's kein Halten mehr für das große Team der Ehrenamtlichen.

„Ist das nicht herrlich?“ Siegfried Gebhardt strahlt und tritt in die Pedale. Zügig geht‘s voran, mitten durchs Zentrum und raus zum Wasserwerk, weiter zum Bildungs- und Sportcampus und sogar durch die Naturoase in der Gartenstraße bis zurück zum Altenheim von St. Elisabeth und in die Garage. Wie im Flug vergehen eineinhalb Stunden, in denen der 69-Jährige nicht nur zig Leuten gewunken, sondern auch jede Menge über sein Herzensprojekt erzählt hat.

Zum Ein- und Aussteigen fährt Siegfried Gebhardt das Trittbrett vorne runter. © Berno Nix

Der Bürstädter gehört zum engen Kreis der Engagierten, die für eine eigene Rikscha in Bürstadt gekämpft haben. Dass innerhalb weniger Monate mehr als 15.000 Euro zusammen kamen, ist auch sein Verdienst. Gebhardt hat mit anderen mächtig die Werbetrommel gerührt, auch um ein ganzes Team an Ehrenamtlichen zu finden, die das Fahrzeug in Bewegung halten. An die 30 Personen sind bereit, das Projekt mit Leben zu füllen.

Selbst beim Backfischfest hat sie ihren großen Auftritt

Damit sie auch genutzt wird, informiert Gebhardt direkt die Bewohner und Mitarbeiter im Alten- und Pflegeheim St. Elisabeth. „Jetzt können die Senioren Ausflüge unternehmen!“ Denn im vergangenen Jahr mit der Leih-Rikscha vom Land Hessen war die Euphorie so groß, dass die Termine in den drei Monaten rasch vergeben waren. Mit der eigenen Rikscha, die nicht zurückgegeben werden muss, kann alles entspannter zugehen. Sollte man meinen.

Ausflüge bis zu 60 Kilometer



Ein ehrenamtliches Team von knapp 30 Personen kümmert sich um die Bürstädter Rikscha. Gut 20 Fahrer stehen zur Verfügung, um die Touren zu übernehmen – nach einer Schulung durch Helmut Brand. Susan Neff kümmert sich um die Koordination, Claus Laut um die Pflege des Fahrzeugs, Bernd Herd um die IT.

Im vergangenen Sommer hat Bürstadt die Leih-Rikscha des Landes Hessen getestet und nachher Spenden gesammelt für eine eigene. Innerhalb kürzester Zeit haben Privatpersonen, Vereine und Firmen mehr als 15.000 Euro an die Bürgerstiftung überwiesen. Diese hat die Rikscha in Holland bestellt und der Stadt übergeben.

Die Rikscha kommt mit ihren zwei Akkus bis zu 60 Kilometer weit - zumindest auf ebener Strecke. Fahrgäste können gerne Wünsche äußern, wo sie hinfahren wollen. Vorne ist Platz für zwei Personen, die zusammen maximal 200 Kilogramm wiegen dürfen und sich anschnallen müssen.

Weitere Informationen gibt es online unter rikscha-buerstadt.de. Auch per E-Mail an termin@rikscha-buerstadt.de können Termine vereinbart werden. Koordinatorin Susan Neff ist zudem immer montags von 10 bis 12 Uhr oder dienstags 17.30 bis 19 Uhr telefonisch unter 0163/6415753 erreichbar. cos

Doch Gebhardt macht schon jede Menge Pläne und überlegt, bei welchen Festen er vorfahren oder wen er ansprechen kann, um das Angebot bekannt zu machen. Selbst nach Worms will er zum Backfischfest. „Von dort waren ja extra Rikschas nach Bürstadt zum Fest der Dietmar Hopp-Stiftung gekommen. Jetzt wollen wir uns revanchieren.“ Eigentlich hofft er auch darauf, andere Städte zu inspirieren.

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Der 69-Jährige ist ein Überzeugungstäter im besten Sinne: „Wir müssen was gegen die Vereinsamung tun. Das wird doch immer schlimmer.“ Sein Ziel: Er möchte Senioren an bekannte Plätze in der Stadt bringen, die sie sonst nicht mehr erreichen. Denn das sorgt für Glücksgefühle. Bestes Beispiel ist der bekannte Bürstädter Theo Held, der nicht mehr durch seine Heimatstadt laufen kann und im vergangenen Sommer in den höchsten Tönen von den Fahrten in der Rikscha schwärmte.

Sein Engagement hat einen ganz persönlichen Hintergrund: Siegfried Gebhardt wollte seine eigene Mutter in der Rikscha durch Bürstadt kutschieren. Doch das Leihfahrzeug kam erst nach mehreren Bewerbungen ins Ried - und nachdem die 92-Jährige verstorben war. Seine Leidenschaft ist dennoch ungebrochen. „Wer einmal hier drin saß, fährt immer wieder mit“, sagt er voller Überzeugung. Allerdings brauche es etwas Mut, vorne Platz zu nehmen, meint er. Tatsächlich sitzt man wie auf dem Präsentierteller. Nicht jeder möchte so deutlich sichtbar durch Bürstadt rollen.

So sieht‘s für die Fahrgäste aus, wenn es mit gemütlichen 15 Stundenkilometern durch den Bürstädter Wald geht. © Berno Nix

Das Vergnügen dabei ist enorm. Der Wind pfeift einem um die Nase, obwohl Gebhardt gemütlich fährt - nur zwischen 15 und 18 Stundenkilometer. „Im Wald werde ich langsamer, damit man alles in aller Ruhe genießen kann.“ Oft stoppt er, damit seine Gäste alle Eindrücke erfassen können. Die gute Luft, das Zwitschern der Vögel, das viele Grün. Gebhardt atmet tief durch. „Ach, das liebe ich!“ Dann tritt er wieder in die Pedale und überlegt, dass er mehr zur Geschichte wissen will, um seinen Fahrgästen unterwegs ein paar historische Details zu bieten.

Einen hübschen Schutz gegen Kratzer wünscht sich der 69-Jährige auch noch für den Fahrradrahmen. Deshalb hat er beim Betreuten Wohnen handwerklich geschickte Damen angesprochen, ob sie die Verkleidung häkeln wollen. Natürlich haben gleich einige Bewohner eine Testfahrt unternommen und Termine ausgemacht. Montags ist die Rikscha ohnehin reserviert für Senioren rund um St. Elisabeth. „Manche trauen sich noch nicht so recht, aber das klappt, wenn Verwandte und Freunde sie buchen“, meint Gebhardt. Bei Monika Ebeling und Carmen Davila gibt's null Berührungsängste. Sie kommen gerade aus der Gymnastik beim TV und nehmen ganz spontan vor ihm Platz. Gut gelaunt lassen sie sich eine Runde fahren.

Durch den Wald rollt Siegfried Gebhardt besonders gerne: Hier geht’s vorbei am Wasserwerk Bürstadt mit Corinna Busalt vom „Südhessen Morgen“. © Berno Nix

Trittbrett runter, aufsteigen, anschnallen, dann das Brett wieder hoch - und los geht's. Bald soll sie mit Decken gegen die herbstliche Kälte und kleinen Wasserflaschen ausgerüstet werden. „Gerade ältere Personen frieren schnell mal. Und Durst soll ja keiner leiden.“ Zudem werde noch ein Flyer mit allen Informationen gedruckt und verteilt. Das i-Tüpfelchen wäre in seinen Augen noch, wenn sie gesegnet würde - für allzeit gute Fahrt.

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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